Energiewende: Wer zahlt für die Atom-Altlasten?


Eine Kommission soll Vorschläge machen. Doch ein Dilemma ist nicht zu lösen: Entweder gehen RWE und Co pleite – oder der Staat zahlt für ihren Müll. Von Petra Pinzler und Claus Hecking für DIE ZEIT

Berlin - Dumm gelaufen. Dieses Fazit wird die Atomkommission in den kommenden Tagen ziehen. Garniert mit vielen Zahlen und schönen Worten werden die 19 Experten in ihrem Abschlussbericht zugeben müssen, was viele längst ahnen: Die Kernkraftgegner hatten recht. Die Produktion von Atomstrom ist nicht nur gefährlich, sondern auch teuer – und das noch lange nachdem das letzte Kraftwerk verschwunden sein wird.

Drei Monate lang hat die „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs“ getagt, einberufen von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, geleitet vom schwarz-rot-grünen Trio Ole von Beust, Matthias Platzeck und Jürgen Trittin. Die Experten sollten herausfinden, wo das Geld für den Rückbau der Meiler und die Beseitigung des Atommülls herkommen soll. Einerseits, so die politische Vorgabe, möge beides den Steuerzahler doch bitte möglichst wenig kosten. Andererseits dürften die Atomkonzerne nicht so stark belastet werden, dass sie dadurch pleitegingen.

Damit war von Anfang an klar: Es gibt keine einfache Lösung. Theoretisch könnte die Politik den Energieriesen zwar die Rückstellungen wegnehmen, die sie qua Gesetz für den Rückbau der Meiler und die Lagerung des Mülls ansparen mussten. Auch für Folgeschäden könnte sie die Energiekonzerne in die Haftung nehmen. Frei nach dem Motto: Der Verursacher zahlt alles.

RWE kürzte in Jahr drei der Energiewende die Investitionen für Erneuerbare

Doch das wäre vor ein paar Jahren vielleicht möglich gewesen als RWE, E.on, Vattenfall und EnBW noch viele Milliarden Euro mit Atomstrom verdienten. Heute geht das nicht mehr, längst sind die Gewinne ausgeschüttet, und jetzt geht es den Energieversorgern schlecht. Schlimmer noch: Auch die Rückstellungen liegen nicht einfach bei einer Bank. Sie stecken in den Unternehmen. Würde die Regierung zu schnell zu viel Geld abziehen, würde sie womöglich diejenigen in die Pleite treiben, die sie doch noch zur Kasse bitten will. Und dann müsste sie selbst für den Atommüll zahlen.

Besondere Probleme macht dabei ausgerechnet der Konzern, bei dem die Politik stets besonders viel zu sagen hatte: RWE. Der Riese aus dem Ruhrgebiet ist der Verlierer der Energiewende – und trägt selbst viel Schuld daran. Rund 25 Milliarden Euro Börsenwert hat er seit 2011 eingebüßt. Keine 8 Milliarden Euro ist er den Anlegern heute noch wert; Wettbewerber E.on etwa wird mehr als doppelt so hoch bewertet. Viel zu lange hat RWE ignoriert, dass das Geschäft mit den fossilen Energien immer schlechter funktionierte. Noch 2012 eröffnete der Konzern ein gigantisches Braunkohlekraftwerk. Ende 2013, im Jahr drei der Energiewende, kürzten die Manager der Öko-Tochter Innogy die Mittel für Investitionen. 2014 erzeugte der Konzern nicht einmal fünf Prozent seines Stroms mit regenerativen Energien. Bei E.on war es immerhin doppelt so viel.

Bildschirmfoto 2024-02-19 um 11.16.43Erst vor zwei Monaten änderte Konzernchef Peter Terium die Strategie – und beschloss, das Geschäft mit erneuerbaren Energien, Netzen und Vertrieb in eine neue Gesellschaft mit dem Arbeitsnamen NewCo auszugliedern. Offenbar hält Terium diesen Bereich für RWEs Zukunft: Vergangene Woche soll er laut Eingeweihten entschieden haben, seinen Vorstandsjob bei RWE für den gleichen Posten bei NewCo aufzugeben. Irgendwann, so hofft er wohl, werde RWE mit der Tochter schon das große Geld verdienen.

Genau dieses „irgendwann“ aber ist das Problem der Politik: Wie viel Geld kann man einem solchen Konzern heute entziehen, um die Altlasten der Atomkraft zu bezahlen – ohne ihn zugleich in die Pleite zu treiben? Noch arbeiten fast 60.000 Menschen bei RWE, ganze Regionen werden mit RWE-Strom versorgt, klamme Kommunen in Nordrhein-Westfalen halten Anteile, hoffen auf Dividenden.

Beschließt Berlin die nächste „Lex RWE“?

Schon im vergangenen Herbst hatte sich die Regierung aus ebendiesen Gründen spendabel gezeigt: Statt, wie zuerst geplant, eine Klimaabgabe auf besonders dreckige Braunkohlekraftwerke zu erheben, versprach sie den Stromkonzernen sieben Jahre lang im Schnitt je 230 Millionen Euro dafür, dass sie acht Uraltmeiler für den Fall von Engpässen in Bereitschaft halten. Fünf davon betreibt RWE, sie alle sind so alt und ineffizient, dass sie wohl sowieso bald in Rente gegangen wären. So aber wird RWE ihr Vorruhestand mit mehr als 800 Millionen Euro vergoldet. Zahlen müssen es die Stromverbraucher. Eine „Lex RWE“ sei die sogenannte Braunkohle-Reserve, heißt es in der Berliner Politik.

Folgt die Atomkommission der gleichen Logik, und ungefähr das ist ja ein Teil ihres Auftrags, wird auch sie die Konzerne schonen müssen. Sie wird ihnen zwar einen Teil der Rückstellungen wegnehmen können, um die in einem Fonds zu sichern. Dies aber kann nicht sofort geschehen, sondern nur nach und nach, quasi in einer RWE-verträglichen Form. Und sie könnte, so hört man von Teilnehmern der Kommission, wohl auch die Haftung für den Atommüll nicht ganz allein bei den Versorgern lassen – so wünschenswert das wäre.

Große politische Peinlichkeiten kommen manchmal weniger schlimm daher, wenn man sie in kleine Portionen stückelt. Ebendies wird auch in der Kommission diskutiert. So könnte beispielsweise die Haftung für den Atommüll in kleinere, nicht mehr ganz so teuer erscheinende Portiönchen aufgeteilt werden. Für die Stilllegung ihrer Kraftwerke etwa könnten die Unternehmen ganz allein verantwortlich bleiben. Dafür haben sie die Fachleute. Bei Haftung und den Endlagerkosten kann man zumindest für eine Mitbeteiligung des Staates plausible Argumente finden. Schließlich gibt es das Lager aus politischen Gründen bis heute noch nicht.

Am Ende geht es allerdings bei allen Entscheidungen, egal, wie klein sie proportioniert werden, nicht nur um Milliarden von Euro. Sondern um die grundsätzliche Frage, wie sehr die Wirtschaft für die Folgen ihres Handelns verantwortlich gemacht werden kann. Und wie sehr die Politik es zulässt, dass Gewinne privatisiert, Verluste aber vergemeinschaftet werden.

Eines ist schon jetzt klar: Wann immer jemand künftig über die Kosten der Energiewende und der Erneuerbaren klagt, kann man auf die Atomkraft verweisen. Und darauf, dass die regenerativen Technologien uns solche Folgekosten niemals einbrocken werden.

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