Verrückte Welt: Deutschland leiht sich Geld – und verdient dabei. Die Anleger fluchen. Von Claus Hecking und Jens Tönnesmann für DIE ZEIT.
Hamburg - Solange Günther Schild lebte, war die Welt für viele deutsche Sparer in Ordnung. Mithilfe der putzigen Schildkröte haben sie ihr Geld angelegt, fürs Alter vorgesorgt, ihren Kindern die Ausbildung finanziert. Und sie mussten sich wenig Gedanken um Aktien- und Wechselkurse machen. Das Comic-Tier, mit dem die Finanzagentur des Bundes um Sparer warb, sprach den Deutschen aus der Seele: „Ich schätze die einfachen Dinge im Leben“, sagte Günther Schild in Zeitungsanzeigen, „essen, schlafen, Geld verdienen.“
So war das bis Ende 2012 – solange Privatanleger bei der Finanzagentur Konten eröffnen und Bundesschatzbriefe kaufen konnten. Der Mindesteinsatz dieser Papiere war gering, die Zinsen waren über Jahrzehnte üppig und stiegen über die Laufzeit auch noch an. Günther Schild würde sich vor Scham unter seinem Panzer verstecken, wenn er wüsste, was Anleger heute bekommen, wenn sie ihr Geld beim Staat anlegen. Wer der Bundesrepublik für fünf Jahre sein Vermögen anvertraut, der bekommt nicht nur keine Zinsen. Nein, er muss sogar draufzahlen: am Dienstag lag die Minusrendite bei 0,15 Prozent. Pro 10.000 verliehene Euro verliert der Gläubiger also Jahr für Jahr 15 Euro. Bei kürzer laufenden Staatsanleihen ist der Verlust sogar noch größer. Erst wer dem Staat für mindestens zehn Jahre Geld leiht, bekommt einen Hauch mehr zurück, als er gegeben hat: kümmerliche 0,14 Prozent pro Jahr. Selbst für 30-jährige Anleihen winken dem Gläubiger nicht einmal 0,60 Prozent pro Jahr. So niedrige Zinsen hat der deutsche Staat noch nie zahlen müssen.
270 Milliarden neue Schulden – 200 Millionen Profit
Neue Schulden zu machen kostet Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble heute so gut wie gar nichts mehr. In den kommenden 21 Monaten muss Deutschland Bundesanleihen in Höhe von rund 270 Milliarden Euro zurückzahlen; die jährlichen Zinskosten für diese Papiere betragen gut fünf Milliarden Euro. Würde Schäuble sich die 270 Milliarden Euro in der gleichen Stückelung neu borgen, also zu den Zinsen vom 14. April 2015, müsste er nach Berechnungen der ZEIT nicht nur keine fünf Milliarden Euro Zinsen zahlen. Nein: er würde sogar gut 200 Millionen Euro Gewinn einstreichen. Und diese Papiere sind nur ein Teil der Bundesschuld.
Wenn der Bund sich Geld besorgt, dann meist mittels Anleihen, die er an Pensionsfonds, Versicherer und andere große Investoren verkauft. Weil Deutschland ein sehr zuverlässiger Schuldner ist, gelten Bundesanleihen und ihre Renditen international als Maßstab dafür, wie viel der Markt für sichere Papiere zahlt und welche Aufschläge andere, risikoreichere Papiere den Investoren bieten müssen.
Eine aktuelle Untersuchung des Finanzwissenschaftlers Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft bestätigt solche Kalkulationen. Der Ökonom hat die Zinslasten der Anleihen aus den Jahren 2009 bis 2014 mit dem durchschnittlichen Zinsniveau der letzten neun Jahre vor der Finanzkrise – 1999 bis 2008 – verglichen. Sein Ergebnis: Der Bund wird bis zum Jahr 2030 insgesamt 160 Milliarden Euro an Zinszahlungen einsparen. Das Zinstief wird zwar nicht ewig dauern, doch die Anleihen, die in diesem Zeitraum auf den Markt gebracht wurden, konservieren den Zinsvorteil bis weit in die Zukunft hinein.
In der Schweiz ist es noch extremer. Hier hat der Staat vergangene Woche die weltweit erste Anleihe mit einer Laufzeit von zehn Jahren herausgegeben, die negative Zinsen aufweist. Die Geldgeber kauften die Schuldpapiere im Wert von umgerechnet 362 Millionen Euro zu einer Rendite von minus 0,055 Prozent – offenbar weil sie erwarten, dass die Erträge weiter fallen und sie die Papiere gewinnbringend weiterverkaufen können. Hat doch die Europäische Zentralbank angekündigt, im großen Stil Staatsanleihen der Euro-Zone zu kaufen – damit würde das Schuldenmachen noch billiger werden. Selbst das Krisenland Spanien kann sich nun unter Nulltarif Geld pumpen: Vergangene Woche brachte es ein Papier mit sechsjähriger Laufzeit zu einer Rendite von minus 0,002 Prozent unter die Leute.
