Strom wie Heu


Äthiopien will zum Industriestaat werden – nur mit erneuerbaren Energien. Es könnte der Welt zum Vorbild avancieren. Oder sich selbst ruinieren. Von Claus Hecking (Text und Fotos) für DIE ZEIT.

Benishangul-Gumuz. Als die Sonne hinter den Bergen verschwindet und die Moskitos einfallen, riecht es in der Savanne plötzlich nach frischem Beton. Scharen von Männern in neongelben Westen laufen auf die halb fertige Staumauer. Spätschicht am »Großen Damm der Äthiopischen Wiedergeburt«, Afrikas kolossalstem, umstrittenstem, waghalsigstem Bauprojekt.

Mitten im Nirgendwo: der Grand Ethiopian Renaissance Dam

Hier am Blauen Nil, in Äthiopiens einsamem Westen, entsteht der mächtigste Staudamm des Kontinents. Er soll die 95 Millionen Äthiopier mit Elektrizität versorgen. Und das arme Agrarland in eine moderne Industrienation verwandeln: die erste, die ihren Strom nur aus erneuerbaren Energien gewinnt. Wer sieht, wie in Deutschland Großvorhaben scheitern und wie lange die Energiewende braucht, der kommt aus dem Staunen nicht heraus. Wie will es ausgerechnet Äthiopien schaffen: hier im Nirgendwo, drei Stunden Rüttelpiste entfernt von einer asphaltierten Straße?

Förderbänder spucken nassen Beton auf die Dammkrone, er stammt von den computergesteuerten Mischwerken im Tal. Bulldozer verteilen die graue Masse, Dampfwalzen pressen und glätten sie. Dutzende Arbeiter wuseln im grellen Scheinwerferlicht hin und her zwischen den tonnenschweren Fahrzeugen, klauben Steine aus dem Beton, ehe er sich verfestigt. Zwei-, dreimal müssen die Maschinen hart bremsen, um die Menschen nicht zu überrollen. Und mitten im Chaos steht Semegnew Bekele, das Smartphone am Ohr, und telefoniert, telefoniert, telefoniert.

IMG_4492Schicht um Schicht: Bauarbeiter auf der Dammkrone

Ingenieur Semegnew, wie ihn hier alle nennen, ist der Verantwortliche für Äthiopiens Wiedergeburt. Nicht weniger als ein neues Zeitalter des Wohlstandes und der Industrialisierung soll GERD (Great Ethiopian Renaissance Dam) dem Entwicklungsland bescheren. So verkündet es das autoritäre Regime, das dieses Prestigeprojekt beschlossen hat und nun Milliarden von Dollar für den Bau fast ohne ausländische Hilfe auftreiben muss. So verbreiten es die staatlich kontrollierten Medien. So erhoffen es Millionen propagandabeschallter Bürger ohne Stromanschluss.

Richten soll es Ingenieur Semegnew, Mitte 50, untersetzt, grau melierter Bart, Lesebrille auf der Nasenspitze. Zwei Staudämme habe er schon für seine Nation erbaut, erzählt er, als er den Jeep mit einer Hand durch den Staub zurück zu seinem Containerbüro steuert. Aber GERD habe eine andere Dimension. »Dieses Projekt«, sagt Ingenieur Semegnew pathetisch, »ist ein modernes Weltwunder.« Dabei hat der Betonklotz noch nicht eine einzige Kilowattstunde Elektrizität erzeugt.

IMG_4557Semegnew Bekele

Monumental ist schon jetzt, was die rund 10 000 Leute hier in Äthiopiens malariaverseuchtem wilden Westen erschaffen. Eine fast 150 Meter hohe, 1780 Meter lange Betonmauer zieht sich quer über einen Talausgang. Bald wird sie dem Blauen Nil den Weg in den Sudan versperren, den wichtigsten Quellstrom des Nils auf gut 240 Kilometer Länge aufstauen, Tal um Tal fluten. Dreimal so groß wie der Bodensee soll der künstliche See werden. Und wenn das Wasser dann durch die Turbinen des Kraftwerks bergab schießt, soll es bis zu dreimal so viel Strom erzeugen wie Ägyptens berühmter Assuan-Staudamm, der größte in Afrika. »Wir werden mit diesem Damm die Armut ausrotten«, verkündet Ingenieur Semegnew. Doch wenn das pharaonische Projekt schiefgeht, kann es das Land auch ruinieren.

