„Dann heißt es Game Over“


Der Klimawandel vernichtet Korallenriffe weltweit, warnt der Ozeanforscher Ove Hoegh-Guldberg.

DIE ZEIT: Herr Professor, vor einem Jahr hat sich Barack Obama beim Besuch Ihrer Universität in Brisbane gewünscht, dass seine Enkelkinder in 50 Jahren noch das Great Barrier Reef bewundern können. Wird sich dieser Wunsch erfüllen?

Ove Hoegh-Guldberg: Nur dann, wenn der Klimawandel erheblich gebremst wird. Das Great Barrier Reef ist in großer Gefahr, vernichtet zu werden. Seit Mitte der 1980er Jahre ist gut die Hälfte der Korallen verschwunden. Nie seit Beginn der Forschung war das Riff in einem so schlechten Zustand wie heute, und die Wassertemperaturen sind zurzeit wieder extrem hoch. Aller Voraussicht nach werden wir Anfang 2016 die nächste Massen-Korallenbleiche und das nächste Massensterben erleben – zum dritten Mal in nicht einmal 20 Jahren. Wir erwarten, dass es Riffe weltweit trifft.

ZEIT: Klingt apokalyptisch. Malen Sie schwarz?

Hoegh-Guldberg: Auch ohne Massenbleiche verliert das Great Barrier Reef jedes Jahr Korallen. Geht das so weiter, werden 2035 vielleicht noch zehn Prozent des Bestandes von 1980 übrig sein.

ZEIT: Wie kommt es zu diesem Massensterben?

Hoegh-Guldberg: Es gibt drei Hauptursachen. Erstens tropische Wirbelstürme: Sie haben rund die Hälfte der Zerstörungen verursacht.

ZEIT: Sind die Zyklone Folge des Klimawandels?

Hoegh-Guldberg: Bewiesen ist das nicht, aber der Verdacht liegt nahe. Die mittlere Oberflächentemperatur des Korallenmeers ist in den vergangenen 50 Jahren um etwa 0,6 Grad Celsius gestiegen, also wird mehr Energie beim Verdunsten frei. In den vergangenen zehn Jahren haben gleich fünf Zyklone der Kategorie 5 das Riff getroffen, davor gab es den letzten derart starken Sturm im Jahr 1940. Und das Nachwachsen der Korallen nach solchen Schäden dauert jetzt auch länger.

ZEIT: Und zweitens?

Hoegh-Guldberg: Der Dornenkronen-Seestern, ein Korallenräuber, hat sich stark vermehrt. Wichtigste Ursache der Plage ist wohl die Küstenverschmutzung. Gelangen Düngemittel von Farmen zweiins Wasser, wachsen dort mehr Algen, von denen sich die Seestern-Larven ernähren. Das kommt nicht direkt vom Klimawandel, aber die Indizien verdichten sich, dass es einen Link zwischen Algenblüten und vom Klimawandel ausgelösten Überflutungen gibt. Zudem wachsen die Seestern-Larven in wärmerem Wasser schneller.

ZEIT: Was ist mit den Korallenbleichen?

Ove Hoegh-Guldberg

Mit Korallen kennt sich Ove Hoegh-Guldberg aus wie kein anderer. Der 56-jährige Meeresbiologe von der Universität Brisbane wies als erster Forscher präzise nach, wie stark der Klimawandel die Riffe zerstört. Hoegh-Guldberg hat diverse Auszeichnungen erhalten, zuletzt 2014 den Climate Change Award der Stiftung von Monacos Fürst Albert II.

Hoegh-Guldberg: Das ist der dritte große Faktor. Steigende Wassertemperaturen destabilisieren die uralte Symbiose zwischen Korallen und winzigen einzelligen Organismen, die in ihrem Gewebe leben. Diese algenähnlichen Kreaturen versorgen die Korallen mit Energie und verleihen ihnen die bunten Farben. Wird das Wasser zu warm, produzieren die Mikroalgen Giftstoffe und werden von der Koralle abgestoßen. Die Koralle bleicht aus, wird geschwächt. Kühlt sich das Wasser nicht binnen weniger Wochen ab, sterben mehr und mehr Korallen.

ZEIT: Ist das Great Barrier Reef schon verloren?

Hoegh-Guldberg: Nein, aber wir sind die letzte Generation, die eine Chance hat, dieses und viele andere Riffe weltweit zu retten.

ZEIT: Was müssen wir dafür tun?

Hoegh-Guldberg: Aggressiv dekarbonisieren, also schnellstmöglich das Verheizen von Kohle oder Erdöl zurückfahren.

ZEIT: Für Paris haben mehr als 160 Staaten Versprechen abgegeben, Emissionen einzudämmen. Das könnte den mittleren weltweiten Temperaturanstieg auf 2,7 Grad begrenzen.

Ove Hoegh-Guldberg in seiner Forschungsstation Heron Island © privat

Hoegh-Guldberg: Für die Korallenriffe ist das viel zu viel: Jeder Anstieg von mehr als 1,5 Grad Wassertemperatur bedeutet, dass die Riffe noch stärker zerstört werden. Bei plus 2 Grad werden wir ein verbreitetes globales Korallensterben erleben. Geht die Erwärmung klar über 2 Grad hinaus, heißt es für das Great Barrier Reef und viele andere Warmwasser-Korallenriffe in der ganzen Welt: game over.

ZEIT: Australiens Regierung hat erklärt, sie wolle alles dafür tun, das Riff zu schützen …

Hoegh-Guldberg: … und gleichzeitig entstehen neue Minen und Häfen. Jede Tonne Kohle, die bei uns aus dem Boden geholt und anderswo verbrannt wird, trägt dazu bei, das Great Barrier Reef zu zerstören. Das ist ein Tod durch tausend Nadelstiche.

ZEIT: Für Taucher wäre das Verschwinden der Korallenriffe ein herber Verlust. Anderen Menschen wäre es herzlich egal.

Hoegh-Guldberg: Sollten die Korallenriffe absterben, hätte das Folgen für alle. Rund ein Viertel aller Fische lebt in diesen Ökosystemen. Wenn die Riffe verschwinden, sterben viele Arten aus, verändern sich ganze Nahrungsketten. Zudem sind Riffe ein Wirtschaftsfaktor: Allein das Great Barrier Reef bringt Australien mehr als fünf Milliarden australischen Dollar Einnahmen pro Jahr und über 60 000 Arbeitsplätze. Weltweit sind etwa 500 Millionen Menschen auf Korallenriffe angewiesen: für den Fischfang, für den Tourismus – und vor allem, weil die Riffe die Küsten schützen.

ZEIT: Selbst wenn wir den Temperaturanstieg eindämmen: Könnte das Korallensterben denn überhaupt noch gestoppt werden?

Hoegh-Guldberg: Ja, sofern wir das Riff auch anderweitig besser schützen: weniger Fischerei, weniger Verschmutzung, weniger Kohletransporte. Schaffen wir das, bin ich sogar optimistisch, dass Korallen in einige Lebensräume am Reef zurückkehren, etwa von Mitte des Jahrhunderts an. Wäre es nicht wunderbar, wenn dann Barack Obamas Enkelkinder und Besucher aus der ganzen Welt bestaunen könnten, wie alles wieder aufblüht?

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