Die Zeche zahlen die Sparer
Manfred Busch kann da mehr bieten. Busch ist Kämmerer der Stadt Bochum und hat mit seinen Amtskollegen aus fünf anderen Städten Nordrhein-Westfalens vor Investoren von der Wirtschaftskraft des Ruhrgebiets geschwärmt und um Geld geworben. Zusammen mit Essen, Herne, Remscheid, Solingen und Wuppertal hat Bochum eine Städteanleihe ausgegeben und so 500 Millionen Euro eingesammelt. Die Nachfrage überstieg das Angebot – obwohl die Städte ganz und gar nicht für eine rosige Haushaltslage bekannt sind. „Unsere Anleihe ist genauso sicher wie eine Bundesanleihe“, sagt Kämmerer Busch, „aber sie wirft mehr Rendite ab.“ Die zehnjährige Anleihe bringt pro Jahr Zinszuschläge von 1,125 Prozent; am Markt wird sie aktuell mit einer Rendite von 0,96 Prozent gehandelt. Für die Kommunen sind solche Anleihen attraktiv, weil die klassische Finanzierung über Kredite schwieriger geworden ist. Zwar können die Städte nicht einfach von Bankkrediten auf Kapitalmarktanleihen umschulden, weil ihre Kredite feste Laufzeiten haben. „Aber wir freuen uns mit Blick auf die Zukunft“, sagt Busch.
Die Zeche zahlen die Sparer. Laut einer Studie der DZ Bank haben sie zwischen 2010 und 2014 mehr als 190 Milliarden Euro Zinsen eingebüßt, davon 57,9 Milliarden Euro vergangenes Jahr. Zwar haben die niedrigen Zinsen den Deutschen Aktienindex beflügelt, weil viele Anleger in Aktien flüchten. Allerdings zählen die Deutschen kaum dazu: Laut einer Umfrage von TNS Deutschland legt nur jeder Achte sein Geld in Aktien an. 53 Prozent vertrauen aufs Sparbuch, 44 Prozent parken ihr Geld auf dem Girokonto. Selbst Lebensversicherungen sind noch bei 35 Prozent der Deutschen beliebt – obwohl der Garantiezins nur noch 1,25 Prozent beträgt.
Das Problem der Lebensversicherer: Sie bekommen neue Kundengelder kaum noch zu akzeptablen Zinsen angelegt. Staatsanleihen machen den Großteil ihres Portfolios aus, da sie relativ sicher sind. Noch haben die Versicherungen in ihren Portfolios hochverzinste Anleihen aus früheren Jahren, doch die werden nach und nach zurückgezahlt. Von Monat zu Monat sinken die Durchschnittserträge, zugleich müssen die Versicherer viel Geld für Altkunden zurückstellen, denen sie einst hohe Garantiezinsen versprochen haben. Allein dieses Jahr sind es mindestens neun Milliarden Euro, prognostiziert die Rating-Agentur Assekurata.
Die Lebensversicherer setzt das unter Druck. „Um Neukunden noch eine attraktive Rendite bieten zu können, müssen sie immer größere Risiken eingehen“, sagt Reiner Will, Geschäftsführer von Assekurata. „Sie mischen ihrem Portfolio mehr Unternehmensanleihen bei, kaufen exotischere Papiere wie Schwellenländeranleihen oder auch mehr US-Staatsbonds, die einerseits etwas höhere Erträge als Bundesanleihen abwerfen, andererseits aber auch ein Währungsrisiko beinhalten.“ Immer mehr Finanzdienstleister werben mit Produkten, die stärker in Fonds oder Aktienindizes anlegen. Das soll mehr Gewinn bringen – kann aber auch in Verlusten enden.
Es ist schon unglaublich zu sehen, welche Entwicklung das ganze macht. Es bleibt jetzt abwarten, was in Zukunft noch alles passiert.
“wenn man einem pferd genug hafer gibt, wird auch etwas auf der strasse landen, um die spatzen zu füttern.” mit dieser pferdeäpfel-theorie verteidigte der ehemalige us-präsident ronald reagan seine politik für die reichsten.
neben den us-regierungen kümmern sich auch die eu-regierungen überwiegend um die verdauung der wenigen fetten “pferde”, obwohl die “pferdeäpfel” für die “spatzen” immer weniger werden. die europäischen spatzen müssen sich in den heutigen zeiten den “dünnschiss” aus “pferdeäpfeln” einteilen und sparen lernen (während die fetten “pferde” immer fetter werden). angela merkel zu dieser eu-politik: “wichtig ist was hinten rauskommt!”
mehr hierzu: https://campogeno.wordpress.com/2015/05/04/die-rosskur-der-eu-diktatur/