Nichts fürchtet die Tabaklobby mehr als Schockfotos auf Zigarettenpackungen. Vor lauter Panik kämpfen die Hersteller sogar gegeneinander. Von Claus Hecking für DIE ZEIT, 17.3.2016.
Hamburg - Es ist der verordnete GAU für jedes Genussmittel. Künftig müssen Tabakhersteller auf die Packungen drucken, was ihre Produkte anrichten können: Mal hustet auf den Fotos eine Frau Blut ins Taschentuch, mal steht ein Paar vor einem Babysarg, darunter die Unterzeile: „Rauchen kann Ihr ungeborenes Kind töten.“
Vom 20. Mai an dürfen Zigarettenhersteller nur noch Schachteln produzieren, die zu mindestens 65 Prozent mit solchen Schockfotos und Warnhinweisen bedeckt sind. So verlangt es Brüssel. Doch es ist offen, ob die Gesetze, welche die Bundesregierung mitbeschlossen hat, auch tatsächlich umgehend in Kraft treten. Denn die Lobby wehrt sich. Und auf Berlin konnte sie sich fast immer verlassen.
Dumm nur, dass ausgerechnet Marktführer Philip Morris International den Lobbyisten diese Argumentation kaputt macht. Der Marlboro-Hersteller, der dem DZV nicht angehört, hat erklärt, pünktlich zum 20. Mai auf die neuen Schachteln umzustellen. Seither herrscht Zoff in der Zigarettenbranche. Die Abweichler führten einen „brutalen Verdrängungswettbewerb“, behauptet DZV-Chef Jan Mücke gegenüber der ZEIT. „Philip Morris verhält sich wie ein Wirtschaftsteilnehmer, der seine Marktanteile erhöhen will.“ Will der weltgrößte private Tabakkonzern etwa mithilfe der neuen Gesetze einige Konkurrenten in den Ruin treiben, um deren Kunden zu übernehmen? In Mückes Duktus klingt das so.
Mücke behauptet, Brüssel und Berlin hätten die Druckvorlagen für die neuen Schachteln zu spät bereitgestellt. Allerdings hätte sich die Branche längst auf die neue Gesetzeslage vorbereiten können, ja müssen. Schon vor mehr als zwei Jahren segnete das Europaparlament die Tabakproduktrichtlinie ab. Im April 2014 veröffentlichte sie die EU in ihrem Amtsblatt – und setzte den 20. Mai 2016 als letztmöglichen Umsetzungstermin fest. Im Oktober 2014 präsentierte die Brüsseler Kommission die sogenannte Bilderbibliothek mit den Schockfotos.
Deutschland hat die laschesten Tabakwerbegesetze der EU
Die deutschen Hersteller erwarteten trotzdem eine Sonderregelung. Wie üblich. Denn obwohl das Rauchen hierzulande jährlich 120.000 Menschenleben fordert – gut dreißigmal so viele, wie im Straßenverkehr sterben – ist Deutschland für die Tabakindustrie ein Lobbyparadies. Seit Jahrzehnten sponsern Zigarettenmultis Parteitage und Feste der früheren Bonner und heutigen Berliner Politszene. Viele mittelständische Hersteller beackern die Bundestagsabgeordneten ihrer Wahlkreise. Und Oberlobbyist Jan Mücke war zuvor FDP-Staatssekretär in der schwarz-gelben Bundesregierung.
So viel Nähe zahlte sich oft aus. Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zog die Bundesregierung 2003 vor den Europäischen Gerichtshof: gegen ein EU-Tabakwerbeverbot in Printmedien und im Internet. Und während Staaten wie Frankreich, Irland und Großbritannien demnächst die Kippen in hässliche gräuliche Uniformschachteln mit noch größeren Schockfotos ohne jedes Markenlogo zwingen, dürfen bei uns Lucky Strike, Camel, Gauloises und Co. wie eh und je auf Tausenden Plakatwänden und in Kinospots beworben werden.
Derart lasche Werbegesetze gibt es nirgends sonst im vereinten Europa, selbst Bulgarien hat kürzlich die Außenwerbung untersagt. Dabei hatte sich auch Deutschland bereits vor zwölf Jahren gegenüber der Weltgesundheitsorganisation vertraglich verpflichtet, sie zu verbieten.
