Niederlande
»Brexit -> Nexit« hat Geert Wilders neulich getwittert – und Hunderte Likes abgeräumt. Lange hat der Nationalpopulist gezögert, sich so offen gegen die EU zu stellen. Nun fordert er ein Referendum über den Austritt. Ein Brexit werde »die Niederländer inspirieren«, es ihren alten Verbündeten in Europa gleichzutun, meint Wilders. 43 Prozent der Bürger fordern in einer Umfrage des Meinungsforschers Maurice d’Hond den »Nexit«; nur 46 Prozent wollen in der EU bleiben. Bei der Volksabstimmung im April über das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine sagten 61 Prozent »Nee«. Vor allem die Hilfen für Griechenland bei gleichzeitigen Sparprogrammen im eigenen Land haben viele Menschen gegen Brüssel aufgebracht. Ein »Nexit«-Referendum wird es dennoch so bald nicht geben: Volksabstimmungen sieht die Verfassung nur für neue Gesetzesvorschläge vor.
Frankreich
Marine Le Pen hat ihr Wahlkampfthema für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr schon gefunden: den »Frexit«. Wenn sie erst einmal Präsidentin sei, werde sie sofort eine Volksabstimmung über Frankreichs Verbleib in der EU organisieren, gelobt die Chefin des rechtsextremen Front National. Ihre Parolen kommen an. In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung erklärten 48 Prozent der befragten Franzosen, sie würden für den Austritt votieren. Die Wut ist groß über wirtschaftlichen Stillstand, steigende Arbeitslosigkeit und den Euro. Denn der lässt sich nicht so einfach abwerten wie früher der Franc, um heimische Produkte weltweit wieder konkurrenzfähiger zu machen. Dass die Franzosen wirklich für den EU-Ausstieg votieren, ist heute, bei allem Frust, dennoch kaum vorstellbar. Und: Le Pen ist noch längst nicht Präsidentin.
Schweden
Wenn die Schweden am Samstag zum Mittsommerfest Trachten anlegen, sollte man das nicht als Nationalismus deuten. Denn selbst wenn Umfragen schwedischer Medien gerade ein widersprüchliches Bild zeigen: Die Schweden fühlen sich in der EU mehrheitlich wohl, auch wenn sie mit der Flüchtlingspolitik der EU unzufriedener sind als andere Europäer. »Seit der Jahrtausendwende ist der Anteil der EU-Befürworter kontinuierlich gewachsen«, sagt Linda Berg vom Centre for European Research an der Universität Göteborg, »Krisen haben daran wenig geändert.« Die Schweden seien Freunde des Status quo, sagt Berg. Sie wollten weder eine Vertiefung der EU noch den Euro – aber eben auch keinen »Swexit«.
Tschechien
Wer gegen die Mitgliedschaft in der EU ist und für die »Geburt eines freien und unabhängigen Tschechien«, der kann das jetzt auch öffentlich kundtun: Ein Politiker der europaskeptischen »Partei der freien Bürger« sammelt seit einer Woche auf einer extra dafür eingerichteten Internetseite Stimmen für den »Czexit«. Viele Hundert hat er schon. Denn obwohl die Tschechen seit ihrem Beitritt im Jahr 2004 Milliardensummen von der EU erhalten haben, sind sie europamüde: In einer Umfrage der Prager Akademie der Wissenschaften bekundeten jüngst nur 36 Prozent der Tschechen, dass sie an die Zukunft des europäischen Projekts glauben. Einen Austritt befürwortete allerdings auch nur eine Minderheit. Ein EU-Austritt, so warnte der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka schon im Februar, könne einen Abschwung für Wirtschaft und Sicherheit bedeuten.
Polen
Ein paar Wochen ist es her, da trampelte ein Grüppchen Rechtsextremer in Warschau unter Anti-EU-Sprechchören auf einer Europafahne herum. Mag ja sein, dass der rechte Rand den Austritt fordert: Die meisten Polen wollten ihn nicht, sagt der Osteuropa-Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik. In einer Umfrage im Mai sprachen sich zwar 41 Prozent für ein Referendum nach britischem Vorbild aus, doch nur 22 Prozent für einen Austritt – der kleinste Wert aller acht Länder, in denen die Umfrage stattfand. Auch die konservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wolle die EU zwar reformieren, aber nicht verlassen, sagt Lang. Schließlich profitiere Polens Wirtschaft enorm von der EU, »der Landwirt in Südostpolen, der Direktzahlungen bekommt, weiß genau, was die Mitgliedschaft wert ist«.
Dänemark
Für ein Nein zum großen Europa ist das kleine Land jederzeit gut. 1992 lehnten die Dänen in einer Volksabstimmung den Maastricht-Vertrag ab, 2000 den Euro – und vergangenen Dezember eine engere Zusammenarbeit mit den europäischen Sicherheitsbehörden. »Die Dänen wollen nicht mehr EU, aus Angst, ihre Souveränität zu verlieren und von den großen Staaten dominiert zu werden«, sagt Derek Beach, Politikprofessor der Universität Aarhus. »Aber sie wollen auch nicht die EU verlassen. Dazu sind die Handelsbeziehungen zu wichtig, vor allem zu Deutschland und Schweden.« Zwar fordert die rechtspopulistische Dänische Volkspartei ein Austrittsreferendum, doch sie ist die einzige große Partei, die das fordert. Ihr Vorhaben hätte zurzeit kaum Aussicht auf Erfolg. In einer Umfrage von Mitte Juni sprachen sich nur 31 Prozent der Dänen für den »Dexit« aus.
Italien
Im Gründungsstaat der EU hat Brüssel-Skepsis Hochkonjunktur. Laut einer am Montag veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung wollen 46 Prozent der Italiener im Falle eines EU-Referendums für den Ausstieg votieren. Vor allem die Schulden- und die Flüchtlingskrise haben die EU unpopulär gemacht. »Politiker aller Parteien haben Europa zum Sündenbock für die Misere gemacht«, sagte die Politologin Eleonora Poli vom Forschungsinstitut IAI. »Aber wenn es ernst wird, sehen sich die Italiener dann doch als Europäer.« Die vom Komiker Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Bewegung forderte 2015 ein Referendum über den Euro, trieb dies aber nicht voran. Italien ist so verschuldet, dass es nach einem Euro-Austritt wohl extrem hohe Zinsen zahlen müsste.
Ungarn
Viktor Orbán, Ministerpräsident Ungarns und Chef der nationalkonservativen Partei Fidesz, hat sich mit Europa schon häufig angelegt, auf dem Feld der Flüchtlingspolitik oder der Medienpolitik etwa. Am Montag aber verkündete Orbán in einer Anzeige in der britischen Tageszeitung Daily Mailplötzlich : »Ungarn ist stolz, zusammen mit Ihnen Mitglied der EU zu sein«. Kurz zuvor hatte schon die rechtsextreme Partei »Bewegung für ein besseres Ungarn« verkündet, man sei nicht länger für einen Austritt. Dahinter steckt weniger ein Gesinnungswandel als Kalkül: Den wichtigen Handelspartner Großbritannien in der EU zu halten lag im wirtschaftlichen Interesse, genauso die eigene Mitgliedschaft. Deswegen wollen die Nationalisten in Ungarn die EU lieber verändern als verlassen – und sehen im Erstarken der rechten Parteien in Europa die Chance dafür.