Tausende Flüchtlinge ertrinken auf dem Weg in die EU, Hunderte versuchen durch den Eurotunnel zu gelangen, am Budapester Bahnhof drängen Menschenmassen in die Züge nach Deutschland. Doch wer Geld hat, kann sich die riskante Reise sparen. Eine Reihe von EU-Staaten öffnen reichen Russen, Chinesen oder Arabern die Hintertür. Hauptsache, sie zahlen genug. Von Claus Hecking für DIE ZEIT.
Maltas Premierminister Joseph Muscat hat eine Mission: Er will Migranten ins Land holen. Dafür jettet er durch die Welt. London, Miami, Singapur, New York, überall hat er in den vergangenen anderthalb Jahren für Maltas neues Staatsbürgerschaftsprogramm geworben. Derselbe Mann, der noch vor zwei Jahren Hunderte Flüchtlinge per Abschiebeflug zurück nach Afrika schicken wollte, preist auf Konferenzen in Luxushotels die Schönheit seiner Insel an – und ihre Steuervorteile. Malta, so schwärmte Muscat neulich, wolle »die besten Talente anziehen, die die Welt zu bieten hat«. Oder zumindest ihr Geld.
Seit rund anderthalb Jahren breitet Malta seine Arme weit aus für Einwanderer. Für die richtigen, versteht sich. Wer der Regierung 650 000 Euro zahlt und weitere 500 000 Euro in Immobilien und lokale Projekte investiert, der kann dafür binnen eines Jahres die Staatsbürgerschaft bekommen. Und einen Pass, mit dem er sich in fast allen EU-Nationen niederlassen kann. Bis zu 600 Staatsbürgerschaften und Aufenthaltsgenehmigungen will die maltesische Regierung jedes Jahr an wohlhabende Nicht-EU-Ausländer vergeben. Premier Muscat erhofft sich dadurch Zuflüsse von rund einer Milliarde Euro jährlich, etwa ein Achtel des maltesischen Bruttosozialprodukts. Und die Malteser sind nicht die einzigen in Europa, die dieses lukrative Geschäftsmodell entdeckt haben.
Goldene Visa, glänzende Geschäfte
Im Mittelmeer ertrinken Hunderte Menschen beim Versuch, in die EU zu gelangen. Einige versuchen sich, durch den mit Stacheldraht gesicherten Eurotunnel zu schlagen. Mit Zäunen und Mauern, Patrouillenbooten und Überwachungssatelliten verhindert die EU, die Einreise von Armutsmigranten.
Für wohlhabende Russen oder Chinesen hingegen öffnen einige Regierungen die Hintertür. Nicht nur Malta, auch Lettland, Portugal, Griechenland, Spanien und Ungarn ködern Geldgeber mit Aufenthaltsgenehmigungen, sogenannten Goldenen Visa. In Malta, Bulgarien und Zypern winkt Käufern von lokalen Immobilien, Aktien oder Staatsanleihen sogar die Staatsbürgerschaft. Der Preis: mehrere Hunderttausend Euro; Zypern verlangt sogar bis zu fünf Millionen.
Fast immer sind es klamme Nationen, die Goldene Visa oder Pässe verkaufen. Staaten, die von der Finanz- und Schuldenkrise besonders getroffen wurden. Lettland ist einer der Pioniere. Morgens um acht in Riga, wenn die nationale Einwanderungsbehörde die Schalter öffnet, stehen sie schon Schlange: wohlhabende Russen, Kasachen und Chinesen mit ihren Maklern und Dolmetschern, die Kaufverträge in der Hand. Manche sind erst ein paar Stunden lang Immobilieneigentümer, viele zum ersten Mal überhaupt zu Besuch im Land, die meisten bloß auf Durchreise. Und alle wollen vom Amt nur das eine: die Aufenthaltsgenehmigung. Ihr Ticket in die EU.
Das »Residence Permit«-Programm hat zwischen 2010 und 2013 mehr als 7000 Ausländer nach Lettland gelockt; neuere Zahlen sind nicht bekannt. Nicht einmal jeder Fünfte von ihnen beabsichtigt laut einer Umfrage, auch in Lettland zu leben. Aber jeder, der es sich leisten kann, Immobilien für mindestens 250 000 Euro zu kaufen, erhält eine Aufenthaltsgenehmigung für mindestens fünf Jahre. Und damit fast grenzenlosen Zugang zum Schengen-Raum. 2010, mitten in der Krise, startete die lettische Regierung das umstrittene Programm, um den maroden Immobilienmarkt zu retten. Bald ahmten andere Krisenstaaten das Modell nach: Griechenland, Portugal, Spanien.
Einfallstor für Korruption und Kriminalität
Ungarns rechtsnationaler Premier Viktor Orbán dagegen will möglichst keinen Quadratmeter kostbaren magyarischen Bodens an Ausländer preisgeben. Ihr Geld nimmt er trotzdem – in Form von Anleihen, sogenannten residency bonds. 300 000 Euro müssen die Kreditgeber dem Land pumpen. Anstelle von Zinsen kriegen sie eine Aufenthaltserlaubnis. Allerdings nur, wenn sie obendrauf einige Zehntausend Euro Gebühren zahlen: an den Staat und an dubiose private Vermittlungsagenturen. Chinesen, Vietnamesen und andere Ostasiaten sollen sich über den Hungary State Special Debt Fund einkaufen. Der residiert auf den Cayman Islands, einem berüchtigten Offshore-Finanzplatz. 2014 hat Ungarn rund 1800 Goldene Visa vergeben.
