Mal links, mal rechts, mal neoliberal – so sammelt die FPÖ Stimmen der Österreicher. Ist ihre konfuse Wirtschaftspolitik die Folge von Populismus oder Unfähigkeit? Von Claus Hecking und Jan Michael Marchart für DIE ZEIT
Wien - Mit Freihandel kann der Kandidat der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) gar nichts anfangen. Als Bundespräsident, schwört Norbert Hofer, werde er das geplante transatlantische Handelsabkommen TTIP „nicht unterzeichnen, auch wenn das Parlament dafür stimmen sollte“. Und ebenso egal ist es Hofer, dass die Inhalte des Vertrags noch gar nicht feststehen.
Die Stichwahl am Sonntag könnte er trotzdem gewinnen. Vielleicht sogar deswegen. Radikal dagegen zu sein – das genügt Hofer und seiner FPÖ, um Hunderttausende Wähler anzuziehen. Es sind Unzufriedene, denen die zaghaften Reformversuche der großen Koalition nicht weit genug gehen oder viel zu weit. Menschen, die Angst haben vor Chlorhühnchen und Globalisierung, vor billigen ausländischen Wettbewerbern auf dem Arbeitsmarkt, dem Verlust ihrer Jobs, dem sozialen Abstieg. Umfragen zufolge dürften sie den Rechtspopulisten auch bei der nächsten Parlamentswahl einen Triumph und die Übernahme des Wiener Kanzleramts bescheren. Doch sie übersehen, dass ihnen die FPÖ wenig zu bieten hat außer bloßer Fundamentalopposition.
„Die FPÖ-Wähler halten die jetzige große Koalition für reformunfähig, aber die FPÖ hat selbst kein wirtschaftspolitisches Reformprogramm“, sagt Michael Steiner, Ökonomieprofessor an der Universität Graz. Der Parteienforscher Peter Filzmaier sagt, die FPÖ habe nicht einmal „einen Pool von kompetenten Leuten für Wirtschaftspolitik, aus dem sie rekrutieren könnten“. Und der frühere FPÖ-Fraktionschef Friedhelm Frischenschlager nennt die Partei „nicht regierungsfähig“ – wegen ihrer in sich widersprüchlichen wirtschaftspolitischen Forderungen.
Die Wahlkampfversprechen könnten von Linkssozialisten stammen
„Unser Geld für unsere Leut’“ oder „Arbeitsstellen statt Zuwanderungswellen“ ließen die Freiheitlichen zuletzt plakatieren. Diese Parolen treffen einen Nerv: Seit 2010 steigt die Zahl der Arbeitslosen in Österreich. 72 Prozent aller teilnehmenden Arbeiter votierten im ersten Wahlgang zur Bundespräsidentenwahl vor vier Wochen für Hofer. Die „Freiheitlichen“ sind zur Partei des „kleinen Mannes“ geworden. Und genau das ist eines ihrer fundamentalen Probleme.
Höhere Löhne, niedrigere Steuern, höhere Pensionen, niedrigere Mieten: Die vergangenen Wahlkampfversprechen der FPÖ könnten von Linkssozialisten stammen. Andererseits ist die „soziale Heimatpartei“, wie ihre Anführer sie gern nennen, traditionell eine unternehmerfreundliche Partei, die Privatisierungen, eine Senkung der Lohnnebenkosten und einen möglichst kleinen Staat verlangt, wenn es gerade politisch opportun ist.
„Unsere Anregung ist immer, einen Preiszettel auf alle Leistungen des Staats draufzugeben“, sagt Barbara Kolm, Wirtschaftsberaterin der FPÖ und Leiterin des Wiener Friedrich-Hayek-Instituts. Die Partei wolle die Lohnnebenkosten drastisch reduzieren „und der Wirtschaft bessere Rahmenbedingungen schaffen. Der Staat soll die Wirtschaft einfach machen lassen.“ Das klingt sehr nach Hayek, dem Vater des Neoliberalismus. Und passt nicht zur FPÖ-Forderung, ganze Sektoren des Arbeitsmarkts für EU-Ausländer zu schließen.
FPÖ-Vorzeigepolitiker wie Hofer oder Parteichef Heinz-Christian Strache treten öffentlich ganz anders auf als Kolm. „Mit Hayek-Ideologie kann ich Arbeiterbezirke wie Simmering in Wien nicht halten“, sagt der frühere Fraktionschef Frischenschlager, der die Partei 1993 verließ. „Diese Ideologie steht jeglicher Sozialhilfe feindlich gegenüber. Da laufen dir die Leute in der Sekunde davon.“ Die FPÖ habe mit linken, rechten und liberalen Parolen bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen Stimmen gefangen. Aber sobald sie einmal Regierungsverantwortung übernehme, werde sie einen Teil ihrer Klientel zwangsläufig bitter enttäuschen müssen.
Der Wirtschaftssprecher spricht lieber nicht über Wirtschaft
„Die FPÖ pendelt ständig zwischen ihrem liberalen Anspruch und ihrer Selbstdarstellung als sozialer Heimatpartei hin und her. Da gibt es nichts in sich Schlüssiges“, sagt der Ökonomieprofessor Steiner. Entsprechend unkonkret liest sich das Parteiprogramm von 2011 mit dem Titel Österreich zuerst: „Wir bekennen uns zu einer an den konkreten Herausforderungen der Zeit orientierten Wirtschaftspolitik, frei von ideologischen Vorbehalten“, heißt es da, „und zu einem über den Konjunkturzyklus ausgeglichenen Staatshaushalt.“ Aber wie will die Partei parallel Steuern senken und Renten erhöhen, ohne Schulden zu machen? Wie wollen die „Freiheitlichen“ Wachstum in Österreichs exportabhängiger Industrie schaffen und die Wirtschaft zugleich gegenüber dem übrigen Europa abschotten? Wo sind ihre Prioritäten?
