Der drohende Brexit zeigt Wirkung: Selbst Politiker, die Brüssels Bürokratie sonst verteidigen, kritisieren die EU. Hier kommen sie zu Wort. Von Claas Tatje und Claus Hecking für DIE ZEIT
Strasbourg - Elmar Brok schwitzt mal wieder für Europa. »Haaaach, eine furchtbare Schwüle ist das da draußen«, jammert der 70-jährige Europapolitiker und tupft sich Schweißtropfen von der Stirn. »Tauwetter für Dicke«, röhrt Brok und grinst.
Der Westfale ist seit 1980 Mitglied des EU-Parlaments: der einzige noch aktive Abgeordnete, der die erste Legislaturperiode miterlebt hat. Nach strapaziöser Fahrt vom Schützenfest in Paderborn ist er gerade angekommen in Straßburg. Zu seiner 433. Sitzungswoche. Europarekord! CDU-Mann Brok, aufgewachsen in Westfalen, Schnauzbart, randlose Brille, ist Vorsitzender des Außenausschusses, er hat mehr Kontakte in der Welt als Schweißperlen auf der Stirn.
Wenn in Berlin von drohenden Umstürzen in Nordafrika gesprochen wird, sitzt Brok meist schon im Flugzeug, um den Revolutionsführer zu treffen. Er hat auch feine Antennen für die großen Veränderungen in Europa. Und dieser Elmar Brok sagt nun, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU, der Brexit, zum Dammbruch werden könnte: »Wenn der Ausstieg als gangbarer Weg dargestellt wird, dann könnte es auch solche Referenden in anderen Mitgliedsstaaten geben, in den Niederlanden, in Dänemark oder Polen.« Brok sagt: »Ich habe so eine Krise in Europa in den vergangenen 36 Jahren nicht erlebt.«
Was Brok ausspricht, ist einleuchtend, doch für Brüsseler Verhältnisse unerhört. Das B-Wort ist in den EU-Institutionen verpönt wie der Name von Lord Voldemort bei Harry Potter. Die Kommission hat Beamten die Weisung erteilt, das Wort Brexit nicht in den Mund zu nehmen. Sie sollen lieber von der »britischen Situation« sprechen. Im EU-Parlament wurde der Brexit vergangene Woche nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Stattdessen wird die Wettbewerbsstärke der Eisenbahn-Zulieferindustrie und die Lage politischer Gefangener in Tadschikistan diskutiert.
Im Straßburger Parlament tagen 751 Parlamentarier – und wirken dieser Tage auf seltsame Weise vom Weltgeschehen entrückt. Gerade so, wie die Brexit-Befürworter die EU gerne darstellen.
Kann es sein, dass sie recht haben? Was läuft schief in Europa? Die ZEIT hat Politiker, Vordenker und Euro-Kritiker gefragt. Hier reden sie schonungslos und ungefiltert.
1. Das Raumschiff
Amjad Mahmood Bashir, gebürtiger Pakistaner, kam 2014 als britischer Abgeordneter ins EU-Parlament.
Amjad Bashir: »In unseren Heimatländern begreifen viele Leute nicht, was wir Parlamentarier überhaupt machen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Viele meiner Kollegen hier arbeiten extrem hart, aber da draußen haben die meisten Menschen einen anderen Eindruck.«
Angetreten ist der Restaurantbesitzer seinerzeit für die europafeindliche Ukip, um »die EU-Bürokratie abzubauen«, vergangenes Jahr wechselte er zu den Tories. Dort kämpft er für den Brexit, viele seiner Fraktionskollegen streiten für den Verbleib.
Amjad Bashir: »Die gesamte Art und Weise, wie die Europäische Kommission zusammengesetzt ist, ist uns Briten völlig fremd. Eine Kommission, die niemand gewählt hat, die zugleich Gesetze vorschlägt und aus vielen alten Bürokraten besteht, die einmal Politiker waren, das mögen wir Briten nicht. Wer immer Gesetze vorschlägt, muss dafür der Bevölkerung Rechenschaft ablegen. Wenn das Volk seine Arbeit nicht schätzt, wählt es diesen Politiker ab. Bei der Kommission geht das nicht.«
Martin Sonneborn fragt zur Begrüßung: »Wollen Se ’nen subventionierten Kaffee?« Der frühere Titanic- Chefredakteur ist seit 2014 Abgeordneter der Partei »Die Partei«, sitzt auf einer der hintersten Bänke, neben Monarchisten und Extremisten.