GERD ist das Herzstück einer kühnen Wette auf massenhaft Regen. Ganz Äthiopien will die Regierung binnen zehn Jahren elektrifizieren, in die Moderne katapultieren – und das ausschließlich mit Grünstrom. Wasser- und Geothermiekraftwerke, Windräder und Solarmodule sollen nicht nur den gesamten Strombedarf von künftig 100 Millionen Bürgern und Tausenden Fabriken stillen. Sie sollen dazu auch eine Reihe von Nachbarstaaten mit überschüssiger Elektrizität versorgen, die leere Staatskasse mit Devisenmilliarden wieder auffüllen – und Äthiopien zum Vorbild machen für Entwicklungsländer der ganzen Welt.

Äthiopien will der Welt vormachen, dass es geht: Industrialisierung mit grünem Strom

Ob Indien, Nigeria, Bangladesch: Überall wollen und müssen Regierungen ihr Land elektrifizieren. Aber woher soll der Strom für Hunderte Millionen Menschen kommen? Aus Kohlekraftwerken, Atommeilern oder aus regenerativen Energiequellen? An dieser Frage hängt die Zukunft unseres Planeten.

Afrika zählt heute etwa 1,2 Milliarden Menschen, die Hälfte von ihnen hat Strom. 4,4 Milliarden Afrikaner wird es zur Jahrhundertwende geben, prognostizieren die UN, und alle werden Strom fordern. Äthiopien, dem die UN fast 250 Millionen Bürger vorhersagen, will vormachen, dass es geht: Industrialisierung ohne fossile Brennstoffe. Ausgerechnet Äthiopien, das berüchtigte Hungerland.

Kinder mit Blähbäuchen: zu apathisch, um die Insekten zu verscheuchen, die sich auf ihnen niederlassen. Mütter, denen die Säuglinge in den Armen sterben. Diese Bilder haben viele von uns noch in den Köpfen. Sie stammen aus den 1980er Jahren, der Zeit des Bürgerkriegs. Auch heute sind mehr als 18 Millionen Menschen nach einer extremen Dürre angewiesen auf Hilfspakete von ausländischen Organisationen und der Regierung.

IMG_4633Zwischen den Welten: Autobahn am Rande von Addis Abeba

Zugleich prosperiert Äthiopiens Wirtschaft. Und wie. Überall wird gehämmert und gebaut – Gewächshäuser und Fabriken, Wohnsilos und Bürogebäude, Bahntrassen und sechsspurige Highways, auf denen dann auch mal Ochsengespanne gegen die Fahrtrichtung zockeln. In der Hauptstadt Addis Abeba hat kürzlich die erste Metro Schwarzafrikas den Betrieb gestartet: finanziert, konstruiert und oft auch noch gesteuert von Chinesen.

Äthiopien ist Afrikas Wachstumsstar. Mehr als verdreifacht hat sich die Wirtschaftsleistung seit 2004, macht im Schnitt elf Prozent plus pro Jahr. Der Anteil der extrem armen Menschen mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag ist von 55 Prozent auf unter 30 Prozent gefallen. Bis 2025 soll das Land nach dem Plan des Regimes eine sogenannte Volkswirtschaft mit mittlerem Einkommen werden. Um diesen Weltbank-Status zu erreichen, müsste sich das Pro-Kopf-Einkommen noch einmal fast verdoppeln.

