„Die wollen nur spielen“ - wie Saudi-Arabien Terroristen in Erziehungslagern umpolt


Wohin mit ehemaligen Guantánamo-Häftlingen? In Saudi-Arabien werden die Gotteskrieger in ein Ferienlager gesteckt, um sie mit Malen, Fußball und viel Geld zu bekehren. In den Heiligen Krieg sollen sie weiterhin ziehen - aber nur noch im Auftrag der Herrscher. Von Claus Hecking für FTD, Juli 2010.

Riad - Chalid al-Hubaischi zückt sein Mobiltelefon. „Schau mal her“, sagt er mit sanfter Stimme und zeigt auf ein Babyfoto. „Das ist meine Tochter. Mein neues Leben.“ Zwei, drei Sekunden streichelt der Mittdreißiger versonnen über das pixelige Bild, die Lachfalten rund um seine Augen raffen sich, die Mundwinkel ziehen hoch. Das knöchellange weiße Gewand des Saudi-Arabers schimmert im Sonnenlicht. In diesem Moment nimmt man ihm alles ab. Dass er bloß Mitläufer in all den Terrornetzwerken war, dass er wirklich nur Kaninchen gejagt hat, dass er zu Unrecht in Guantánamo eingekerkert wurde. Und seine Kernbotschaft: dass ihn der Staat für immer bekehrt hat, befreit von allem Bösen.

Sieben Jahre lang war al-Hubaischi ein Feind des Königreichs Saudi-Arabien. Im Namen des Heiligen Krieges reiste der Elektronik- und Sprengstoffexperte durch die Krisengebiete der Welt: Afghanistan, Pakistan, Philippinen, Jemen, Irak, den falschen Pass stets zur Hand. Er brachte anderen Dschihadisten das Bombenbauen bei. Gehörte 2001 zum letzten Aufgebot, das Osama Bin Laden in der afghanischen Festung Tora Bora gegen die anrückenden US-Truppen verteidigen sollte. Litt vier Jahre in Guantánamo. Heute ist Chalid al-Hubaischi, Häftling Nummer 155, ein freier Mann.

Er sitzt im noblen Officer‚s Club des saudischen Innenministeriums, lässt sich vom livrierten Kellner einschenken – und zeigt sich voller Reue. „Ich bin benutzt worden wie ein Werkzeug“, sagt er. „Aber das Rehabilitationsprogramm hat mir die Augen für ein besseres Leben geöffnet.“

Das Rehabilitationsprogramm. Seit dem Start vor drei Jahren ist es Saudi-Arabiens ganze Hoffnung im Kampf gegen al-Kaida und Co. Es ist der Versuch des wahhabitischen Königreichs, seine Guantánamo-Rückkehrer und andere Terroristen vor der Freilassung in brave Bürger umzupolen. Denn wohin mit Terrorverdächtigen aus dem Gefangenenlager?

In die Heimat können sie meist nicht zurück, von anderen Ländern werden sie häufig abgewiesen. Nach langer Debatte kündigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Mittwoch an, auch Deutschland werde bald zwei der noch rund 180 Insassen des US-Gefangenenlagers aufnehmen, um ihnen „eine neue Lebenschance“ zu bieten. Was nach ihrer Ankunft passiert, wie der Neuanfang gelingen soll, ist unbekannt.

Saudi-Arabien dagegen hat sein Reha-Programm genau durchgeplant. Es ist ein seltsamer Mix aus Gehirnwäsche, Psychotherapie, Familiengründung sowie jeder Menge finanzieller Wohltaten, mit dem die Regierung hofft, ihre Gotteskrieger wieder unter Kontrolle zu bekommen. Und endlich Ruhe ins terrorgeplagte Land zu kriegen. Doch lassen sich Terroristen kaufen und umerziehen?

