Warum der Pariser Gipfel den Durchbruch im Kampf gegen die Erwärmung bringen könnte. Von Claus Hecking für DIE ZEIT, 24.09.2015.
Der Planet läuft heiß. Nie zuvor haben die Wetterforscher auf der Welt so hohe Durchschnittstemperaturen gemessen wie in den ersten acht Monaten des Jahres 2015. Nach Berechnungen der US-Wetterbehörde wird dieses Jahr das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Dazu kommen Hitzewellen in Mitteleuropa, Dürre in Kalifornien, verheerende Zyklone im Pazifik und wieder eine große Eisschmelze in der Arktis. Selten traten extreme Wetterereignisse so gehäuft auf wie in jüngster Zeit. Verantwortlich dafür sind wohl wir Menschen, weil unsere Fabriken, Autos und Flugzeuge immer mehr Kohlendioxid (CO₂) und andere Treibhausgase in die Atmosphäre abgeben. Das soll sich nun ändern. Beim Weltklimagipfel in Paris sollen sich in zehn Wochen Vertreter von 194 Nationen darauf einigen, die Emissionen an Treibhausgasen zu beschränken.
Aber war da nicht schon mal was? 1992 in Rio de Janeiro zum Beispiel: 130 Staatsoberhäupter gelobten feierlich, den Kampf gegen die Erwärmung aufzunehmen. Seither: Konferenz um Konferenz mit Zehntausenden Beteiligten, Verhandlungen, Poker, Geschachere. Einen Vertrag, der dem Klima wirklich geholfen hätte, gibt es bis heute nicht.
Dennoch stehen die Chancen gut, dass in Paris alles anders werden wird. Zugleich ist Paris aber wohl auch die letzte Chance, den Klimawandel halbwegs in den Griff zu bekommen. Hier finden Sie die wichtigsten Fragen und Antworten zur Konferenz.
Warum ist gerade dieser Gipfel so wichtig?
- Die Zeit läuft ab.
Schon heute verändert der Klimawandel die Erde: Alpengletscher schmelzen, im Great Barrier Reef vor Australien sterben Korallen, Südsee-Inselstaaten erleiden immer häufiger Zyklone und Überflutungen, sind in ihrer Existenz bedroht. Dabei ist die Durchschnittstemperatur weltweit seit 1880 erst um etwa 0,85 Grad Celsius gestiegen. Steigen die Treibhausgasemissionen weiter wie bisher, sind in den kommenden 100 Jahren bis zu fünf Grad plus möglich. Das entspricht dem Temperaturunterschied zwischen der letzten Eiszeit und heute. Die zu erwartenden Folgen: Stürme, Fluten, Dürren, das Abschmelzen von Eispanzern nahe den Polen, ein Anstieg des Meeresspiegels, Epidemien, Flüchtlingswellen.
- Wir müssen verzichten lernen.
Um das von vielen Wissenschaftlern als gerade noch akzeptables Ziel von nicht mehr als zwei Grad Erderwärmung zu halten, dürften noch maximal 1.000 Milliarden Tonnen CO₂ in die Luft geblasen werden: rund das 30-Fache der heutigen Emissionen eines Jahres. Unter der Erde lagern aber noch fossile Energieträger mit dem gut vierfachen CO₂-Gehalt. Um das Klimaziel zu erreichen, muss das Gros dieser Öl-, Gas- und Kohlereserven im Boden bleiben.
- Die Umstellung dauert.
Woher kommt künftig der Strom? Zum größten Teil wohl noch lange aus Kohlekraftwerken, das steht fest. Viele dieser Anlagen werden noch mehrere Jahrzehnte lang betrieben. Seit der Jahrtausendwende wurde allein in China fast im Wochentakt ein neuer Meiler gebaut. Umso wichtiger ist es, den weiteren Bau solcher Kraftwerke, etwa in Indien, schnell zu stoppen. Würden neben den bestehenden Kohlekraftwerken auch nur ein Drittel der momentan geplanten Neubauten ans Netz gehen, so würden allein deren Emissionen genügen, um das Zwei-Grad-Ziel zu verfehlen.
Warum könnte jetzt der Durchbruch kommen?
- Dieses Mal schreiten die Supermächte voran.