P1230584Made in China: Die Metro

Bekleidungskonzerne wie H&M, Kik oder Tchibo lassen in Äthiopien schneidern und nähen. Schuh- und Lebensmittelhersteller entdecken den preiswerten Produktionsstandort. Internationale Investoren setzen Zementwerke und Zuckerfabriken in die Savanne. Die staatliche Ethiopian Airlines ist heute eine der führenden, profitabelsten Fluglinien des Kontinents. Und die Farmer exportieren etwa eine Milliarde Rosen jährlich in die Welt. Viele landen in deutschen Vasen.

Doch die Blumen müssen in die Kühlkammer, wenn sie geschnitten sind und auf den Abtransport warten. Nähmaschinen, Webstühle, Flughäfen, Zuckerraffinerien oder Zementmixer – alles steht still ohne Elektrizität. Und eine zuverlässige Stromversorgung hat nicht einmal die Hauptstadt.

„Ohne Elektrizität gibt es keinen Fortschritt, keine moderne Gesellschaft, nirgends“

In Addis Abeba ziehen sich Kabel kreuz und quer über die Flure des Energieministeriums, blanke Drahtenden hängen aus den Wänden. Von draußen wummert es hinein ins Gebäude: Der Dieselgenerator ist angesprungen. Stromausfall im Regierungsviertel, schon wieder. »Diese Blackouts schädigen unsere Entwicklung, sie schrecken Investoren ab, hier Fabriken zu eröffnen«, sagt Motuma Mekassa, der Energieminister. »Wir wollen vom Agrarland zum Industriestaat werden. Aber ohne Elektrizität gibt es keinen Fortschritt, keine moderne Gesellschaft, nirgends auf der Erde.« 2012 besaß laut Weltbank nur jeder vierte Haushalt einen Stromanschluss. Aber schon in fünf Jahren sollen 90 Prozent einen Zugang zum Netz haben, verspricht Mekassa, ein dynamischer Endfünfziger mit Goldrandbrille.

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Seine Regierung muss liefern. Wachstum und Wohlstand sind die Legitimation für das Machtmonopol der regierenden Einheitspartei »Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker«. Allerdings mangelt es an Devisen, fossile Brennstoffimporte sind teuer. Daher setzt das Regime alles daran, selbst im großen Stil Strom zu erzeugen. Und für saubere Energieträger ist das Land wie geschaffen.

Mächtige Gebirge mit Dutzenden Drei- und Viertausendern fangen den Regen ein. Das starke Gefälle der Flüsse macht Äthiopien zum idealen Standort für Wasserkraftwerke. Diese liefern schon jetzt mehr als 90 Prozent des Stroms. Die Sonneneinstrahlung ist im Schnitt mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. In den Senken des Rift Valley, das sich Hunderte Kilometer von Norden nach Süden zieht, wird die Erde oft schon in geringer Tiefe kochend heiß – ideal für Energiegewinnung aus Geothermie. Und vielerorts weht zu Lande so viel Wind so regelmäßig wie in hiesigen Breiten allenfalls auf offener See.

IMG_5088Ausläufer der Simien Mountains, aufgenommen vom Mount Asheton

Äthiopien könnte es als erster großer Staat schaffen, sich fast ohne fossile Brennstoffe von einer rückständigen zu einer modernen Gesellschaft zu entwickeln. Alle wohlhabenden Nationen sind bei der Energieversorgung denselben Weg gegangen: erst Holz, Torf und Dung, dann Kohle und Erdöl, nun beginnt der Schwenk zu den Erneuerbaren. Die Äthiopier könnten die mittlere Phase mit den hohen CO2-Emissionen überspringen. Ihr Modell wäre die perfekte Blaupause für andere arme Staaten. Eine Chance zur Rettung des Klimas.