Al-Thamama, 30 Kilometer vor der Hauptstadt Riad. Hier in der Wüste ist der Schauplatz dieses gewagten Experiments. Es duftet nach Koriander und gegrilltem Fleisch im „Resort“, wie alle hier die einstige Ferienanlage nennen. Nach dem Abendgebet wird der Koch Kabsa servieren, das saudische Nationalgericht aus Basmatireis, Lamm, Rosinen und Nüssen. Doch die Resortgäste kämpfen noch auf dem Sportplatz. Männer mit langen Bärten und kurzgeschorenem Kopfhaar spielen Fußball, Wärter und Insassen in gemischten Mannschaften. Drumherum wachsen Palmen, nebenan ist ein Swimmingpool.

Früher haben wohlhabende Familien aus Riad hier ihre Wochenenden verbracht. Jetzt dient das Resort als Besserungsanstalt. Drei Meter hoch ist die Mauer, Suchscheinwerfer und Kameras richten sich aufs Feld. Doch als der Ball über die Stacheldrahtkrone fliegt, geht einer der Kicker ungehindert durchs Ausgangstor, um das Leder zurückzuholen. Noch nie in vier Jahren ist hier jemand ausgebrochen. Wieso auch? Hier werden die Gotteskrieger sechs Monate lang mit all dem verwöhnt, was sie in Guantánamo vermisst haben: Gebetsräume, Koranunterricht, vertrautes Essen, Playstations, Airconditioning, Gratistelefonate, regelmäßiger Familienbesuch, Pilgerreisen nach Mekka, Hafturlaub.

„Wir wollen den Nutznießern unseres Programms zeigen, dass wir ihnen verziehen haben“, sagt Abdulrahman al-Hadlak. „Mit Härte allein bringt man niemanden zum Umdenken.“ Der rundliche Endvierziger mit dem akkurat gestutzten Bart ist „Direktor für ideologische Sicherheit“ beim saudischen Innenministerium und einer der Väter des Programms. Er hat jahrelang mit Islamisten zusammengelebt und weiß, was sie wollen: Das Resort soll den Ex-Gotteskriegern einen Vorgeschmack auf ein noch schöneres Leben in Freiheit geben. Vorausgesetzt, sie ziehen mit.

Ganze Jumbojets hat das Königreich nach Guantánamo geschickt, um seine verlorenen Söhne heimzuholen. Und davon gab es einige. Fast jeder vierte der mehr als 700 Häftlinge war Saudi. Wie übrigens auch 15 von 19 Attentätern des 11. September, eine Reihe von Al-Kaida-Topleuten und Osama Bin Laden höchstpersönlich, der Spross einer der einflussreichsten Dynastien im Land. Saudi-Arabien ist eine, wenn nicht die Brutstätte des Terrors. Ob im Afghanistan der 80er-Jahre oder dem Irak der Nachkriegszeit – überall kämpften Legionäre aus dem wahhabitischen Königreich an vorderster Front.

Und seit einigen Jahren reimportieren die Dschihadisten den Heiligen Krieg in ihre Heimat. Sie attackieren Ministerien und die in ihren Augen verwestlichte Königsfamilie, sprengen Ölanlagen, ermorden westliche Manager und Diplomaten in deren Wohnvierteln. Vor allen wichtigen Gebäuden in Riad sind heute Checkpoints aufgebaut. Scharfschützen mit Maschinengewehren im Anschlag wachen über den Verkehr.

Tausende vermeintliche Staatsfeinde hat die Staatsmacht bereits hinter Gitter gesteckt. Erst Ende März verhaftete sie auf einen Schlag 101 angebliche Selbstmordattentäter. Aber Monat für Monat kommen Hunderte der nicht ganz so schlimmen Jungs wieder frei: ohne Perspektive, stets versucht, wieder zur Waffe zu greifen. Darum das Rehabilitationsprogramm.

Die Ex-Terroristen sollen darin in Psychotherapien lernen, ihre Wut zu kontrollieren, sie sollen beim gemeinsamen Malen Emotionen ausdrücken, beim Sport Aggressionen abbauen. „Ohne unsere Hilfe würden mindestens 50 Prozent der Nutznießer rückfällig“, sagt al-Hadlak. „Wir korrigieren im Programm ihre Missverständnisse über den Islam und den Dschihad.“

Der Dschihad, die Aufforderung des Korans zum Heiligen Krieg, ist ein einziges Missverständnis – selbst innerhalb der islamischen Welt. Jeder interpretiert ihn nach eigenem Belieben. Die meisten Muslime begreifen Dschihad als inneren Kampf gegen die eigenen Schwächen, als Dienst am Nächsten oder als die friedliche Verbreitung der Religion. Aber im fundamentalistischen Saudi-Arabien nehmen viele Menschen den Dschihad wörtlich. Darunter auch einige der angesehensten Geistlichen des Landes – die als Islamlehrer im Rehabilitationsprogramm mitarbeiten.

