China und die USA sind die weltgrößten Verursacher von Treibhausgasen. Nun wollen sie gemeinsam ergrünen – sagen sie. Von Heike Buchter und Claus Hecking für DIE ZEIT, 15.10.2024
Washington - Die PR-Strategen im Weißen Haus und in der Pekinger KP-Zentrale werden vor der Pariser Klimashow wohl viele kleine Probleme lösen müssen, ehe ihre Präsidenten die großen Probleme des Planeten angehen. Wo im Tagungszentrum Le Bourget sollen die Scheinwerfer, Mikrofone, Fotografen stehen? Und wo die zwei mächtigsten Männer der Welt? Sollen sich Barack Obama und Xi Jinping bloß die Hand geben oder einander auf die Schulter klopfen wie vor elf Monaten, als sie verkündeten, die USA und China würden nun vereint die Erderwärmung bekämpfen? Wird es eine neue gemeinsame Erklärung geben? Wenn ja, wer darf sie zuerst präsentieren?
Auf jeden Fall werden die Bilder von diesem 30. November, dem ersten Tag des Gipfels, um die Welt gehen. Sie werden den Schulterschluss zwischen Ost und West zeigen, zwischen dem größten Schwellen- und dem führenden Industrieland, zwischen zwei Nationen, die sich bis dato kaum im Kampf gegen den Klimawandel engagiert haben. Sie werden Millionen Menschen Hoffnung machen. Vor allem aber sollen sie andere Staatenlenker dazu animieren, sich am großen Klimavertrag von Paris zu beteiligen.
Seit Monaten machen sich Obama und Xi stark für das globale Abkommen, das den Kohlendioxidausstoß bremsen soll. „Ambitioniert“ solle die Einigung sein, fordern die Präsidenten der beiden weltgrößten Klimasünder in ihrem gemeinsamen Aufruf von Ende September. Ihre eigenen Klimaschutzbeiträge allerdings sind nicht sehr ambitioniert. Und es ist fraglich, ob selbst diese moderaten Versprechen je eingelöst werden.
Obama verkündet, den Treibhausgas-Ausstoß im kommenden Jahrzehnt um bis zu 28 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren. Xi gelobt, dass Chinas Emissionen spätestens nach 2030 nicht mehr steigen werden. Das klingt gut. Tatsächlich sind beide Versprechen vor allem: unverbindlich.
USA: Laxe Ziele, Rechentricks – und ein drohender Machtwechsel
Zwar hat Barack Obama in seinem vorletzten Amtsjahr damit begonnen, die Umweltschutzagenda umzusetzen, wegen der ihn viele Bürger 2008 ins Weiße Haus gewählt hatten. Er hat den Autoherstellern verschärfte Normen für den Benzinverbrauch aufgezwungen und den Kraftwerksbetreibern strengere Schadstoffregeln. Er hat Staatsgeld bereitgestellt, um Solaranlagen zu finanzieren. Und er hat im August den Clean Power Plan ins Leben gerufen, dessen Umsetzung die Kohlendioxid- (CO₂-)Emissionen der Stromindustrie binnen 15 Jahren um 32 Prozent verringern soll.
Das Problem: Der Plan ist kein Gesetz. Er ist nie vom Kongress verabschiedet worden. Dort hätte die republikanische Mehrheit ihn scheitern lassen. Stattdessen hat Obama seine Umweltbehörde angewiesen, eine Verordnung zu erlassen. Der nächste US-Präsident könnte sie einfach aufheben. Ob Amerikas Industrie sich auf grünere Zeiten einstellen muss, entscheidet sich daher nicht im November in Paris, sondern ein Jahr später in den USA: bei der Präsidentschaftswahl. Sollte dann ein Republikaner ins Weiße Haus einziehen, dürfte Obamas Versprechen Makulatur sein.
