Der Energiekonzern E.on bringt sein vermeintliches Schmuddelkind an die Börse. Kritiker nennen Uniper eine „Bad Bank“. Doch das Unternehmen könnte die Anleger positiv überraschen. Von Claus Hecking für DIE ZEIT, 10.09.2024
Düsseldorf - Auf die Zeit nach der Scheidung freut sich der E.on-Chef schon jetzt. „Ich bin überzeugt, dass die Geschäfte alle echt sexy sind“, schwärmte Johannes Teyssen neulich. Er meinte die Bereiche, die bei E.on bleiben nach der Zweiteilung seines Stromkonzerns. Aber was wird aus dem Rest? Ist Uniper, das neue Unternehmen, in das E.on alle Kohle-, Gas- und Wasserkraftwerke entsorgt, in Teyssens Duktus „echt unsexy“? Unipers Kraftwerke, sagte der Chef knapp, hätten „einen Wert“.
Wie viel Uniper wert ist, zeigt sich am Montag. Dann bringt E.on 53 Prozent seiner Tochter an die Frankfurter Börse. Mehr als sechs Milliarden Euro soll dieser Anteil laut Konzernbilanz wert sein. Uniper wäre damit der größte deutsche Börsengang seit dem New-Economy-Rausch. Doch Marktexperten erwarten, dass die Anleger Uniper nicht mal halb so hoch bewerten. Und so warnt nun sogar E.on-Chef Teyssen vor Kurskapriolen in den ersten Tagen.
Resterampe. Bad Bank. Ungeliebtes Kind. So nennen Kritiker das junge Unternehmen mit den Dinosaurierkraftwerken, die E.on zuletzt immer wieder Milliardenabschreibungen beschert haben. Einige E.on-Mitarbeiter sollen Uniper als „E.off“ verhöhnt haben – „off“ wie abgeschaltet oder abgehängt. Wer traut sich da noch ran an die Aktie der Altlasten? Wer beteiligt sich mitten in der Energiewende an einem Sammelsurium von verpönten Kohlemeilern, von allzu oft stillstehenden Gaskraftwerken, von Wasserkraftwerken, Energiehändlern sowie Erdgasspeichern?
Und warum um alles in der Welt sollte man just jetzt bei einem hoch verschuldeten Stromerzeuger einsteigen, da Strom an der Börse nicht mal mehr halb so viel kostet wie vor vier Jahren? Diese Fragen treiben alle um: Anleger, Analysten und die rund 13.000 Angestellten von Uniper.
Auf halben Touren: In der Uniper-Zentrale zeigt ein Display sekundengenau, wie viele Kraftwerke gerade laufen.
Ihr Chef hat sich die Antwort zurechtgelegt. „Es ist der richtige Moment, das jetzt zu machen: ein perfekter Zeitraum“, spult Klaus Schäfer ab, wie auf Kommando. Dann verstummt der 49-jährige Manager, denkt nach, lehnt sich zurück. Und orakelt: „Die Herausforderungen sind jetzt klar. Keiner hier macht sich falsche Vorstellungen von dem, was in der Zukunft passiert. Was Investoren interessiert, ist der Ausblick.“ Frei übersetzt könnte das heißen: Das Umfeld sieht so düster aus für Uniper – da kann es nur noch besser werden.
Unipers große Hoffnung: eine wiederbelebte Investitionsruine
Schäfer, ein breit gebauter 1,90-Meter-Mann mit hohem Haaransatz und dunkel geränderter Brille, sitzt in einem Büro in der künftigen Uniper-Zentrale am früheren Düsseldorfer Rheinhafen. Seine Augen sind leicht gerötet; erschöpft wirkt der Manager an diesem Nachmittag. London, Los Angeles, Kopenhagen, New York, Mailand: Durch die halbe westliche Welt sind Schäfer und seine Leute in den vergangenen Monaten getourt. Sie haben ihr Unternehmen angepriesen bei Pensionsfonds, Lebensversicherern, Investmentbanken. Haben Optimismus verbreitet, den potenziellen Geldgebern hohe Renditen versprochen. Und offenbar haben sie einige überzeugt.