»Diese Programme befördern Korruption, Geldwäsche und Kriminalität«, sagt die portugiesische Europaabgeordnete Ana Gomes. In ihrer Heimat nahm die Polizei im November elf Staatsdiener wegen Verdachts auf Bestechung fest, darunter den Chef der nationalen Immigrationspolizei. Sie sollen Nicht-EU-Bürgern, die für weniger als die vom portugiesischen Staat geforderten 500 000 Euro Immobilien erworben hatten, gegen Schmiergeld Aufenthaltsgenehmigungen verschafft haben. Als der Skandal aufflog, musste der konservative Innenminister Miguel Macedo zurücktreten. Die Kontrollen habe der Staat seither gerade in Sachen Geldwäsche kaum verschärft, sagt die Sozialistin Ana Gomes: »Die Bewerber können ihre Immobilien sogar bar bezahlen, und niemand prüft, woher das Geld kommt.« Doch die Regierung in Lissabon denkt nicht daran, das Programm zu stoppen. Portugal habe damit in den vergangenen zwei Jahren 1,27 Milliarden Euro angezogen, sagte Vizepremier Paulo Portas im März. »Es wäre idiotisch, diese Tür zu verschließen und die anderen Staaten das Geld verdienen zu lassen.«
Wer genau sich da mit viel Geld in die EU einkauft – damit nehmen es viele Staaten nicht so genau. Die Überprüfung der wohlhabenden Einwanderer dauert mitunter gerade mal zwei Tage und ist in vielen Staaten nicht sonderlich streng. In Bulgarien versuchten zwei britische Reporter undercover an einen Pass zu kommen. Von der Vermittlungsagentur bekamen sie die Auskunft, dass selbst Bewerber mit krimineller Vergangenheit gute Chancen auf eine Staatsbürgerschaft hätten – solange sie dafür zahlten. In Griechenland erkaufte sich ein russischer Auftragsmörder eine Aufenthaltsgenehmigung und tourte damit durch Europa. 2013 wurde er von Interpol gefasst. Umso größer war der Ärger in der EU, als der Schengen-Staat Malta wenig später ankündigte, künftig nicht nur Aufenthaltsgenehmigungen, sondern sogar Staatsbürgerschaften zu verkaufen. Das Europaparlament verabschiedete daraufhin eine Resolution gegen den Passverkauf. Tatsächlich aber kann Brüssel nichts dagegen tun: Die Ausgabe von Pässen und Aufenthaltsgenehmigungen ist Sache der Nationalstaaten.
Auch die deutsche Regierung würde gern gegen die Passverkäufe vorgehen, ist aber machtlos. »Das Innenministerium ist darüber unglücklich, aber rechtlich ist das eine Grauzone«, heißt es aus Kreisen der Bundesregierung.
Malta macht derweil seinem alten Namen alle Ehre: »Malat«, phönizisch für »sicherer Hafen«. Für all diejenigen, die sich die Preise leisten können.
Willkommen in Europa
MALTA Was gibt es? Aufenthalt ein Jahr und länger oder Staatsbürgerschaft. Was kostet das? 220 000 bis 1 150 000 Euro. Wie wird gezahlt? Immobilienkauf, Investitionen in lokale Projekte.
ZYPERN Was gibt es? Staatsbürgerschaft. Was kostet das? Bis zu 5 000 000 Euro. Wie wird gezahlt? Kauf von Immobilien, Unternehmensanteilen und -anleihen.
BULGARIEN Was gibt es? Aufenthalt ein Jahr und länger oder Staatsbürgerschaft. Was kostet das? 304 000 bis 506 000 Euro. Wie wird gezahlt? Kauf von Aktien, Unternehmensanteilen, Staatsanleihen, Immobilien.
SPANIEN Was gibt es? Aufenthalt zwei Jahre und länger. Was kostet das? 500 000 bis 2 000 000 Euro. Wie wird gezahlt? Kauf von Immobilien, Unternehmensanteilen und Staatsanleihen.
PORTUGAL Was gibt es? Aufenthalt ein Jahr und länger. Was kostet das? 500 000 bis 1 000 000 Euro. Wie wird gezahlt? Kauf von Immobilien, Investitionen in Unternehmen.
LETTLAND Was gibt es? Aufenthalt fünf Jahre und länger. Was kostet das? 250 000 Euro. Wie wird gezahlt? Kauf von Immobilien.
UNGARN Was gibt es? Aufenthalt fünf Jahre und länger. Was kostet das? 360 000 Euro. Wie wird gezahlt? Kauf von unverzinsten Anleihen plus »Bearbeitungsgebühren«.
GRIECHENLAND Was gibt es? Aufenthalt zwei Jahre und länger. Was kostet das? 300 000 Euro Wie wird gezahlt? Kauf von Immobilien.