Die Republikaner haben den Streit über den Klimawandel zur Glaubensfrage gemacht. Fast alle ihre Spitzenpolitiker weigern sich – zumindest öffentlich –, als wissenschaftlich erwiesen anzuerkennen, dass die Erwärmung der Erde menschengemacht ist. Sie treffen damit einen Nerv vieler Amerikaner. Das Umweltthema spaltet die US-Gesellschaft wie sonst allenfalls Abtreibung. In einer Umfrage der Yale University vom Sommer gaben zwar 63 Prozent der Teilnehmer an, der Klimawandel sei real. Allerdings glaubten nur 48 Prozent, der Mensch verursache ihn.
Die politische Rechte versucht dies zu nutzen, indem sie die Klimapolitik mit einer Debatte um Sozialpolitik verknüpft. Der Kampf gegen den Klimawandel, so behaupten sie, werde auf dem Rücken des kleinen Mannes ausgetragen, der dafür mit höheren Energiekosten zahlen müsse. Demnach ist Obamas „Krieg gegen Kohle“ ein Krieg gegen die Menschen in Staaten wie West Virginia, deren Kohleindustrie in den vergangenen Jahren an den Rand des Ruins geraten ist. Eine Verschwörung der urbanen Welteliten gegen einfache Arbeiter, denen erst die Globalisierung und jetzt Umweltauflagen aus Washington die Lebensgrundlage entziehen. Robert Bryce, ein Stratege der konservativen Denkfabrik Manhattan Institute, behauptete kürzlich gar, Obamas Umweltstandards würden den US-Lebensstandard auf das Niveau Nordkoreas senken.
Tatsächlich wurden in Obamas Amtszeit zahlreiche Kohlekraftwerke abgeschaltet, in wenigen Jahren wird das 200. an der Reihe sein. Das wären dann fast 40 Prozent der 523 Anlagen, die noch zu Beginn von Obamas Präsidentschaft qualmten.
Allerdings hat der Niedergang der Kohle eher ökonomische als ökologische Gründe. Schließlich hat der Boom des Frackings heimisches Erdgas drastisch verbilligt. Das Gas nimmt der Kohle Marktanteile bei der Stromerzeugung ab. Daher motten die US-Energieversorger viele nicht mehr wettbewerbsfähige Kohlekraftwerke ein, die teils noch aus den 1950er-Jahren stammen. Da Erdgas auch weniger CO₂-Emissionen verursacht, hat die Branche den Ausstoß seit 2005 schon um gut 15 Prozent gesenkt – aus vorwiegend kommerziellen Gründen. Der Clean Power Plan ist fast zur Hälfte erfüllt.
Zudem trickst Obama mit der Statistik. Als Bezugsjahr für die Senkung der Emissionen um bis zu 28 Prozent wählt er nicht wie international üblich 1990, sondern 2005. Aus gutem Grund: In den anderthalb Jahrzehnten vor 2005 stieg der CO₂-Ausstoß massiv. Verglichen mit 1990, werden die Amerikaner bestenfalls 14 Prozent schaffen.
China: Bloß nicht festlegen
Die Chinesen sind noch weniger ambitioniert als die Amerikaner. Xi sagt lediglich, dass die Emissionen nach 2030 nicht steigen sollen. Er sagt nicht, wie stark sie bis zu jenem Höhepunkt steigen dürfen. Und er sagt auch nicht, wie sehr sie danach sinken sollen.
Dass Peking propagiert, die Emissionen, gemessen an der Wirtschaftsleistung bis 2030, um bis zu 65 Prozent gegenüber 2005 verringern zu wollen, verhindert deren Anstieg nicht zwingend. Die Wirtschaftsleistung selbst wächst schließlich weiter, in absoluten Zahlen könnten dann auch die Emissionen weiterwachsen. Und über das Ausmaß des Klimawandels entscheidet die CO₂-Menge in der Atmosphäre, nicht die von Xi versprochene Verlaufskurve.
„Chinas Führung nimmt den Umweltschutz durchaus ernst“, sagt Jost Wübbeke, Energieexperte des Berliner Mercator Institute for China Studies. „Aber wenn Umwelt und Wirtschaft miteinander kollidieren, wird die Regierung im Zweifelsfall immer der Wirtschaft Vorrang geben.“
Xi hält sich alle Möglichkeiten offen – damit er in jedem Fall gute Nachrichten verkünden kann: Flaut das Wachstum der Wirtschaftsleistung ab, worauf einiges hindeutet, kann er sich als Klimaschützer geben. Nimmt es doch wieder zu, steht der Wirtschaft keine CO₂-Obergrenze im Weg.