Und so ist die tägliche Predigt im Islamunterricht des Resorts ebenso radikal wie simpel. Der Heilige Krieg ist Pflicht für jeden guten Muslim. Aber rechtens ist er nur, wenn ihn die Obrigkeit anordnet. Das bimsen die Scheichs den Ex-Terroristen ein, bis zu drei Stunden täglich. Es geht dabei manchmal zu wie in der Koranschule:

Lehrer: „Was sind die Bedingungen für den Dschihad?“

Schüler: „Die Erlaubnis des Herrschers.“

Lehrer: „Und?“

Schüler: „Die Erlaubnis der Eltern.“

Lehrer: „Und?“

Schüler (zögert): „Das Wissen über die genauen Regeln des Dschihad.“

Lehrer: „Ausgezeichnet.“

Der Gewalt abschwören muss niemand im Resort. Im Gegenteil: Der Heilige Krieg gehört nach wie vor zur Doktrin der Staatsführung. Schließlich hat sie selbst vor drei Jahrzehnten zum Heiligen Krieg aufgerufen und Tausende radikale Saudis nach Afghanistan geschickt – hauptsächlich, um sie von der befürchteten Revolte in der Heimat abzuhalten. Als die Dschihadisten nach der Vertreibung der gottlosen Sowjets heimkehrten, wurden sie umjubelt – und Vorbilder für eine ganze Generation zorniger junger Männer. Die Obrigkeit hatte jegliche Kontrolle über ihre Extremisten verloren. „Wenn wir unsere Nutznießer Dschihadisten nennen, fühlen sie sich geehrt“, sagt Programmchef al-Hadlak.

Das Mantra im „Mohammed Bin Nayef Centre for Counseling and Care“, wie das Resort offiziell heißt, lautet daher: bloß nicht auf irgendwelche radikale Prediger auf der Straße hören, sondern immer der Obrigkeit glauben. Die ehemaligen Terroristen werden umgepolt, im Sinne der Staatsführung.

Vorzeigeabsolvent Chalid al-Hubaischi hat die Lektion gelernt: „Unser König und die hohen Gelehrten kennen den Islam viel besser als wir“, sagt er. „Ohne ihren Befehl werde ich nie mehr in den Dschihad ziehen.“ Guantánamo-Häftling 155 hat mittlerweile ja auch einiges zu verlieren: die dicke Uhr am Handgelenk, den Toyota Corolla, die Stelle als leitender Ingenieur in einem Elektronikkonzern, seine junge Frau. All das gehört zum Programm. „Wir versuchen, schnellstmöglich Jobs für die Teilnehmer zu finden und sie zu verheiraten“, sagt al-Hadlak. „So sind sie beschäftigt mit ihrer Familie und ihrer Verantwortung.“

Auch der Clan wird versorgt; schließlich soll er dafür sorgen, dass das schwarze Schaf nicht wieder ausreißt. Allein für die Hochzeitsfeier hat die Regierung al-Hubaischi umgerechnet rund 25 000 Dollar spendiert; dazu stellte sie der Familie anfangs eine Gratiswohnung und 800 Dollar monatliche Stütze. „Dieses Programm hat mir die Schönheit des Lebens gezeigt“, sagt al-Hubaischi pathetisch.