Ägyptens Politiker sinnierten schon über Militärschläge gegen Äthiopien

»Wenn es uns gelingt, unsere natürlichen Ressourcen zu nutzen, werden wir das Kraftwerk Ostafrikas«, schwärmt Minister Mekassa. »Wir wollen die Anführer der sich entwickelnden Nationen werden und der Welt beweisen, dass sich Entwicklung und Klimaschutz vereinen lassen.« Doch dafür brauche Äthiopien jetzt dringend das Know-how und Kapital der Industriestaaten. Denn: »GERD frisst unsere Devisenreserven auf.«

Internationale Geldgeber meiden das Megaprojekt, selbst die sonst überall im Land präsenten Chinesen. Wer will schon verwickelt sein in einen internationalen Konflikt zwischen den Nilanrainern? Vor allem im Wüstenland Ägypten stromabwärts ist der Zorn groß über den Damm. »Ägypten ist ein Geschenk des Nils«, erkannte einst der antike Historiker Herodot. Ohne das Süßwasser und den fruchtbaren Nilschlamm hätte es die Hochkultur der Pharaonen nie gegeben. Nun bangen die Ägypter um beides, denn gut 70 Prozent des Nilwassers und das Gros der fruchtbaren Sedimente stammen aus Äthiopiens Bergen. Bei einer Krisensitzung mit dem Präsidenten sinnierten Kairos Politiker sogar schon einmal über Militärschläge gegen GERD.

IMG_4498Politikum aus Beton: Wenn GERD volläuft, könnte Ägypten auf dem Trockenen sitzen

Um den Stausee einmal zu füllen, müsste Äthiopien den gesamten Blauen Nil etwa ein ganzes Jahr lang anstauen. Dann aber säßen flussabwärts der nördliche Sudan und Ägypten fast auf dem Trockenen. Streckte Äthiopien das Aufstauen über drei Jahre, müssten die anderen Nilanrainer dann mit etwa einem Viertel weniger Wasser auskommen.

Mittlerweile haben die Ägypter erkannt: Drohgebärden werden den Damm nicht stoppen. Auf Vermittlung des Sudans hin verhandeln sie wieder mit den Äthiopiern. Aber schon im Herbst könnte der Streit eskalieren. Dann will Ingenieur Semegnew den Blauen Nil aufstauen und die ersten Turbinen in Betrieb nehmen. Das Volk will endlich Strom haben.

Um den Bau von GERD zu stemmen, hat das Regime die letzten Reserven mobilisiert. Drei Jahre hintereinander hat es sämtlichen Staatsbediensteten nachdrücklich nahegelegt, je ein Monatsgehalt als »freiwilligen« Kredit bereitzustellen. Wenn äthiopische Banken private Darlehen vergeben, müssen sie 27 Prozent der Summe der Regierung für den Dammbau pumpen.

Neuerdings veranstaltet der Staat sogar SMS-Lotterien, um Geld aufzutreiben. Es tut not. 4,8 Milliarden Dollar sollte das Projekt anfangs kosten – das entspricht zehn Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung; Insidern zufolge reicht das längst nicht. Viele Finanziers bangen nun, ob sie ihren Einsatz je wiedersehen. Denn bislang mangelt es dem geplanten Wasserkraftwerk am Wichtigsten: Wasser.

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In diesen Wochen erinnert der Blaue Nilstrom eher an einen größeren Gebirgsfluss, so schmal, so flach ist er. Bauarbeiter stehen auf ausgetrockneten Stellen des Flussbetts und halten ihre Angeln ins brühwarme Wasser. Nur die bis zu 15 Meter hohen Uferwälle lassen erahnen, wie mächtig der Strom sein kann. 2015 sind jedoch beide Regenzeiten in weiten Teilen Äthiopiens nahezu ausgefallen, und dieses Jahr war die Kleine Regenzeit im Frühling abermals schwach. Bauern mussten ihr Vieh notschlachten, Nomaden trieben ihre Kamele aus der Halbwüste auf die Städte zu: in der Hoffnung, dort Grünes zu finden. Und Äthiopiens kleinere, fertiggestellte Staudämme fielen als Stromlieferanten immer wieder aus, so niedrig waren die Pegel. Die Folge: noch mehr Blackouts.

