Lufthansa und Co. rechnen immense »Zuschläge« für die Beförderung im Flugzeug ab. Für die Firmen lohnt sich das, für ihre Kunden weniger. Von Claus Hecking für DIE ZEIT
Hamburg - Das große Wachstumsgeschäft der Lufthansa verbirgt sich hinter einem kleinen Kürzel: YQ. Auf Millionen Flugtickets taucht es auf: unten links, hinter dem offiziellen »Ticketpreis«, bei den Zuschlägen, Gebühren und Steuern. Im Kleingedruckten, wo sich Geldbeträge aneinanderreihen vor anderen rätselhaften Buchstabenkombinationen wie OY, RD, DE oder XR. Selbst viele Luftverkehrsexperten können sie nicht ohne Weiteres entschlüsseln. YQ indes kennen zumindest die meisten Brancheninsider. Schließlich kann dieser Posten schon mal 160, 320 oder 400 Euro groß sein. Oft ist er sogar höher als der offizielle Beförderungspreis.
YQ steht in der Luftfahrt für den Treibstoffzuschlag. Der ist in den vergangenen Jahren rapide gestiegen, oft sogar noch schneller als der internationale Kerosinpreis. 2004 hat Lufthansa den Zuschlag erstmals eingeführt: Zwei Euro waren es damals für nationale und innereuropäische, sieben Euro für Interkontinentalflüge. Seitdem ist die Spritprämie für Lufthansa, Air Berlin und einige andere Luftfahrtunternehmen zur wichtigen Umsatzquelle geworden. Nun aber bringt der Zuschlag die Airlines in Rechtfertigungsnot. Denn die Preise für Rohöl brechen ein – und mit ihnen die für Treibstoff.
Um 42 Prozent hat sich Kerosin im Laufe des Jahres 2014 verbilligt. Laut Berechnungen der weltweiten Branchenvereinigung IATA sparen die Airlines dadurch mehr als 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr ein. Aber ihre Passagiere entlasten und den Zuschlag mildern wollen Lufthansa, Air Berlin und Co. nicht. Dabei wäre jetzt der beste Moment, ihn ganz abzuschaffen. Und Flugtickets ehrlicher zu bepreisen.
»Wenn die Ölpreise steigen, sind die immer ganz schnell im Erhöhen dieser Kerosinzuschläge. Aber wenn der Ölpreis fällt, sind sie extrem langsam«, prangert Ryanair-Chef Michael O’Leary die Konkurrenzunternehmen an. Als »Spritabzockgebühr« geißelt er diesen Zuschlag, den Ryanair nicht erhebt. Ausgerechnet O’Leary, der sonst selbst ständig neue Aufschläge für seine Passagiere ausheckt – bis zur »Toilet Charge« für die WC-Nutzung. Diesmal aber sind Konsumentenschützer und Politiker seine Verbündeten. Neben dem Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller, fordert auch Großbritanniens Finanzminister George Osborne die Airlines auf, die leidige »Fuel Surcharge« herabzusetzen.
Lufthansa und Air Berlin halten an ihr fest. Sprecher verweisen auf Preissicherungsgeschäfte (sogenanntes Hedging) und langfristige Einkaufsverträge, die sie vor Monaten abgeschlossen haben, um das Risiko steigender Preise zu dämpfen. Zudem schwächle der Euro, was den Treibstoffeinkauf in Dollar verteuere. Das erklärt allerdings nicht, wieso die Spritprämien so extrem hoch sind. Und auch nicht, wie die Zuschläge überhaupt zustande kommen. Die Lufthansa etwa betrieb auch im Sommer 2005 schon Preissicherung, als Kerosin in Euro so günstig war wie heute. Damals verlangte sie einen Treibstoffzuschlag von 7 Euro für die Kurzstrecke und 27 Euro für die Langstrecke. In den darauffolgenden neun Jahren schoss die Spritprämie dann um mehr als 300 Prozent hoch. Im April 2014 schließlich wurde der Kerosinzuschlag umbenannt. »Internationaler Zuschlag« heißt er nun, kurz: YQ.