Dabei hat China womöglich schon jetzt, anderthalb Jahrzehnte vor 2030, den Höhepunkt seiner Emissionen erreicht. Vergangenes Jahr sank der CO₂-Ausstoß dem Nachrichtendienstleister Bloomberg zufolge um zwei Prozent. 2015 könnte es sogar noch mehr werden, sagt Li Shuo, Leiter des Büros Klimapolitik bei Greenpeace China. „Man könnte das deutsche Wort Energiewende benutzen für das, was gerade geschieht.“
Die Volksrepublik baut mehr Wind- und Solar- und Atomkraftwerke als jedes andere Land. Dadurch – und durch das nachlassende Wirtschaftswachstum – sinkt seit anderthalb Jahren auch die Kohlenachfrage. Greenpeace erwartet für 2015 etwa sechs Prozent Minus; die sechs Prozent entsprächen in etwa dem Kohle-Jahresverbrauch Deutschlands und Großbritanniens zusammen. Ein kleiner Fortschritt, doch machen diese Dimensionen auch klar: Chinas Kohleverbrauch ist das größte Risiko für das Weltklima.
Die Abhängigkeit von der Kohle zu reduzieren dürfte in Xis eigenem Interesse sein. Umweltzerstörung ist schließlich ein großes Thema in China geworden. In einer Studie des Pew Research Center vom Frühjahr, welche Entwicklungen die Chinesen als bedrohlich empfinden, lagen Luft- und Wasserverschmutzung auf den Plätzen zwei und drei, knapp hinter Korruption. Auch diesen Winter werden wieder Bilder vom grauen Smog vor der Verbotenen Stadt und von Menschen mit Atemmasken vor Mund und Nase für Aufsehen sorgen. „Xi hat erkannt, dass er dieses Problem lösen muss“, sagt Greenpeace-Stratege Li.
Allerdings muss der Präsident dafür nicht gleich alle Kohlekraftwerke abschalten. Feinstaub, Stickoxide, Schwefeldioxid – die gefährlichen Chemikalien in Abgasen lassen sich auch durch Filteranlagen eindämmen. Das für den Menschen ungiftige Klimagas Kohlendioxid gelangt dann aber weiterhin in die Atmosphäre.
Prinzipiell plant Xi auch, den CO₂-Ausstoß weiter zu senken. 2017 etwa soll ein nationaler Handel mit Emissionsrechten nach EU-Vorbild starten. Um jeden Preis wird das aber nicht passieren. „Unvorhersehbare wirtschaftliche Schwierigkeiten könnten diese Transformation stoppen“, sagt Greenpeace-Experte Li Shuo. Entsprechend unverbindlich sind Pekings Versprechen für Paris.
Und sie bewegen sich doch
Dem Klima wird das nicht guttun. Das seit Jahren von Wissenschaftlern beschworene Ziel, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen auf höchstens zwei Grad zu begrenzen, um die Folgen des Klimawandels einigermaßen unter Kontrolle zu halten, lässt sich mit den bisherigen Beiträgen Chinas und der USA nicht einhalten.
Immerhin wird aber nach zahlreichen gescheiterten Konferenzen wohl das erste große internationale Klimaabkommen zustande kommen, an dem sich beide Supermächte beteiligen. Ohne Obamas und Xis Engagement wäre dieser Vertrag nicht denkbar – und auch sinnlos. Verursachen ihre Staaten doch zusammen 40 Prozent aller CO₂-Emissionen.
Dieser Gipfel wird das Klima nicht retten. Aber er könnte nach unzähligen gescheiterten Konferenzen die Wende einleiten – falls die Staaten das Abkommen in den nächsten Jahren nachbessern. Und ernst machen mit der viel beschworenen Dekarbonisierung, der Abkehr von Kohle, Öl und Gas.
Paris ist nur ein Anfang. Immerhin: Sie fangen mal an.
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