„Uniper wird eine volatile, aber auch interessante Investmentchance“, sagt Lüder Schumacher, Energieanalyst der französischen Großbank Société Générale. Selbst jetzt, bei sehr niedrigen Strompreisen, erwirtschafte das Unternehmen im Tagesgeschäft Zahlungsüberschüsse. Und nach oben gebe es viel Potenzial: „Wenn sich das Umfeld für Uniper von superschlecht auf schlecht verändert, ist das eine Verbesserung.“
Datteln, am Nordrand des Ruhrgebiets. „Gucken Sie mal da vorn!“, ruft Rainer Köster. „Bei Inversionswetter kriegen wir dann den ganzen Dreck in die Gärten geblasen.“ Der Pensionär zeigt aus dem Fenster, während er mit der anderen Hand sein Auto durch Dattelns Stadtzentrum steuert. Ein gräulicher Betonturm ragt in den Himmel: Nur wenige Hundert Meter entfernt von einem Wohngebiet, in dem Köster lebt, werkeln rund 700 Arbeiter auf der Großbaustelle von Datteln 4. Es ist das umstrittenste Kohlekraftwerk Deutschlands. Vielleicht das letzte, das hierzulande je gebaut wird.
Gefrustet: Datteln-4-Gegner Rainer Köster fürchtet um seine Gesundheit. Das Eon-Logo hat Uniper kurz vor dem Listing abmontiert
„Die Politiker reden doch ständig über den Klimawandel“, ruft Köster. „Sagen Sie selbst: Passt das Ding in unser 21. Jahrhundert?“ Für Köster und seine Bürgerinitiative ist Datteln 4 ein Anachronismus. Für E.on war Datteln 4 ein einziges Ärgernis. 2007 startete der Konzern den Bau; 2009 musste er alle Arbeiten an dem Milliardenprojekt einstellen, ehe auch nur eine Kilowattstunde Strom erzeugt war. Ein benachbarter Landwirt hatte geklagt. Und die Richter des Oberverwaltungsgerichts gaben ihm recht: Sie kassierten den Bebauungsplan – wegen schwerer Planungsfehler wie zu geringer Abstände zu Wohngebieten und Äckern.
Datteln 4 wurde zur Investitionsruine. Im halb fertigen Verwaltungsgebäude sammelte sich das Regenwasser, Tanks fingen an zu rosten. Doch dann startete die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ein neues Planungsverfahren. Inzwischen bohren und baggern, hämmern und flexen, schweißen und löten sie wieder. Uniper hat es eilig: Am ersten Freitag im März ließ die Bezirksregierung die vorzeitige Wiederaufnahme der Bauarbeiten an Datteln 4 zu. Am Montag nach dem Wochenende kamen die Arbeiter.
Im Inneren von Datteln 4
Uniper baut auf eigenes Risiko. Die Bezirksregierung hat die endgültige Genehmigung noch nicht erteilt. Und die Projektgegner werden wieder klagen. Doch Schäfer ist sich sicher: Es sieht gut aus für Uniper. Mehr als 80 Prozent der Gesamtkosten seien schon vor dem Baustopp angefallen, sagt er. Die Fertigstellung sei vergleichsweise günstig. Und: „Solange ältere, ineffizientere Kohlekraftwerke Cash generieren, sehe ich keinen Grund, warum diese hochmoderne Anlage nicht laufen sollte.“ Schon vor Jahren haben sich die Deutsche Bahn und RWE vertraglich verpflichtet, den darin produzierten Strom abzunehmen.
Der Konzernchef fordert Subventionen für seine fossilen Kraftwerke
Deutschland brauche fossile Großkraftwerke wie Datteln noch jahrzehntelang, lautet Schäfers Credo: „Wir stehen für Versorgungssicherheit. Unsere Kraftwerke machen die Energiewende erst möglich.“ Wenn Flaute herrscht und keine Sonne scheint, produzieren Wind- und Solarparks wenig Strom. Dann müssen konventionelle Kraftwerke einspringen. Uniper betreibt nach eigenen Angaben mehr als zwei Drittel dieser sogenannten „systemrelevanten“ Gas- und Kohlekraftwerke in Deutschland.