„Sie glauben nicht, welch mächtige Freunde die Tabakindustrie hier hat“
Alles Geschwafel. Die Bande zwischen den Industrie- und den Volksvertretern sind stärker. Das hat zuletzt der für Tabakregulierung zuständige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) gelernt. Vergangenen Sommer kündigte er an, die Außenwerbung für Zigaretten zu verbieten: zum Schutz der Kinder. Der Gesetzesentwurf war kaum fertig, da rebellierten CDU-Wirtschaftspolitiker sowie Vertreter des SPD-geführten Wirtschaftsministeriums – und schließlich das Kanzleramt. Ergebnis: Die Multis dürfen ihre tödlichen Produkte wohl bis mindestens 2020 auf Litfaßsäulen und Leinwänden anpreisen. „Sie glauben nicht“, sagt ein früherer Mitarbeiter eines Ministeriums, „welch mächtige Freunde die Tabakindustrie hier hat.“
Offenbar gab dieser Triumph Mücke das Gefühl: Alles ist möglich. Auch bei den Schockfotos, auch gegen den Rest Europas. Und Berlin legte sich anfangs tatsächlich wieder ins Zeug für die Tabakindustrie. Minister Schmidt persönlich bat im Oktober die EU-Kommission um Aufschub. Doch Brüssel lehnte ab. Und die Bundesregierung gab die Vertagung auf.
Wieder und wieder erklärten Schmidt und seine Beamten fortan den Konzernen, man habe diesmal keinen nationalen Spielraum. Anfang November stellte das Ministerium die Vorlagen für die Schachtelfotos bereit. Am 27. November teilte es in einer Anhörung den Tabakfirmen nachdrücklich mit, dass jegliche Fristverlängerung ausgeschlossen sei. Mitte Dezember machte dies Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) der Branche nochmals klar. Woraufhin Philip Morris beschloss, auf die neuen Schockschachteln umzustellen. Der DZV und Konzerne wie British American Tobacco (Lucky Strike) oder Imperial (West) indes produzierten und lobbyierten im altbewährten Stil weiter.
Im Januar brachten sie den Bundesrat zur Aufforderung, die Bundesregierung möge die EU um eine Fristverlängerung ersuchen. Aber Merkels Kabinett verwies auf Schmidts bereits abgelehnten Antrag. Spätestens hier hätte Verbandschef Mücke erkennen müssen: Diese Schlacht ist verloren. Doch er pokerte weiter. Am 25. Februar segnete der Bundestag mit erdrückender Mehrheit die Umsetzung der EU-Tabakrichtlinie zum 20. Mai ab. Es war ein Schlag ins Gesicht für viele Mittelständler und Zulieferer der Tabakmultis. Denn jetzt ist es für manche Betriebe wohl wirklich zu spät, die Produktion noch rechtzeitig umzustellen.
„Die Bundesregierung lässt uns im Regen stehen“, klagt Mücke. Und beackert mit seinen Gleichgesinnten nun wieder die Landespolitiker. Stellt sich der Bundesrat gegen den Bundestag und ruft er den Vermittlungsausschuss an, würde die fristgerechte Umsetzung der Tabakrichtlinie wohl scheitern. Dann allerdings droht der Bundesrepublik eine Klage der EU vor dem Europäischen Gerichtshof – wegen vorsätzlichen Bruchs der EU-Verträge. Und Philip Morris würde bestraft: Der gesetzestreue Hersteller müsste mit Schockschachteln womöglich gegen Verpackungen der Konkurrenz antreten, die in schönsten Farben zum Kauf animieren.
Diesen Freitag entscheidet der Bundesrat. Knicken die Politiker doch noch ein, zeigen sie endgültig, dass sie der Tabakindustrie hörig sind.
Update, 20. Mai: Der Bundesrat hat nicht den Vermittlungsausschuss angerufen. Ab heute muss die Zigarettenindustrie die neuen Schachteln produzieren. Von den vom Zigarettenverband angedrohten Arbeitsplatzverlusten oder gar dem Bankrott von Herstellern ist bislang nichts bekannt.