»Der Strom kommt und geht jede Stunde«, klagt Vasanthar Kumar, Betriebsleiter von Ethiopian Steel, »bei jedem Ausfall werden Rohstoffe beschädigt, die gerade in der Fertigungslinie sind.« Zwei Werke hat der Hersteller von Metalldächern bereits geschlossen, eins läuft noch mit verringerter Kapazität. Die ständigen Stromausfälle seien das größte Problem der Industrie in Äthiopien, sagt der Inder Kumar. »Ohne zuverlässige Versorgung können Fabriken nicht arbeiten.«

Vor einigen Tagen hat in weiten Teilen des Landes der Regen eingesetzt. Im Juni beginnen normalerweise die starken Monsunregen. Sie sollten die Turbinen ans Laufen bringen. Sofern der Klimawandel und das Wetterphänomen El Niño nicht wieder alles durcheinanderbringen. Klimaforscher warnen, die globale Erwärmung werde zu extremen Schwankungen des Monsuns führen. Werden die Regenfälle noch erratischer, ist es Glückssache, ob Äthiopien den Damm je im geplanten Umfang nutzen und wirklich seine Stromversorgung sichern kann. »GERD ist ein überdimensioniertes Projekt, eine gigantische Wette der Regierung auf den Monsun«, sagt ein Energieexperte, der aus Angst vor Repressionen anonym bleiben will. »Kommt der Regen wieder wie früher, kann Äthiopien Milliarden am Stromexport verdienen. Kommt er nicht, kann der Staat bankrottgehen.«

Auch der Energieminister räumt ein: Das jetzige System mit rund 90 Prozent Strom aus Staudämmen ist wetteranfällig. Denn sind die Pegelstände zu niedrig, müssen Turbinen stillgelegt werden. »In Dürreperioden ist es gefährlich, ausschließlich von Wasserkraft abzuhängen«, sagt Mekassa. Dafür scheine in diesen Trockenphasen meist umso mehr Sonne oder wehe mehr Wind. »Wir müssen also alle erneuerbaren Energieträger nutzen.« Bloß wie? Die Regierung hat ihre gesamten Ressourcen für GERD verbraten. Sie sucht verzweifelt nach ausländischen Investoren.

IMG_4863Ein Bauer bei Adama

Adama, eine gute Autostunde südöstlich der Hauptstadt. Ein Bauer treibt seinen Ochsenpflug zwischen den weißen Masten hin und her. Hoch über seinem Kopf ernten 34 rot-weiße Propeller gerade jede Menge Windenergie. Rasend drehen sich die Turbinenblätter, Tag und Nacht. Hier, wo das Hochland zum ostafrikanischen Grabensystem abfällt, weht acht Monate im Jahr ein stetiger Nordostpassat die Berge hoch. »Wir haben solche brillanten Bedingungen an vielen Standorten im Land«, sagt Stephan Willms, Gründer des Frankfurter Projektentwicklers Africa Enablers. Und doch sind bislang erst drei Windparks in Betrieb. Alle drei haben internationale Geldgeber.

Willms, 45, bereitet seit sechseinhalb Jahren einen schlüsselfertigen Windpark vor. Dieser wäre der größte in Afrika südlich der Sahara. Aber die Bauarbeiten haben noch immer nicht begonnen: weil unklar ist, wer bezahlt. »Äthiopien versucht, die Infrastruktur für eine nachhaltige Energiegewinnung der Zukunft aufzubauen«, sagt Willms. »Aber das Land wird das alleine nicht schaffen, wenn es der Westen jetzt im Stich lässt.«

IMG_4763Windiges Afrika: Bei Adama weht acht Monate im Jahr der Nordostpassat die Berge hoch.