Geschenkorgien für Gotteskrieger? Mohammed al-Kahtani kann es nicht fassen, wie die Regierung die einstigen Staatsfeinde pampert. „Diese Terroristen werden belohnt, aber friedliche Aktivisten wie wir werden bestraft“, schimpft der Menschenrechtler. „Gerade haben sie einen Kollegen von mir ins Gefängnis gesteckt: wegen einer Petition an den König.“ Der Professor am Institute of Diplomatic Studies in Riad sitzt in seinem Büro, umzingelt von Papierstapeln. Vor ein paar Tagen haben die Behörden die Internetseite seiner elf Mann starken NGO mal wieder gesperrt. „Hier kommen einfache Bürger schon in Haft, wenn sie jemand anruft, der als Terrorist gilt“, sagt der 44-Jährige. „Dabei war es die Regierung, die Anführer wie Bin Laden programmiert hat.“ Um solche jahrzehntealten politischen Fehler auszubügeln, seien ein paar Wochen Rehabilitation viel zu wenig. Gerade bei überzeugten Kämpfern.

Said al-Schihri ist so ein Fall. Der Ex-Guantánamo-Häftling war gerade ein paar Wochen aus dem Resort entlassen, da tauchte er unter – und als Mitgründer von al-Kaida Jemen wieder auf. Erst kürzlich rühmte er sich per Video als Drahtzieher des versuchten Bombenanschlags von Detroit im Dezember des vergangenen Jahres. Versagt hat bei al-Schihri nicht nur die Umerziehung, sondern auch die erhoffte soziale Kontrolle durch die Familie. Nach seinem Verschwinden vergingen geschlagene zwei Monate, ehe es der Vater bei den Behörden anzeigte.

Es sind vor allem die Guantánamo-Häftlinge, die den Verantwortlichen des Rehaprogramms Kopfzerbrechen bereiten. 120 Ex-Insassen haben sie rehabilitiert – jeder fünfte davon ist heute wieder Terrorist. Von den übrigen knapp 150 Teilnehmern des Programms sind nur zwei wieder rückfällig geworden. „Verglichen mit Rückfallquoten in den US-Gefängnissen von mehr als 60 Prozent ist das eine gute Bilanz“, verteidigt sich al-Hadlak.

Jede gerettete Seele ist eine Bedrohung weniger. Und so weiten die Saudis das Programm nun massiv aus: Künftig soll jeder Ex-Terrorhäftling in die Reha. Die Regierung lässt bereits fünf neue Einrichtungen für je 250 „Nutznießer“ bauen: schöner noch und größer als das Resort. Dessen Insassen werden schon bald ins benachbarte Lotus-Village umziehen, mit noch besseren Zimmern, Beachvolleyballfeld und Poollandschaft à la Las Vegas. Dabei kostet das Reha-Programm schon in der jetzigen Basisversion angeblich 40 bis 50 Mio. Dollar pro Jahr. Geld spielt bei der großen Gehirnwäsche keine Rolle.

Zum Normalbürger ist der Staat nicht so generös. Viele Städte stehen voller Bauruinen und eingestürzter Häuser. Auf den Straßen lungern junge Männer mit grünen Mappen unterm Arm herum – dem Signal: Ich bin auf Jobsuche. Offiziell sind 47 Prozent der 20- bis 24-Jährigen arbeitslos; die wirkliche Quote dürfte noch höher sein. „Das Schulsystem ist kaputt, der Arbeitsmarkt ist kaputt“, sagt der Kritiker al-Kahtani. „Versetzen Sie sich in die Lage eines durchschnittlichen jungen Saudis. Der hat keine richtige Bildung und kann nicht mal seine Hochzeit bezahlen. Viele junge Leute erwarten eine düstere Zukunft.“ So wie Chalid al-Hubaischi vor 15 Jahren.

Der einstige Bombenbauer ist zum Lieblingsgast des Prince Mohammed Bin Nayef Centre avanciert. Alle paar Wochen fliegen sie ihn ein, damit er westlichen Besuchern in fließendem Englisch vom Programm vorschwärmt. Bis in seine Heimatstadt hat sich das allerdings noch nicht herumgesprochen. Dort, erzählt er, kam neulich ein Jugendlicher auf ihn zu und sagte: „Ich weiß, was du getan hast. Du warst ein Held.“ Saudi-Arabien wird noch einige dieser Helden hervorbringen. (FTD, 9. Juli 2010)

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