Martin Sonneborn: »Mein erstes Erlebnis war, dass eine Assistentin kam und mich fragte, ob ich mich schon eingetragen hätte ins Anwesenheitsbuch. Das sei das Allerwichtigste, weil ich nur dann mein Tagesgeld ausgezahlt bekäme.«
Die Klischees von den Spesen- und Diätenrittern. Leute wie Sonneborn nähren sie noch nach Jahrzehnten. Es gibt sie ja auch, die Abgeordnetenkollegen, die lieber mitnehmen als mitarbeiten. Aber dass das Image der EU so heruntergekommen ist, liegt nicht nur an ihnen.
Elmar Brok: »Wenn auf EU-Ebene ein Problem gelöst wurde und die Sonne scheint, dann waren es Berlin und Paris. Wenn es regnet, ist Brüssel schuld. Die Spitzenpolitiker der Mitgliedsstaaten bekennen sich nie dazu, dass sie selbst im Rat die wegweisenden Entscheidungen treffen.«
Im Rat, dem höchsten Entscheidungsgremium der EU, versammeln sich die Regierungen der Mitgliedsstaaten. Beraten sie über Umweltgesetze, reisen die Umweltminister an, der Euro ist Sache der Finanzminister. Die Gesetzesvorschläge arbeitet die Kommission aus, ein Beamtenapparat mit etwa 33 000 Mitarbeitern, davon 1200 Briten. Die Parlamentarier müssen sich am Ende mit dem Rat auf den genauen Wortlaut der Gesetze einigen. Das ist kompliziert. Und es dauert.
Viviane Reding, langjährige EU-Kommissarin: »Europa ist nie in den Herzen angekommen. Die Menschen halten das, was Europa ihnen gibt, für selbstverständlich. Sie können sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn die Subventionen aus den reichen Gegenden für arme Gegenden nicht mehr fließen würden. Auch die Unternehmen würden enorme Probleme bekommen ohne Binnenmarkt.«
2. Der Aufschwung
Niemand in der EU hat wilder gekämpft für Verbraucher- und Menschenrechte als Viviane Reding, die Luxemburgerin mit der berüchtigten Löwenmähne. Zehn Jahre war sie EU-Kommissarin, fünf Jahre Vizepräsidentin der Kommission. Heute ist sie Europaabgeordnete, ihr Büro in Straßburg ist so winzig, dass ihre Mitarbeiter das Zimmer verlassen müssen, wenn Gäste sich setzen wollen.
Anders als viele Kollegen ist die 65-jährige Reding kaum Konflikten aus dem Weg gegangen. Sie hat sich mit mächtigen Telekomkonzernen angelegt, dafür gesorgt, dass die Roaming-Gebühren sinken. Sie hat Nicolas Sarkozy gemaßregelt, als Frankreichs damaliger Präsident Hunderte Roma abschob. Sie hat Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, als Viktor Orbán Richter frühpensionieren und durch Günstlinge ersetzen wollte. Und sie hat sich an der Idee Europa begeistert.
Viviane Reding: »Der Schengen-Vertrag war ein besonderer Moment für mich. Wir hatten dafür lange gekämpft. Benelux war das Labor für Schengen. Ich weiß noch, wir sind über Land gezogen und haben überall die Schlagbäume durchgesägt und kleine Feiern veranstaltet und den Menschen in den Warteschlagen an den Grenzen erklärt, dass es in Benelux schon funktioniert ohne Grenzen.«
„Diese EU ist ein Witz“
Am 1. Januar 2002 war Hans Eichel (SPD) der erste Mann in Anzug und Fliege an der Wechselstube auf dem Pariser Platz in Berlin. Auf der größten Silvesterparty Deutschlands wurde dafür ein Pavillon aufgebaut. Dort tauschte Deutschlands damaliger Finanzminister 200 Mark in 102,26 Euro.