Das Kyoto-Abkommen von 1997 ist an mangelnder Solidarität gescheitert. Einige Industriestaaten wie die USA und Schwellenländer wie China ließen sich nicht auf konkrete Verpflichtungen ein. Seit Kyoto sind die globalen Emissionen dann auch nicht wie angepeilt um fünf Prozent bis 2012 gefallen, sondern um mehr als die Hälfte gestiegen. Heute machen einige Konstellationen in Weltpolitik und -wirtschaft einen Deal wahrscheinlicher. Barack Obama und Xi Jinping sind die Hoffnungsträger von Paris. Die Präsidenten der USA und China haben sich jüngst erstmals konkret festgelegt, die CO₂-Emissionen ihrer Nationen zu begrenzen. Die Amerikaner wollen sie im kommenden Jahrzehnt um bis zu 28 Prozent gegenüber 2005 eindämmen, die Chinesen wollen sie von 2030 an senken. Das könnte die weltweite Wende einleiten – nicht nur weil die beiden Staaten zusammen mehr als 40 Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes verantworten. Obama und Xi kommt auch eine Führungsrolle zu. Vereinbaren sie in Paris oder schon in den nächsten Tagen bei der UN-Vollversammlung einen großen Deal, könnten ihnen Dutzende Staaten folgen.
- Die Leugner des Klimawandels verstummen.
Bei vergangenen Gipfeln zweifelten Vertreter einiger Staaten am menschengemachten Klimawandel. Heute herrscht bis auf vereinzelte Ausnahmen breiter Konsens, dass der Mensch verantwortlich ist. Und weil die Umweltveränderungen immer augenscheinlicher werden, wächst der öffentliche Druck, dass endlich ein Abkommen zustande kommt. Selbst der Papst gibt nun den Klimakämpfer. Es sei „dringend geboten“, fordert Franziskus in seiner neuen Enzyklika, „in den nächsten Jahren den Ausstoß von Kohlendioxid (…) drastisch zu reduzieren.“
- Die Energiewende wird bezahlbar.
Technischer Fortschritt und Massenproduktion machen grünen Strom billiger. Die Preise für Solarmodule etwa sind in den vergangenen sechs Jahren um rund drei Viertel gefallen. Selbst im nicht gerade sonnenverwöhnten Deutschland können Privathaushalte ihren Strom mit der eigenen Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach heute billiger erzeugen, als ihn über das öffentliche Netz einzukaufen. Noch viel größere Mengen Elektrizität zu noch niedrigeren Preisen können Windparks liefern. Beide Technologien sind daher auch ohne Subventionen vielerorts massentauglich geworden. Vor allem China und die USA setzen nun im großen Stil auf grünen Strom aus Wind und Sonne. Weitere Milliarden könnte der Abbau von Subventionen für fossile Energien freisetzen. Laut OECD liegen diese zwischen 160 und 200 Milliarden Dollar pro Jahr.
- Klimaschutz kann Geld bringen.
Immer wieder sind Klimagipfel am Streit zwischen Industrie- und Schwellenländern gescheitert. Die aufstrebenden Nationen fürchten um ihre Entwicklungschancen, wenn sie zum Wohl des Klimas ihren Kohle- und Ölverbrauch einschränken sollen. Vor allem die Pazifikinseln leiden zudem stark an den Folgen der Erwärmung – für die hauptsächlich die Industrieländer verantwortlich sind. Um armen Staaten den Klimaschutz zu erleichtern und sie gegen Schäden zu wappnen, haben die reichen Nationen versprochen, von 2020 an jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar für sie zu mobilisieren, wenn sie im Gegenzug ihre Emissionen reduzieren. Das Gros des Geldes soll vom Green Climate Fund der UN verwaltet und an die Hilfsbedürftigen verteilt werden.
- Die Wirtschaft will einen Deal.
Selbst Big Oil macht Druck auf die Unterhändler. „Wir rufen die Regierungen auf (…), Preissysteme für den Kohlenstoffausstoß einzuführen“, schrieben die Chefs von BP, Shell, Total sowie von drei weiteren großen europäischen Öl- und Gaskonzernen im Sommer an die Vereinten Nationen und die Pariser Klimakonferenz. Hinter dem Appell steckt wohl weniger die Sorge um das Klima als vielmehr das Verlangen nach Planungssicherheit: Die Manager wissen, dass der Ausstoß von Treibhausgasen früher oder später vielerorts ohnehin sanktioniert werden wird. Doch nur wenn klar ist, wie teuer es wird, können die Multis kalkulieren, ob sich langfristige Investitionen lohnen. Zudem hoffen sie, dass ihr Erdgas die schmutzigere Kohle als Stromquelle verdrängt. Auch andere Branchen wie Maschinenbauer versprechen sich große Geschäfte, sollte die Weltwirtschaft auf Technologien umschwenken, die das Klima weniger belasten.
- Großinvestoren legen ihr Geld grün an.
Was haben Norwegens 740 Milliarden Dollar schwerer Staatsfonds, Frankreichs Versicherungsriese Axa, die Kirche Englands und die Rockefellers gemeinsam? Sie alle ziehen ihr Geld aus der Kohle- oder Ölindustrie ab. „Divestment“ nennen Umweltaktivisten diesen neuen Trend. Hinter ihm stecken auch handfeste ökonomische Gründe. So warnte kürzlich selbst die Bundesregierung Banken davor, im fossilen Energiesektor zu investieren. Schließlich könnten die Konzerne große Vermögenswerte abschreiben müssen, falls sie wegen des Klimawandels eines Tages keine Kohle und kein Erdöl mehr fördern dürfen. Letzteres aber wird wohl nur geschehen, wenn wirklich mal ein Klimaabkommen zustande kommt.