Schäfer und Branchenkollegen fordern Subventionen für den Bereitschaftsdienst solcher Meiler: den sogenannten „Kapazitätsmarkt“. Die Bundesregierung sträubt sich bisher. Aber Unipers wichtigster Auslandsmarkt Russland hat die Prämie bereits eingeführt. Und Großbritannien will kommenden Winter starten. Der Energieanalyst Peter Crampton von der Bank Macquarie hält es für denkbar, dass Deutschland nachziehen muss: spätestens 2022. Dann werden die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet – und Unipers Gas- und Kohlemeiler noch wichtiger für die Stromversorgung rund um die Uhr werden. Wer also Probleme bei der Umsetzung der Energiewende erwartet, kann mit der Uniper-Aktie darauf wetten.
Vor diesem Hintergrund hat Datteln 4, das vermeintliche Relikt von gestern, womöglich eine große Zukunft. Auch für die Psyche der Uniper-Mitarbeiter ist das monströse Kraftwerk immens wichtig. Ist es doch das einzige größere Vorhaben, in das der Konzern noch investiert. Für weitere Projekte fehlt Uniper das Kapital. So eisern muss der mit 3,6 Milliarden Euro verschuldete Konzern sparen, dass Schäfer bereits einen Stellenabbau angekündigt hat. Dies drücke auf die Stimmung, gibt der Chef offen zu. „Meine Leute wissen, dass Kosteneinsparungen auch Einschnitte für sie bringen können.“
Für die Aktionäre hingegen ist Geld da. 200 Millionen Euro Dividende hat das Unternehmen den Kapitalgebern für das erste Jahr versprochen. Danach will es ihnen bis zu 75 Prozent der Zahlungsüberschüsse aus dem operativen Geschäft weitergeben. „Alles wird bei Uniper der Dividendenzahlung untergeordnet“, sagt Sven Diermeier, Analyst bei Independent Research. „Das ist nichts für Anleger, die auf zukunftsorientierte Unternehmen setzen.“ Aber mit dieser Dividende könnte es Schäfer schaffen, ein Desaster beim Börsengang zu verhindern.
„Wer in Uniper investiert, braucht ein starkes Herz“
Uniper ist ein spezieller Fall. Keinen einzigen Cent frischen Geldes sammelt die Konzernmutter E.on am Montag von den Anlegern ein. Sämtliche ausgegebenen Anteilscheine gehen erst mal an die bisherigen E.on-Eigner. Die kriegen für je zehn E.on-Aktien je eine Uniper-Aktie obendrauf. Und dürfen damit von Montag an machen, was sie wollen.
Das könnte turbulent werden. Mindestens 25 Prozent der E.on-Eigner sind Fonds, die Aktienindizes wie den Dax nachbilden. Sie werden schnellstmöglich die Uniper-Papiere verkaufen müssen, da nur E.on im Dax bleibt. Aber wer wird im Gegenzug diese Millionen frei werdenden Anteilscheine kaufen – und zu welchem Preis?
Um ein allzu heftiges Auf und Ab der Kurse zu vermeiden, handeln Uniper-Aussteiger und Kaufinteressenten über beauftragte Banken am Montagmorgen in einer Auktion einen Startpreis aus. Wegen der Indexfonds wird Uniper sogar ausnahmsweise für diesen einen Tag im Dax gelistet. Womöglich werden die Banken anfangs den Kurs stützen. Danach bestimmt der freie Markt.
„Wer in Uniper investiert, braucht ein starkes Herz“, sagt der Société-Générale-Analyst Schumacher. Für risikoscheue Anleger sei die Aktie ungeeignet. Sollten allerdings die Strompreise wieder zulegen oder weitere Regierungen Bereitschaftsprämien beschließen, könne die Dividende des vermeintlichen Energie-Dinos rapide steigen – von 200 auf 400 oder 500 Millionen Euro. „Mit Uniper wird es Aktionären nicht langweilig“, sagt Schumacher.
Mit der neuen E.on vielleicht schon. Stromnetze und Offshore-Windparks, Speicher für Solarmodule, Anlagen für Kraft-Wärme-Kopplung, dazu die Abwicklung der letzten AKWs: Das sind Johannes Teyssens künftige Hauptgeschäfte. Zuverlässig kalkulierbare Erträge sollen sie bringen; Netzentgelte und Grünstrom-Vergütungen sind ja auch vorgegeben. Anders als Uniper oder RWE muss E.on keine Massenproteste von Umweltschützern mehr fürchten.
Aber was an diesem Betrieb „echt sexy“ sein soll, weiß wohl nur Teyssen selbst.