Hans Eichel: »Der Euro wurde damals als Beschleuniger der europäischen Integration gesehen. Wir hielten ihn für eine Lokomotive, der Zug fuhr in eine Richtung, und das war die europäische Einigung.«
Als Günther Oettinger nach Brüssel kam, war die Euphorie verflogen. 2010 wurde der frühere Ministerpräsident Baden-Württembergs Energiekommissar: pünktlich zur Griechenland-Krise.
Günther Oettinger: »Es gab die goldenen Jahre 1985 bis 2005, die Volkswirtschaften sind Jahr für Jahr um zwei Prozent gewachsen. Jeder Bürger hatte das Gefühl, es geht ihm stetig besser. Die Welt ist aber dynamisch, und im weltweiten Wettbewerb sind die Kuchenstücke nicht mehr automatisch größer. Was viele vergessen: Es war eine Blütezeit auf Pump. Wir haben jahrzehntelang 100 Prozent unserer Steuereinnahmen verbraucht und dazu noch fünf Prozent von der Bank geliehen. Jetzt müssen wir mit unseren Steuereinnahmen auskommen und fünf Prozent zurückzahlen. Das ist eine Zeitenwende.«
3. Der Bruch
Europas Erfolgsgeschichte hieß Wachstum: mehr Mitgliedsländer, mehr Wirtschaftskraft, mehr Einfluss in der Welt, mehr Wohlstand für alle dank Binnenmarkt und Euro. Dann zeigte sich die Kehrseite. Was erzählt man den Menschen, wenn der Aufschwung infolge der Bankenkrise ausbleibt, die Arbeitslosigkeit dramatisch ansteigt, wie im Süden Europas, und die Sparprogramme mancher Länder ihren Bürgern Angst machen? Und wenn dann noch Millionen Flüchtlinge ihr Heil in der EU suchen?
Martin Sonneborn: »Die EU steht für eine wirtschaftsorientierte Politik, bei der es keine Erzählung gibt, die die Leute mitreißt. Ich glaube, die Kriegsgeneration Kohl konnte den Leuten noch einfach vermitteln, dass ein Zusammenschluss, ein Europa ohne große Grenzen, etwas Positives ist: nie wieder Krieg. Freundschaft mit Franzosen und Engländern und Versöhnung mit den Staaten, die wir im Krieg heimgesucht haben. Die heutige EU ist ein kaltherziges und wirtschaftliches Objekt, und das lässt sich den Menschen nicht mehr vermitteln.«
Selbst frühere Erfolgsgeschichten erscheinen heute in einem anderen Licht: allen voran die EU-Osterweiterung von 2004.
Viviane Reding: »Die mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten waren überhaupt nicht fähig beizutreten. Wir haben sie finanziell unterstützt und gedacht, sie lernen automatisch, was Demokratie ist, wenn sie in die Familie eingebunden sind. Wir dachten, sie brauchen nur Zeit. Das war ein Irrtum. Die Subventionspolitik hat funktioniert. Aber diese Staaten sehen Europa nur als gemeinsamen Topf, aus dem sie gespeist werden. Wenn sie einmal etwas zurückgeben müssen, etwa in der Flüchtlingskrise, ist das Wort Solidarität weder in ihren Worten noch in ihren Handlungen verankert. Es gibt keine Demokratie dort, die Minderheiten respektiert. Rechtsstaatlichkeit, etwa die Unabhängigkeit der Justiz, funktioniert nicht. Mit Ungarn hat es angefangen, Polen macht es noch schlimmer, und dann gibt es in Tschechien die Europhobie.«
Politiker wie Reding mahnen zur Ruhe, vielleicht sollte ein Kerneuropa vorangehen, und der Rest könnte folgen. Guy Verhofstadt sieht das ganz anders. Der Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament und langjährige belgische Ministerpräsident gestikuliert wild durch die Luft, mal schreit er, mal flüstert er. Verhofstadt wirkt wie auf Koks. Aber vermutlich genügt dem 63-Jährigen schon die Droge Politik, so leidenschaftlich vertritt er seine Idee eines europäischen Superstaats.