Axel Kassegger sollte es wissen. Der 50-Jährige ist seit 2014 offizieller FPÖ-Wirtschaftssprecher. Aber Kassegger spricht nicht. Als er am Montag in einem Tage vorab vereinbarten Telefonat nach den wirtschaftspolitischen Grundsätzen der FPÖ gefragt wird, antwortet er, dazu sei er nicht auskunftsbefugt, er müsse Rücksprache mit der Parteiführung halten, man solle ihm Fragen mailen. Als dies dann geschehen ist, schreibt Kassegger, bis zur Stichwahl könne er die Fragen „in der Kürze der Zeit“ nicht mehr beantworten.
„Die FPÖ ist zur Mandatsabsicherungsgemeinschaft geworden“
Dass sich selbst der Wirtschaftssprecher über die wirtschaftspolitische Ausrichtung der FPÖ ausschweigt, ist für Helmut Haigermoser ein Symptom für die Inkompetenz seiner ehemaligen Partei in diesem Feld. Der Unternehmer aus Salzburg saß zu Zeiten Jörg Haiders für die FPÖ fast zwei Jahrzehnte lang im Parlament und leitete parallel den Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender, die parteinahe Unternehmervereinigung. Mittlerweile hat er der FPÖ verbittert den Rücken gekehrt.
„Die Freiheitliche Partei wird immer mehr zur sozialistischen Partei: aus Angst, die Arbeiter zu vergraulen“, sagt Haigermoser. Innerparteiliche Debatten über den wirtschaftspolitischen Kurs gebe es nicht mehr. „Der Übervater Strache gibt im Wahlkampf etwas vor, und alle anderen folgen. Die FPÖ ist eine Mandatsabsicherungsgemeinschaft geworden.“ Mit einem einzigen Ziel, dem Machtgewinn. Parteienforscher Filzmaier drückt es so aus: „Alles wird der Kommunikationsstrategie untergeordnet.“ So geht Populismus.
Der Übervater und seine Jünger: Hans-Christian Strache im Wahlkampf in der Stadt Knittelfeld, September 2008
Nach zwei Abspaltungen hat die Partei zweimal in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihren gemäßigten, liberalen Flügel verloren – und mit ihm zahlreiche Wirtschaftsexperten. „Der FPÖ fehlen kompetente Fachpolitiker und entsprechende Berater, die wissen, wie man Gesetze vorbereitet und umsetzt“, sagt Filzmaier. Im Wahlkampf sei dies nicht schlimm, im Falle einer Regierungsübernahme werde sich dies rächen. FPÖ-Funktionäre wiegeln ab: Wenn man erst einmal an der Macht sei, würden die Fachleute von selbst ankommen, behaupten sie. Aber selbst im kleinen Burgenland, wo die FPÖ neuerdings Koalitionspartner der Sozialdemokraten ist, hatten einige ihrer Minister Insidern zufolge erhebliche Schwierigkeiten, Mitarbeiter mit Expertise zu finden.
Am Rand des Bankrotts: das FPÖ-Land Kärnten
Schon einmal scheiterte die FPÖ in der Regierung an ihren wirtschaftspolitischen Widersprüchen und Mangel an fähigem Personal: 2000 bis 2006, als Juniorpartner der konservativen Volkspartei. Da fiel sie vor allem durch ständige Ministerwechsel und interne Streitigkeiten auf. Das Chaos endete, als sich Haider und seine Getreuen abspalteten; übrig blieb der von Strache geführte rechtsnationale Flügel. Später kam heraus, dass damalige FPÖ-Granden im Amt in Korruptionsskandale verstrickt waren. Strache behauptete zunächst, dies betreffe nur Haider und seine Getreuen. Bald aber flogen auch Spitzenfunktionäre der Kärntner FPÖ-Schwesterpartei FPK auf.
Im Bundesland Kärnten hatten die Rechtspopulisten jahrelang regiert und sich zur Finanzierung sozialpolitischer Wohltaten und prestigeträchtiger Bauprojekte großzügig aus den Kassen der einstigen Landesbank Hypo Alpe Adria bedient; im Gegenzug übernahm Kärnten Milliardenhaftungen für Schulden des Instituts. Als die Skandalbank in Finanznot geriet, stand auch Kärnten am Rande des Bankrotts und musste vom österreichischen Staat gerettet werden.
Viele Österreicher haben die Polit- und Finanzdebakel der FPÖ augenscheinlich vergessen oder zumindest verdrängt. Die Volksparteien waren ja auch ihrerseits tief in Bestechungsskandale verwickelt. Und so deutet vieles darauf hin, dass die Alpenrepublik bald einen FPÖ-Bundespräsidenten Hofer und spätestens 2018 einen FPÖ-Kanzler Strache bekommt – obwohl die Rechtspopulisten keinen Plan haben, wie sie die lahmende Wirtschaft wieder auf Touren bringen sollen. „Die Strategie der FPÖ lautet: Erst einmal die Macht erobern und danach hoffen, dass der Gipfel der Arbeitslosigkeit überschritten ist und sich die Weltkonjunktur irgendwie wieder belebt“, sagt Filzmaier. Ihren Wählern scheint das Prinzip Hoffnung zu reichen.