Der CSU-Chef blockiert die großen Stromtrassen – und schadet so seinem Bayern. Von Claus Hecking für DIE ZEIT
Berlin - Auf diesen Schutzpatron können Bayerns Wutbürger bauen. Wendig wie eh und je hat sich ihr Landesvater Horst Seehofer an die Spitze der Bewegung gegen die beiden großen Trassen gestellt, die Elektrizität aus Nord- und Ostdeutschland künftig in den Süden leiten sollen. Seit Monaten gibt Seehofer den obersten Strommastbekämpfer. Blockiert den Bau der Hochspannungsleitungen in dem Freistaat – die seine bayerische Regierung einst gefordert und mit beschlossen hat. Bei seiner Zielklientel, den Anwohnern der geplanten Stromautobahnen, macht ihn das populär. Die anderen Bürger könnte es teuer zu stehen kommen, allen voran Bayerns Stromverbraucher.
Ohne die zwei Trassen „SuedLink“ und „Gleichstrompassage Süd-Ost“ wird es schwierig mit der Energiewende. Stehen doch die meisten deutschen Windparks im Norden und Osten der Republik. Viele große Stromverbraucher wie Bayerns Vorzeigekonzerne BMW oder Siemens haben ihre Fabriken indes im Süden. Ein Großteil der Elektrizität dort stammt aus Kernkraftwerken – noch. In Bayern etwa, mit einem Atomstromanteil von mehr als 40 Prozent, müssen bis 2022 vier Blöcke abgeschaltet werden. Dem Freistaat droht eine Stromlücke. Umso wichtiger wäre es, den Überfluss aus Schleswig-Holstein oder Sachsen-Anhalt herbeizuschaffen.
Horst Seehofer hat auch mal den Vorreiter der Energiewende gegeben: 2011, als in Fukushima die Meiler explodierten und sich der Wind drehte gegen die Kernkraft. Da konvertierte der eiserne AKW-Befürworter binnen weniger Tage zum ersten Unions-Granden, der den schnellen Atomausstieg forderte. Kurz darauf verkündete Bayerns Landesregierung: „Das Schlüsselwort für den Umbau der bayerischen Energieversorgung lautet Investitionen: (…) in neue Stromautobahnen, die Strom aus anderen Teilen Deutschlands und dem Ausland nach Bayern transportieren.“
Im Sommer 2013 stimmte Bayern im Bundesrat für „SuedLink“ und die „Gleichstrompassage Süd-Ost“. Aber als sich in seiner Heimat die Bürgerproteste gegen die vermeintlichen „Monsterleitungen“ häuften, startete Seehofer seine nächste persönliche Energiewende.
Der Herr der Nimby
Nimby (Not in my backyard, „Nicht in meinem Hinterhof“) werden im englischen Sprachraum Menschen genannt, die Neuerungen grundsätzlich begrüßen, nicht aber vor der eigenen Tür. Besonders oft trifft man den Nimby in Bürgerinitiativen gegen regenerative Energieprojekte. Und im bayerischen Regierungssitz.
Auch bayerische Windräder könnten helfen, die drohende Stromlücke im Land zu sichern. Sie könnten einen Teil zur „dezentralen Energieversorgung“ beitragen, die Seehofer als Alternative zu den Trassen propagiert. Wäre da nicht die „10 H-Abstandsregelung“, die der Landtag gerade mit CSU-Mehrheit beschlossen hat. Demnach dürfen Windräder nur aufgestellt werden, wenn sie mindestens zehnmal so weit von einer Wohnbebauung entfernt stehen, wie sie hoch sind. Bei modernen 200 Meter hohen Anlagen verlangt die 10 H-Regel nun zwei Kilometer Mindestabstand – insofern gibt es kaum noch Standorte im zersiedelten Bayern. Es sei denn, die Kommune erteilt eine Sondergenehmigung.
Seehofer nennt das „Rücksichtnahme auf unsere wunderschöne bayerische Landschaft“ – und auf lokale Nimby, denen er freien Blick bis zum Horizont und gute Grundstückspreise sichert. Den Windkraftanteil von derzeit 1,5 Prozent an Bayerns Stromerzeugung wird die 10 H-Regel sicher nicht steigern.
Energiewende auf bayrisch: mit Uralt-Erdölkraftwerken
Seehofer will stattdessen in Bayern neue Gaskraftwerke bauen lassen. Doch schon die bestehenden Anlagen schalten die Energiekonzerne nur selten an, weil sie sich wirtschaftlich kaum noch rentieren. Eon erwägt offenbar mit dem Gedanken, das hochmoderne Gaskraftwerk Irsching einzumotten, weil es nur Verluste bringt. Daher fordern die Multis Subventionen, wenn sie mehr Gaskraftwerke bereithalten sollen. Diese Zuschüsse müssten wohl umgelegt werden – auf sämtliche Stromverbraucher in Deutschland.
Schon jetzt müssen wir alle für den Leitungsengpass nach Bayern zahlen. Oft sind die Netze so überlastet, dass die Betreiber nicht ausreichend preiswerten Strom aus dem Norden und Osten gen Süden transportieren können – und vor Ort teuer nachkaufen müssen. Das treibt die Netzentgelte für uns hoch. Mehrmals musste sogar ein 40 Jahre altes Erdölkraftwerk in Österreich angeworfen werden, um einen Blackout in Teilen Deutschlands zu verhindern. Das ist nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch bedenklich.
Nach dem Abschalten der letzten bayerischen Atommeiler 2022 könnten sich solche Fälle häufen, müssten noch mehr fossile Reservekraftwerke vorgehalten werden. Ohne die beiden Trassen steigt der Druck, den deutschen Strommarkt zu spalten: in eine nördliche und eine südliche Preiszone. Laut einer norwegischen Studie, die das Magazin Spiegel zitiert, müssten Konsumenten in Bayern und Baden-Württemberg dann um bis zu zehn Prozent höhere Börsenstrompreise als in Norddeutschland befürchten. Beauftragt hat die Analyse die EU-Kommission – deren Pläne für eine Energieunion mit mehr grenzüberschreitendem Stromhandel Seehofer ebenfalls torpediert. Schließlich soll „SuedLink“ auch dazu dienen, Elektrizität von Nordeuropa nach Südeuropa zu befördern. Auch im Bundeswirtschaftsministerium kursieren bereits solche Gedankenspiele.
Seehofer lassen derlei Sachargumente offensichtlich kalt. Wie schon beim Betreuungsgeld, der Ausländer-Maut, der Mütterrente, dem Steuerprivileg für Hoteliers. Die meisten dieser Projekte folgen einem Schema: der Klientel Vorteile zuschanzen, zulasten der Allgemeinheit, welche die zusätzlichen Kosten nicht unmittelbar merkt. Heute ist Horst Seehofer Trassenkämpfer. Was er morgen macht, weiß er wohl selbst nicht.