Guy Verhofstadt: »Stellen Sie sich vor, die USA wären wie die EU. Das hieße: 50 Regierungen von 50 Staaten kommen viermal im Jahr zusammen und entscheiden dann alles, einstimmig. Würde das funktionieren? Nein. Dann gäbe es keine gemeinsame Küstenwache, kein FBI, keinen Dollar. Dann würde Kalifornien vielleicht zurück zur Peseta gehen, seiner Währung im 19. Jahrhundert. Ich will solch eine Europäische Union nicht weiter erleben. Sie ist ein schlechter Witz.«
Günther Oettinger: »Europa muss erwachsen werden. Unterstellt, Donald Trump würde Präsident in den USA, was ich nicht hoffe, dann müsste Europa die Friedenspolizei in der Nachbarschaft selbst organisieren, unabhängig von den USA. Von Flüchtlingen über Terrorgefahren wird Europa gezwungen sein, in den nächsten Jahren selbst Verantwortung zu übernehmen. Dann wird man auch merken, dass Terrorbekämpfung ohne Europol und die Lösung der Flüchtlingsfragen ohne Frontex nicht erfolgreich sein wird.«
Das klingt einleuchtend, aber die Mitgliedsstaaten geben ungern Einfluss an Brüssel ab. So überzogen Euro-Länder wie Deutschland und Frankreich ungestraft ihre Staatshaushalte und missachteten die Spielregeln der Euro-Verträge. Deutscher Finanzminister damals: Hans Eichel. Schon 1984 erstritt Premierministerin Margaret Thatcher beim EU-Gipfel mit ihrer Forderung »I want my money back« den Britenrabatt.
Hans Eichel: »Die größten Bremser einer tiefen Einigung sind die nationalen Regierungen. Jeder Nationalstaat sieht zunächst zu, was er für sich und sein Land in Brüssel herausholen kann. Lange gab es aber auch die Vorstellung, dass wir in den großen Fragen zusammen mehr erreichen als allein. Dieses Überwölbende finden Sie oft nicht mehr.«
4. Die Fehler
Wichtige Entscheidungen trifft der Europäische Rat einstimmig. Das hat Folgen: in der Flüchtlingspolitik, beim Euro und für die Streitkultur.
Guy Verhofstadt: »Wir haben ein Europa à la carte erschaffen, weil wir jeden mit drinhaben wollten. Dabei haben wir viel zu viele Kompromisse und Sonderrechte geschaffen. Wofür brauchen wir 28 Kommissare aus 28 Ländern? Dieses System funktioniert nicht. Nehmen Sie die europäische Migrationspolitik. Bei meinem ersten EU-Rat, 1999 in Tampere, entschieden wir Staats- und Regierungschefs feierlich: Wir werden von nun an eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik haben. 17 Jahre später ist davon nichts zu sehen. Wenn es ein Problem gibt, fällt jeder in sein nationalstaatliches Denken zurück.«
Mehr als 100 000 Flüchtlinge wollte die EU von Griechenland und Italien aus weiterverteilen. Doch die anderen Länder hatten bis Mai wenig mehr als 2000 dieser Geflüchteten aufgenommen. Die Flüchtlingspolitik hat versagt. Und der Euro steckt noch immer in der Krise, weil etwa eine gemeinsame Steuer- und Haushaltspolitik nie so in Gang kam, wie es sich Hans Eichel und seine Amtskollegen erhofft hatten. Und obwohl die Terrorgefahr eine globale ist, reagieren die Sicherheitsbehörden sehr lokal.
Hans Eichel: »Europa muss seine Außengrenzen gemeinsam schützen. Dann müssten auch wir Deutschen einverstanden sein, dass am Frankfurter Flughafen europäische Polizisten die Sicherheit gewährleisten. Wir brauchen eine europäische Armee, keine Kleinstaaterei. Aber kein deutscher Innenminister und keine Verteidigungsministerin würde da – außer bei Reden, die nichts kosten – mitziehen.«
Amjad Bashir: »Der Euro war der größte Fehler, den die EU begangen hat. Mit so vielen Ländern in unterschiedlichen Entwicklungszuständen wird das nie funktionieren.«
Neues Wachstum soll TTIP bringen, das Freihandelsabkommen mit den USA. Noch während verhandelt wird, haben sich die Menschen abgewandt.
