Verdeckte Schockfotos: Tabakhändler müssen Zigarettenautomaten umbauen


Auch die sogenannten Vorsteckkarten für Zigarettenregale - hinter denen Tabakhändler bundesweit die gruseligen Bilder krebsbefallener Lungen, blutspuckender Frauen oder amputierter Raucherbeine verstecken - sind nach einmütiger Ansicht des zuständigen Bundeslandwirtschaftsministeriums und der 16 Landesministerien rechtswidrig und müssen entfernt werden. Die Länder sind dafür zuständig, zu kontrollieren, ob das neue Gesetz umgesetzt wird.

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Gut versteckt: Die Vorsteckkarten mit den Logos von Marlboro und Co überdecken die Bilder krebszerfressener Lungen (Bild: CH)

Bleiben die Ministerien bei dieser Einschätzung, kommen auf die Tabakhändler Kosten in Millionenhöhe zu. Bundesweit gibt es mehr als 300.000 Zigarettenautomaten, und auf vielen davon steht nicht mal ein Hinweis wie „Rauchen kann die Gesundheit gefährden.“

Zigarettenautomaten europaweit

Land Anzahl der Zigarettenautomaten Marktanteil
Deutschland 380.000 12,0%
Spanien 175.000 42,5%
Portugal 61.000 50,0%
Niederlande 16.400 10,0%
Italien 13.850 7,0%
Belgien 12.300 8,9%
Österreich 6000 6,5%
Tschechien 4000 2,8%
Malta 2400 65%
Luxemburg 900 1,5%
Gesamte EU 671.850

Die Gruselfotos und Warnungen wie „Rauchen ist tödlich“ sollen Raucher abschrecken und dazu bringen, vor dem Kauf ihre Entscheidung zu überdenken. Am Automaten bekommt der Kunde die Schachtel aber erst zu sehen, nachdem er bezahlt und eine Taste mit dem Logo der gewünschten Marke gedrückt hat. Dann kann er die Zigaretten nicht mehr zurückgeben.

Die Bundesländer seien „einstimmig der Auffassung, dass das Verbot, die gesundheitsbezogenen Warnhinweise bei Tabakerzeugnissen zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens teilweise oder vollständig zu verdecken, auf die Abgabe im Handel einschließlich der Automaten anzuwenden ist“, teilte eine Sprecherin des Verbraucherschutzministeriums Schleswig-Holstein auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE mit. 14 der 28 EU-Staaten haben Zigarettenautomaten bereits komplett verboten. In Deutschland sollen die Verkaufsmaschinen aber weiter betrieben werden dürfen, sofern sie Schockbilder zeigen.

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Hier steht nicht mal „Rauchen kann Ihre Gesundheit gefährden“: Ein Zigarettenautomat in Hamburg (Bild: CH)
Die Tabakerzeugnisverordnung ist seit vergangenen Mai gültig. Sie setzt die Vorgaben der EU-Tabakrichtline um, die Deutschland mitbeschlossen hat. Demnach müssen mindestens 65 Prozent der Fläche einer Zigarettenschachtel mit Ekelbildern und Warnhinweisen bedeckt sein. Die drastischen Fotos sollen insbesondere junge Menschen dazu bringen, ihre Entscheidung vor dem Kauf noch mal zu überdenken. Jährlich sterben 120.000 Deutsche an den Folgen des Tabakkonsums: gut 30-mal mehr als bei Straßenverkehrsunfällen. 

Doch kaum galten die neuen Regeln, prangten plötzlich bundesweit Millionen Vorsteckkarten aus Plastik in den Regalfronten. Sie zeigen die bunten Markenlogos und überdecken die Scheußlichkeiten. Diese kriegt der Kunde erst zu sehen, nachdem er bestellt hat und die Schachtel auf dem Tresen liegt.

Die Industrielobby nennt ihre Vorsteckkarten rechtskonform

 

Tabakgegner halten das für eine Umgehung der Gesetze. „Die Warnhinweise sollen in ungeschminkter Weise das zeigen, was die Zigarette wirklich ist: ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko“, erklärt die Drogenbeauftrage der Bundesregierung Marlene Mortler (CSU). „Mit dem Verdecken der Warnhinweise versucht ein Teil des Handels die Verbraucherschutzregelungen des Tabakrechts zu unterlaufen. Das darf nicht sein, und das dürfen die Behörden vor Ort im Interesse des Gesundheitsschutzes auch nicht zulassen.“

Das Berliner Forum Rauchfrei, ein Zusammenschluss von Tabakgegnern, hat schon vergangenen Sommer Anzeige bei mehreren Behörden erstattet. Daraufhin wurden die Ministerien aktiv. 

Die Industrielobby nennt ihre Vorsteckkarten rechtskonform: „Wie Tabakwaren in den Geschäften ausgestellt werden, ist Sache der Händler“, behauptet der Deutsche Zigarettenverband. „Bei der Abgabe an den Kunden sind die Warnhinweise auf den Packungen nicht verdeckt.“ Alle Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften würden eingehalten. Warnhinweise auf den Automaten seien nicht erforderlich.

Zieht die Tabaklobby vor Gericht?
Die zuständigen Beamten der Bundesländer sehen das anders. Sie haben nun einmütig vereinbart: Sowohl die Zigarettenautomaten als auch die Regale müssen die Schockfotos und Warnungen vor dem Kauf zeigen. „Wir sehen in dem systematischen und gewollten Verdecken von Warnhinweisen einen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Nr. 4 TabakerzV“, erklärt etwa die Berliner Senatsverwaltung. Und beim bayerischen Verbraucherschutzministerium heißt es, man teile „die Auffassung, dass sich das Verbot, Warnhinweise zu verdecken, auch auf die Abgabe im Handel einschließlich Automaten erstreckt“.

Dennoch hoffen Hersteller und Händler darauf, das für sie Schlimmste abwenden zu können. Denn die Länder haben das Bundeslandwirtschaftsministerium gebeten, den Paragrafen klarer zu formulieren. Und wie zu hören ist, bereitet die Zigarettenlobby eine Gerichtsklage vor.

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