Unter diesem Kürzel mixt die Lufthansa nun die eigenen Treibstoffzuschläge mit externen Gebühren zusammen, etwa für Luftsicherheit, Flugsicherheit oder Emissionsabgaben. Das macht die Zusammensetzung von YQ undurchschaubar. Zudem erscheint die Bepreisung von YQ ziemlich willkürlich: Eine Reise von München nach Rom kostete auf der Lufthansa-Website vergangenen Montag 369 Euro, mit Hinflug am 2. April morgens und Rückflug am 6. mittags. Satte 148 Euro davon entfallen auf Gebühren und Steuern. Wer indes am 1. April hin- und am 14. zurückfliegt, zahlt insgesamt nur 99 Euro. Die Gebühren und Steuern reduzieren sich auf wundersame Weise von 148 auf 92 Euro – der »internationale Zuschlag« liegt um 56 Euro niedriger (und der offizielle Ticketpreis bei absurden 7 Euro). Mit der Umrechnung realer Treibstoffkosten hat das nichts zu tun. Sondern mit den 99-Euro-Angeboten, mit denen die Lufthansa wirbt. Die kann sie nur offerieren, wenn sie den Zuschlag kürzt.
Großbritanniens Finanzminister Osborne fordert nun die Offenlegung: »Wir werden von den Airlines verlangen, Zuschläge getrennt von den Steuern aufzulisten.« Die Lufthansa hat es im April genau umgekehrt gemacht: Sie hat Kerosinzuschläge mit externen Gebühren vermengt. Und so zusammengefasst, was nicht zusammengehört. Liegt es daran, dass es auf dem Flugschein besser aussieht: ein niedriger Preis für den Flug (»Fare«) und hohe Gebühren im Buchstabenwirrwarr ganz unten?
Ein Lufthansa-Sprecher sagt, für den Kunden sei der Zuschlag irrelevant. »Die Passagiere schauen auf den Endpreis des Tickets.« Warum schafft der Konzern dann nicht die Prämie ab und erhöht den regulären Beförderungspreis?
Tobias Eggendorfer glaubt die Antwort zu kennen. »Es ist ein Trick, um an Meilensammlern mehr zu verdienen«, sagt der IT-Professor und Vielflieger, der sich mit der Lufthansa schon mal einen Streit um Meilenentwertung geliefert hat. Muss doch der treue Miles-&-More-Passagier, der brav gesammelt hat und sich nun einen Prämienflug gönnt, Steuern und Gebühren extra zahlen. Ein Economy-Ticket Frankfurt–Jakarta mit Hinflug am 15. Februar und Rückflug am 3. März etwa kostet dann immer noch 444 Euro Gebühren und Steuern plus 80 000 Meilen. Ohne den »internationalen Zuschlag« wären es nur 84 Euro. Der offizielle Ticket-Nettopreis ohne Zuschläge beträgt surreale 122 Euro – für 31 Stunden Flug. Auch Großkundenrabatte etwa für Konzerne gewähren die Airlines meist nur auf den Nettopreis, Zuschläge indes bleiben oft ohne Nachlass. Sie sehen ja aus wie Fremdgebühren, die die Lufthansa nur weitergibt.
Tatsächlich ist die Spritprämie das Gegenteil. Wenn Passagiere etwa Buchungen stornieren, verweigern die Airlines gerade bei preiswerteren Tickets oft die Erstattung der Kerosinaufschläge. Mit dem Argument, es handele sich um interne Kosten. Die Lufthansa zahlt oft nicht einmal Teile von YQ zurück, obwohl sie auch Drittgebühren kassiert: etwa für Sicherheitskontrollen, die bei Nichtantritt der Reise gar nicht anfallen. Laut einer Präsentation aus der Führungsetage der Lufthansa versprach sich der Konzern vom neuen Zuschlagsmodell ein Ertragsplus in Höhe von 60 Millionen Euro.
Dabei kann die Airline auch anders. Wenn sie muss. In Japan, wo Zuschläge strenger reguliert werden, hat sie ihre Spritprämie gesenkt – von umgerechnet 342 auf 286 Euro für internationale Flüge. Bei den Frachtraten für den Gütertransport hat die Lufthansa den Aufpreis zuletzt gar schon zweimal verringert. »Bei Cargo haben einige Großkunden viel mehr Macht als der einzelne Passagier«, sagt der Luftfahrtexperte Cord Schellenberg.
Noch transparenter und fairer wäre es, den Zuschlag ganz einzumotten – wie es die einstige Ferienflug-Tochter Condor bereits 2011 vorgemacht hat. »Die Einbeziehung der Treibstoffkosten in den Flugpreis ermöglicht Condor-Kunden einen schnellen und noch leichteren Überblick über die anfallenden Kosten«, sagt ein Sprecher. »Kunden schauen auf den Gesamtpreis, und der muss wettbewerbsfähig sein.« Lufthansa, Air Berlin und Co. verstecken sich dagegen lieber hinter ominösen Kürzeln.