Viviane Reding: »TTIP ist sehr schiefgelaufen. Warum? Zuerst wurde das lange im geheimen Kämmerlein gemacht, ohne mit der Bevölkerung zu diskutieren. Die Mitgliedsstaaten haben das überhaupt nicht als ihr Baby angesehen. Die haben nichts erklärt bei sich zu Hause. Und dann entsteht eine professionell organisierte Protestbewegung, die macht die Menschen vor Ort verrückt. In der Anti-TTIP-Plattform bei mir zu Hause sind fast alle organisierten Clubs vertreten: die Hausfrauen, die Jungbauern, alle möglichen Gewerkschaften. Die Menschen haben Angst.«
So wächst die Skepsis gegenüber »denen da« in Brüssel noch weiter. Elmar Brok spürt sie in Talkshows und auf Marktplätzen. Wie konnte es so weit kommen?
Elmar Brok: »Erst gab es keine echte Demokratie, mittlerweile hat das Europäische Parlament eine echte Kontrolle und Beschlussverfahren. Aber das wissen nur wenige. Das Grundvertrauen der Bevölkerung gegenüber den Eliten ist nicht mehr da. Der VW-Betrugsskandal, Missbrauch in der Kirche, die Odenwaldschule, die Fifa-Geschichte. An wen soll sich der Normalbürger noch halten? Wir merken das überall, in der Kommunalpolitik, der Bundespolitik, der Europapolitik. Aber Europa ist noch keine Schicksalsgemeinschaft, also ist es am angreifbarsten.«
5. Der Brexit?
Noch im Mai konnten Glücksspieler viel Geld mit dem Brexit verdienen. Für eine 10-Pfund-Wette auf den Austritt boten Londoner Buchmacher 55 Pfund. Am Dienstag lag die Brexit-Quote nur noch bei 22,50 für 10 – nicht mal halb so hoch wie für die Wette, dass Deutschland Fußball-Europameister wird.
„Manchmal ist eine Scheidung besser als ein Nebeneinander herleben“
Der Brexit wird immer realer. Befürworter Bashir ist sicher: Brüssel wird mit Großbritannien nach dem Austritt ein neues Freihandelsabkommen unterzeichnen.\
Amjad Bashir: »Die Politiker werden pragmatisch reagieren und versuchen, einen neuen Deal zu schließen. Wissen Sie, ich habe mein Leben lang Geschäfte gemacht. Man verhandelt und verhandelt, bis am Ende etwas herauskommt, das für beide Seiten gut ist.«
Ebendas wollen führende Europapolitiker unbedingt verhindern. Sie fürchten, dass es andere Staaten den Briten nachtun und dass Europa zerfällt.
Elmar Brok: »Wir werden die Entscheidung der Briten umsetzen. Aber das werden Scheidungsverhandlungen, keine Kooperationsverhandlungen, in denen es um harte, banale Details geht, etwa darum, wie groß der Anteil der Briten an den Pensionszahlungen für EU-Mitarbeiter wird. Die Briten dürfen keine Sonderbehandlung kriegen. Es muss klar gezeigt werden, dass der Austritt aus der EU nicht zum lohnenden Präzedenzfall für andere Staaten wird.«
Viviane Reding: »Großbritannien hat sich nie als Teil der Familie benommen. Es ist ja nie schön, wenn jemand die Familie verlässt. Aber manchmal ist eine Scheidung besser als ein Nebeneinanderleben mit zu vielen Kompromissen. So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Wir brauchen ein Kerneuropa, das müssen wir schnell durchsetzen.«
Guy Verhofstadt: »Warum sollten wir Angst haben vor dem Brexit? Wenn es passiert, können wir das zum Anlass nehmen, Europa neu zu gestalten. Ich habe aufgehört, diese EU zu verteidigen.«
Kerneuropa oder Superstaat? Am 23. Juni entscheiden 46 Millionen britische Wähler, in welche Richtung die Reise für rund 500 Millionen Europäer geht.