Oft sind es gerade nicht die Megabauten, sondern die kleinen, dezentralen Projekte, die den Menschen wirklich helfen. Wie die 20 Solarmodule vor der Krankenstation des Dorfs Gebaba, einer Ansammlung von Stroh- und Lehmhütten, vier Fahrstunden südlich von Addis Abeba. Hier tragen Frauen in bunten Gewändern Wasserkrüge auf dem Kopf, traben Ziegen über die rote Staubpiste, ist die nächste Stromleitung 20 Kilometer weit weg. Umso wertvoller ist die kleine Solaranlage. Etwa fünf Kilowattstunden Elektrizität produziert sie an einem normalen Tag; eine vierköpfige deutsche Durchschnittsfamilie verbraucht gut doppelt so viel. Aber für das Dorf leistet das Mini-Kraftwerk mit seinen zehn Speicherbatterien unschätzbare Dienste.

IMG_4985.JPGLebensretter: Rainer Hakala und die Solaranlage von Gebaba

»Wir können endlich die Impfstoffe kühlen«, sagt Gadissa Sahle, der einzige Angestellte der Krankenstation. Lebensrettend in dieser Region, in der Typhus, Polio und Gelbfieber herrschen. Ehe die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) 2013 mit ihrem Programm Energising Development die Solaranlage aufstellen ließ, wurden die empfindlichen Seren unter Eispaketen gelagert, so erzählt der Projektleiter Rainer Hakala, ständig gingen dabei Impfstoffe kaputt. »Und wenn eine Frau nachts ihr Baby bekam, musste der Krankenpfleger die Taschenlampe in den Mund nehmen, um die Hände frei zu haben«, sagt Hakala. Jetzt haben sie in Gebaba einen funktionierenden Kühlschrank und Licht rund um die Uhr. »Wir wollen gar nicht ans Stromnetz«, sagt Gadissa Sahle. »Die Solaranlage ist viel zuverlässiger.«

Beyra Dedgabe, die Nachbarin der Krankenstation, hätte auch gerne so ein Modul. Dann müsste sie nicht mehr in ihrer Hütte kochen: auf der offenen Feuerstelle, wo sie Dung verbrennt, Stroh oder was sie sonst so findet. Die Reste des Frühstücksfeuers qualmen noch in der Mitte des dunklen, runden Raums. Links schlafen die Kühe, rechts das Ehepaar und die acht Kinder. Beyra Dedgabe, die sich selbst auf Anfang 30 schätzt, hustet und keucht wie eine langjährige Kettenraucherin. Ihr Baby, das sie auf dem Rücken trägt, hat ein eiterverklebtes Auge. Das komme vom ständigen Rauch, sagt die Mutter.

IMG_4998.JPGBeyra Dedgabe und ihr Baby

Mehr als 1,6 Millionen Menschen pro Jahr, unter ihnen Hunderttausende Kinder, sterben laut der Weltgesundheitsorganisation an der Luftverschmutzung durch offene Herdfeuer. Ein bisschen Sonnenstrom und eine Kochplatte würden den Dedgabes reichen. Aber sie können sich ja nicht mal eine Solartaschenlampe leisten. Und so müssen sie darauf warten, dass die Regierung Gebaba ans Netz anschließt.

»Ohne Strom gibt es keine Entwicklung«, sagt Energieminister Motuma Mekassa. »Ich hoffe, dass uns die entwickelten Staaten helfen, unsere natürlichen Ressourcen zu nutzen, damit wir nicht unsere Kohle verbrennen müssen.« Mehrere Hunderte Millionen Tonnen Steinkohle lagern in den Bergen; bislang hat sie das Regime nicht angerührt. Aber wenn es nicht anders geht, werden die Äthiopier den Bodenschatz wohl erschließen, ein indischer Investor hat bereits Interesse bekundet. Und die Kohle doch verheizen. So wie es alle reichen Staaten vorgemacht haben.

Ein Gedanke zu „Strom wie Heu

  1. Das Geld für GERD hätte für viele Jahre Grundeinkommen (dort reicht ja 1$/Tag) und eine dezentrale Energieversorgung gereicht. Stattdessen werden wir nächstes Jahr wieder über ein gescheiterte Großprojekt lesen.
    Btw: in Stuttgart wird grad 3x so viel Geld in eine Regionalbahn gebuttert… auch irgendwie eine Afrikanisierung

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