Iran: Bitte Gas nehmen.


Der Iran hat massenweise Erdgas. Europa könnte es gebrauchen, um unabhängiger von Russland zu werden. Von Claus Hecking für DIE ZEIT.

Ihre Flugtickets nach Teheran dürften die Manager von Total, Eni, Shell und BP gleich nach der Einigung von Lausanne gebucht haben. Jahrelang haben Europas Öl- und Gasmultis notgedrungen die Sanktionen ihrer Regierungen gegen den Iran mitgetragen. Sie haben ihre Leute aus dem Paria-Staat abgezogen, den Atomstreit mit dem Westen ausgesessen. Nun wetteifern die Konzerne um die beste Startposition.

Wenn aus dem Rahmenabkommen von Lausanne tatsächlich bis zum 30. Juni ein echter Friedensvertrag wird, könnte das alte Ölland Iran zum neuen Energieriesen werden. Unter dem Erd- und Meeresboden der Islamischen Republik lagern die viertgrößten Ölreserven sowie die bedeutendsten Gasvorkommen der Welt. Die europäischen Konzerne haben bessere Kontakte als ihre US-Konkurrenten, weil sie dort bis zur Eskalation im Atomstreit gute Geschäfte gemacht haben. Und der staatliche iranische Energiemonopolist NIOC benötigt dringend ausländisches Kapital und Know-how: nach dreieinhalb Jahrzehnten voller Kriege, Konflikte und Wirtschaftsblockaden. Viele Förderanlagen, Pipelines und Raffinerien sind überaltert und so marode, dass sich der einst zweitgrößte Ölproduzent des Nahen Ostens in den vergangenen Jahren immer wieder mal Benzin aus dem Ausland beschaffen musste.

Die Sanktionen des Westens haben insofern gewirkt. Nur etwa 1,1 Millionen Fass Erdöl (je 159 Liter) pro Tag haben die Iraner zuletzt noch exportiert, halb so viel wie früher. Erdgas verkaufen sie fast gar nicht ins Ausland. Während winzige arabische Monarchien wie Abu Dhabi oder Katar im Überfluss ihrer Petromilliarden schwelgen, herrschen an der Ostküste des Persischen Golfs Inflation, Arbeitslosigkeit und Schattenwirtschaft. Viele iranische Bürger haben die Einigung von Lausanne deshalb so frenetisch gefeiert: Sie sehnen sich nach einem Ende dieser Wirtschaftskrise.

Bleibt die Teheraner Führung auf Kompromisskurs, dann sollten Europas Politiker den Wiederaufbau der iranischen Öl- und Gasindustrie unterstützen und Restriktionen schnell lockern. Nicht aus Gutmenschentum oder zum Wohlergehen ihrer Energiekonzerne – sondern aus purem Eigennutz.

Ein Deal, der Vertrauen schafft

Seit Jahren geloben EU-Kommission und -Mitgliedsstaaten immer wieder, ihre Erdgasimporte zu diversifizieren. Sich unabhängiger zu machen von den Lieferungen aus Wladimir Putins Reich, die rund ein Drittel des Verbrauchs decken. Tatsächlich aber droht Europas Abhängigkeit vom russischen Erdgas sogar zu wachsen. Führende heimische Gasförderer wie die Niederlande oder Großbritannien können ihre Produktionsraten kaum noch halten. Und das Pipeline-Projekt Nabucco, das den Brennstoff aus Zentralasien herbeischaffen sollte, ist am Mangel an Lieferanten gescheitert.

Das Tabuwort Iran hat die Brüsseler Kommission schon früher in Strategiepapieren zur Gasversorgung immer wieder mal fallen lassen. Es ist ja auch zu verlockend: Entlang der iranischen Golfküste reiht sich über Hunderte Kilometer ein Erdgasfeld an das nächste.

Die bekannten Vorkommen der Islamischen Republik sind gut dreimal so groß wie die der USA. Trotzdem produzieren die Amerikaner in ihrem Fracking-Rausch täglich gut viermal mehr Erdgas als die Perser – die bislang fast ihre gesamte Ausbeute selbst verheizen.

Könnte der Iran in zehn Jahren die EU beliefern? Das ginge nur, wenn beide Seiten einander vertrauen. Denn anders als Öl lässt sich Gas nicht verschiffen. Im Iran müssten nicht nur Förderanlagen neu errichtet werden, sondern auch Hunderte Kilometer lange Pipelines zur Türkei. Dort wiederum wären größere Leitungen nach Mitteleuropa nötig. Diese Milliardeninvestitionen rechnen sich nur in einer langjährigen Gaspartnerschaft.

Andererseits könnte gerade ein solches Mammutprojekt neues Vertrauen zwischen Europäern und Iranern schaffen. Schließlich würden beide Seiten davon profitieren. Und nichts schweißt Akteure in der internationalen Politik so zusammen wie gemeinsame Interessen.

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