Wenn Saudis Visionen haben


Saudi-Arabiens zweiter Thronfolger Mohammed bin Salman al-Saud will sein Land vom Öl unabhängig machen. Das haben vor ihm schon ein paar andere Herrscher versucht. Von Claus Hecking für DIE ZEIT

Es war einmal ein Herrscher vom Geschlecht der Saud, der hatte einen großen Plan. Er wollte sein Saudi-Arabien endlich unabhängiger machen von des Landes Segen und Fluch, dem Erdöl. Und so gelobte König Faisal, die Wirtschaft seines verschlossenen Reichs zu öffnen, zu modernisieren, neue Industrien aufzubauen. Das war 1970.

Jetzt beschwört wieder ein saudischer Herrscher den Aufbruch. Prinz Mohammed bin Salman al-Saud, Sohn des heutigen Königs Salman und zweiter Thronfolger, hat den Untertanen seine »Saudi Vision 2030« verkündet. Der 31-Jährige hat exakt dasselbe Ziel, wie sein Onkel Faisal fast ein halbes Jahrhundert zuvor: die Abhängigkeit vom Öl zu verringern. Nun aber wirklich.

Wenn das gelingen soll, müssen sich der saudische Staat und die saudische Gesellschaft auf einen tiefen Wandel einlassen. Schon in 20 Jahren solle die Wirtschaft nicht mehr überwiegend von Öl bestimmt sein, lautet Mohammeds Vision, zu der die Unternehmensberatung McKinsey ihren Teil beigesteuert hat. Saudi-Arabien solle zu einer »von Investitionen getriebenen Ökonomie« werden.

Der Ölverkauf sorgt noch immer für 85 % der Exporteinnahmen

Antreiben soll sie zunächst ein staatlicher Investitionsfonds, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat: mit 2000 Milliarden US-Dollar in der Kasse. Das Startkapital soll vor allem aus dem Ölsektor kommen. Unter anderem will der Prinz fünf Prozent des Staatskonzerns Saudi Aramco an die Börse bringen.

Saudi-Arabiens Herrscher haben seit Faisals Zeiten in jedem von mindestens zehn Entwicklungsplänen gelobt, die Wirtschaftsstruktur vielfältiger zu machen und vom Auf und Ab der Rohstoffbörsen zu emanzipieren. Fünf Könige haben ihre ganze Macht eingesetzt und Hunderte Milliarden Dollar.

Das Ergebnis: 2014 sorgte der Erdölverkauf für mehr als 85 Prozent der saudischen Exporteinnahmen; fast den gesamten Rest steuerten Petrochemie sowie andere Bodenschätze bei. Der Staatshaushalt speiste sich vergangenes Jahr noch zu etwa drei Vierteln aus Petrodollars. Und die Einnahmen reichen wegen des Ölpreisverfalls nicht mehr aus. Im vergangenen Jahr verzeichnete der Staatshaushalt ein Rekorddefizit in Höhe von umgerechnet 87 Milliarden Euro. Dieses Jahr könnte es noch höher ausfallen, wenn sich der Ölpreis nicht weiter erholt.

Junge Männer ohne Perspektive

Niemand widerspricht Prinz Mohammed, wenn er sagt, dass es so nicht weitergehe. Der Bundesnachrichtendienst nannte Saudi-Arabien kürzlich in einer Analyse »ein Pulverfass«. Seit 1970 hat sich die Bevölkerung verfünffacht: von 6 auf 30 Millionen Menschen. Sie ist gespalten in Arm und Reich, 20 Millionen Einheimische und 10 Millionen Gastarbeiter. Militanter Islamismus ist ein Riesenproblem im wahhabitischen Königreich, 15 der 19 Attentäter des 11. September 2001 waren Saudis. Und die soziale Kluft wächst.

In Metropolen wie Riad oder Dschidda fällt auf, wie arm der zweitgrößte Ölproduzent der Erde im Vergleich zu Nachbarn wie Abu Dhabi oder Katar wirkt. Halb verfallene Häuser prägen das Bild mancher Viertel. Auf deren Straßen lungern junge Männer mit grünen Mappen unter dem Arm herum – das Signal: Ich bin auf Jobsuche. Mehr als 40 Prozent der jungen Saudis sind arbeitslos, schätzt der Internationale Währungsfonds. Gut ein Drittel der einheimischen Bevölkerung ist keine 19 Jahre alt.

Perspektiven haben die Jungen kaum. Der Privatsektor ist völlig unterentwickelt. Fast 90 Prozent der arbeitenden Saudis sind Staatsdiener. Nun aber muss der Staat sparen, ebenso wie der Ölsektor.

Wenn Saudi-Aramco an die Börse geht, muss es wohlgehütete Geheimnisse preisgeben

Seit Jahren baut das Herrscherhaus an vier neuen Industrie-Retortenstädten. Aber wie will Saudi-Arabien die für den Aufbau von Hightech-Sektoren nötigen ausländischen Fachkräfte anziehen? Noch immer verbietet das streng islamische Land Bibeln, Kinos – und Frauen das Autofahren.

Auch Saudi Aramco stünden bei einem Börsengang Umwälzungen bevor. Der undurchsichtige Staatskonzern müsste seinen Aktionären Rechenschaft ablegen: etwa über die tatsächlichen Ölreserven (seit 1989 gibt Saudi-Arabien Jahr für Jahr eine Zahl um 260 Milliarden Fass an, obwohl es seither 80 Milliarden aus dem Boden geholt hat). Oder, noch heikler, über die Verteilung der Ölmilliarden. Davon dürfte ein beachtlicher Teil der Tausende Mitglieder starken Herrscherfamilie zugutekommen.

Prinz Mohammed hat die richtigen Pläne angesichts der Probleme seines Reiches. Seine »Saudi Vision 2030« sieht vor, Korruption und Bürokratie abzubauen, die Privatwirtschaft zu stärken, das Bildungssystem zu verbessern – und sein Land der Welt zu öffnen. Schafft er das, könnte Saudi-Arabien endlich seine Abhängigkeit vom Öl verringern. Aber das klappt nur, wenn seine Eliten mitspielen.

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