Woran kann der Gipfel scheitern?
- Trittbrettfahren lohnt sich.
Fast 200 Staaten und Akteure wie die EU werden in Paris verhandeln, und jeder hat eigene Interessen. Senkt ein Land seine Emissionen, nützt das zwar der Gemeinschaft, für das Land selbst aber bedeutet es zunächst Belastungen: etwa höhere Staatsausgaben oder höhere Strompreise. Entsprechend groß ist der Anreiz für Regierungen, weiterzumachen wie bisher – und Unternehmen mit niedrigen Energiepreisen zu locken. Zudem hängen die Budgets so mancher Staaten an Einkünften aus dem Verkauf von Öl und Gas. Kaum vorstellbar, dass sie Interesse an einer Welt ohne Öl- und Gasverbrauch haben. Auch in Deutschland ist die Fossil-Lobby stark. Die Kohlewirtschaft hat der großen Koalition kürzlich erst Milliardenprämien dafür abgetrotzt, dass sie Uralt-Meiler stilllegt.
- Armutsbekämpfung ist vielen Staaten wichtiger.
Wirtschaftswachstum und Wohlstand hängen stark vom Energieeinsatz ab. Gerade in großen asiatischen Schwellenländern mit ihren Hunderten Millionen Einwohnern ist die Kohle fast unersetzbar, da sie reichlich vorhanden und ein extrem preiswerter Stromlieferant ist. Indiens Regierung etwa will den rapide steigenden Kohlekonsum kaum eindämmen. Ihr ist die breite Elektrifizierung und Industrialisierung der Nation wichtiger.
- Öl, Kohle und Gas sind (wieder) zu billig.
Als die Gallone (3,78 Liter) Benzin vor ein paar Jahren vier Dollar kostete, motteten Hunderttausende US-Bürger ihre Pick-ups und Monstertrucks ein und kauften sparsamere Automobile. Nun, da der Sprit in den USA nur noch gut halb so teuer ist, feiern die PS-Monster ein Comeback. Dazu kommt: Kaum etwas dürfte Windparks, Solaranlagen oder Energiesparen so unattraktiv machen wie die fallenden Preise für Kohle. Es ist eine Krux: Je entschlossener sich die Menschheit von fossilen Energieträgern verabschiedet, desto stärker dürften deren Preise fallen – und desto lohnender wird es, sie zu verfeuern. Lösen lässt sich dieses Dilemma nur über globale CO₂-Steuern oder einen Handel mit Verschmutzungslizenzen, wie ihn die EU schon eingeführt hat. Eine Regelung für die ganze Welt ist nicht in Sicht.
- Die Reichen wollen nicht für die Verlierer des Klimawandels bezahlen.
So gut die 100 Milliarden US-Dollar für die Armen aus dem Green Climate Fund der UN zunächst klingen: Tatsächlich wollen die Regierungen der reichen Nationen das Geld nur zum kleinen Teil selbst bereitstellen; den Rest sollen private Investoren geben. Bei den Klimaverhandlungen von Lima vor einem Jahr kamen von den Vertretern der Industriestaaten Zusagen über zehn Milliarden Dollar zusammen. Und selbst diese Zusage könnte platzen. Die USA etwa haben ihre versprochenen drei Milliarden noch nicht bereitgestellt – zum Entsetzen potenzieller Empfänger. „Wir haben keine Versicherung, dass auch nur ein Bruchteil des versprochenen Geldes geliefert wird“, sagt Tony de Brum, Außenminister der Marshallinseln im Pazifik. „Das ist eine Vertrauenslücke, die vor Paris gestopft werden muss.“
Was wird in Paris erreicht?
Es wird wohl irgendein Abkommen feierlich unterzeichnet werden. Dieses wird aber kaum ausreichen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Bislang haben 62 Staaten, die etwa 70 Prozent der weltweiten Emissionen verursachen, konkrete Zusagen für Paris abgegeben. (Update 12.10.2015: Mittlerweile sind es 151 Staaten.). Nach Berechnungen von vier Forschungsinstituten bedeuten diese Zusagen, so die Staaten sie einhalten, eine Erderwärmung von drei Grad. (Update 12.10.2015: Augenblicklicher Stand: etwa 2,7 Grad plus.) Ein Pariser Abkommen müsste also ein Auftakt für weitere Runden sein, in denen die Staaten nachbessern müssen, wenn sie nicht wollen, dass manche Verhandlungspartner eine Insel vertreten, die es schon bald nicht mehr gibt.