Der Schmierstoff der Weltwirtschaft wird immer billiger. Aber profitiert Deutschland wirklich davon? Und: welcher Staat steht wegen des Crashs schon am Rande des Ruins? Zehn Länderportraits offenbaren, wie ein Preis die geopolitischen Kräfteverhältnisse verändert. Von Claus Hecking und Thomas Fischermann für DIE ZEIT
SAUDI-ARABIEN Dumpingpreise gegen die US-Konkurrenz
Der Vorsatz des saudischen Regimes ist löblich: Es will diesmal am Jahresende wirklich nur so viel Geld ausgeben, wie es zu Jahresanfang geplant hat. Der wahhabitische König setzt sich dieses Ziel regelmäßig. Wenn die Regierung dann trotzdem ein paar Dutzend Milliarden Dollar mehr verbrauchte, störte das nicht wirklich. Als großer Ölproduzent konnte man sich das leisten. Bislang.
2015 sieht aber alles anders aus. Häufte der Staat in den vergangenen Jahren dank der Erdöl-Einnahmen oft Überschüsse an, sagt das Finanzministerium diesmal vorab ein Budgetloch von knapp 39 Milliarden Dollar voraus. Noch mehr Aufmerksamkeit erregt lediglich Riads Ankündigung, die Bezüge der Beamten kürzen zu wollen.
Dass selbst die Staatsdiener nicht mehr unantastbar sind, illustriert die Auswirkungen des Preisverfalls auf die Super-Ölmacht. Über Jahre hinweg hat Saudi-Arabien bewusst einen riesigen Beamtenapparat aufgebaut – um unzufriedene und perspektivlose Bürger von der Straße zu holen. Die Bürokratie ist ein Hort der Stabilität, denn die Arbeitslosigkeit in der größten Golfmonarchie mit ihrer rapide wachsenden Bevölkerung ist hoch. Und der Aufbau mehrerer Retorten-Industriestädte, in denen neue Arbeitsplätze entstehen sollen, geht nicht wie gewünscht voran.
Der Preisrutsch am Rohstoffmarkt kommt also zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Schon bald könnte Saudi-Arabien außerdem ein politischer Umbruch bevorstehen. Der lungenkranke, mehr als 90 Jahre alte König Abdullah musste vor einigen Tagen künstlich beatmet werden. Sein Halbbruder, der 79-jährige Thronfolger Salman, soll Gerüchten zufolge unter Demenz leiden.
Ungeachtet dieser Schwierigkeiten, deutet nichts darauf hin, dass Saudi-Arabien seine Ölpolitik verändert: Der mit Abstand größte Produzent der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) fördert unbeirrt an die 10 Millionen Fass (knapp 1600 Millionen Liter) pro Tag. Dabei könnte eine Verknappung des Angebots die Kurse an den Rohstoffbörsen drastisch hochtreiben. Aber Ölminister Ali al-Naimi sagt: »Es ist irrelevant, ob der Preis auf 20, 40, 50 oder 60 Dollar fällt.« Manche Experten mutmaßen, dass die Araber eine Dumpingstrategie verfolgen. Ein auf lange Zeit niedriger Ölpreis könnte amerikanische Schieferölproduzenten ruinieren sowie zugleich das iranische Regime zu Zugeständnissen im Atomstreit mit dem Westen bewegen – und damit einen Unruheherd in der Golfregion befrieden.
Einen groß angelegten Poker können sich die Saudis auf jeden Fall leisten. Ihr Staatskonzern Saudi-Aramco kann Insidern zufolge aus einigen Quellen Erdöl für weniger als zehn Dollar je Fass aus dem Boden holen. Und von einer Staatspleite ist Saudi-Arabien weit entfernt. Noch immer hortet die Zentralbank Devisenreserven im Wert von umgerechnet rund 180 Milliarden Euro. Weitere etwa 100 Milliarden liegen auf Sonderkonten für den Aufbau der Infrastruktur. Und das Vermögen des geheimnisvollen Staatsfonds Sama wird auf mehr als 600 Milliarden geschätzt.
VENEZUELA Auf dem Weg in die Mangelwirtschaft
In diesen Tagen reist der venezolanische Präsident Nicolas Maduro um die Welt. Er besuchte Saudi-Arabien und erklärte, er habe mit Mitgliedern der Königsfamilie »über eine Stabilisierung der Ölpreise« gesprochen. Davor war er im reichen China, wo er um neue Investitionen und Finanzhilfen für sein Land warb.
Aus beidem wird voraussichtlich nichts werden. Saudi-Arabien scheint im Augenblick überhaupt kein Interesse daran zu haben, den Venezolanern entgegenzukommen. Die Chinesen hingegen schicken schon seit Jahren massenhaft Geld nach Venezuela und bekommen es nun mit der Angst zu tun.
Denn Venezuela lebt vor allem vom Öl, und das ist zurzeit kein gutes Wirtschaftsmodell. Zu tun hat das nur teilweise mit dem niedrigen Ölpreis auf den Weltmärkten: Venezuela hat unter den Regimes von Hugo Chávez und Nicolás Maduro seit der Jahrtausendwende sehr wenig in seine Ölindustrie investiert und gehört daher zu den Ländern, in denen die Förderung vergleichsweise teuer ist. Auch die Produktionsmenge ist mickrig. Nach eigenen Angaben fördert das Land knapp drei Millionen Fass pro Tag, obwohl schon seit Jahren vier oder gar fünf Millionen angestrebt werden.
Ein Drittel dieser venezolanischen Ölproduktion wird quasi verschenkt: zu extrem günstigen Preisen an die heimische Bevölkerung sowie nach Kuba. Weitere 250 000 bis 450 000 Fass pro Tag sollen nach China gehen, zur Bezahlung von Krediten.
Bei den aktuellen Preisen reichen die Öleinnahmen inzwischen nicht mal mehr, um Venezuelas Importe zu bezahlen. Einführen muss das Land eine Menge Güter, weil die heimische Industrie nie sonderlich effizient war und nach Jahren straffer Regulierung unter Chávez und Maduro zusätzlich gelitten hat. Infolgedessen sinken die Importe drastisch, mancher Lieferant aus dem Ausland wurde zuletzt nicht einmal mehr bezahlt. Das steckt dahinter, wenn in Zeitungsberichten von Mangelerscheinungen in Venezuela die Rede ist: wenn Toilettenpapier fehlt oder Mehl, wenn sich vor Supermärkten Warteschlangen bilden, wenn Frittenbuden und Eisdielen dicht machen, weil sie keine Kartoffeln und keine Milch mehr finden.
Am Verfall der Landeswährung erkennt man besonders deutlich, wie sehr das Vertrauen in die venezolanische Wirtschaft schwindet: Der staatlich festgesetzte Kurs von 6,35 Bolivar Fuerte für einen Dollar ist ein Witz. Auf dem Schwarzmarkt bekommt man neuerdings mehr als 180 Bolivar für den Dollar, Tendenz rasch steigend. Ob dieser wirtschaftliche Kollaps auch politische Veränderungen mit sich bringt, ist aber eine ganz andere Frage. Massendemonstrationen gegen die Regierung, die es Anfang vergangenen Jahres gegeben hat, finden nach heftigen Repressionen derzeit nicht mehr statt. Die Opposition ist zerstritten, und es ist nicht einmal klar, was sie besser machen würde als die derzeitigen Machthaber. Auch die Vorgänger der Chavisten hatten sich wirtschaftspolitisch stets darauf verlassen, dass hohe Ölpreise die Kassen füllen.
SCHOTTLAND Zum Glück nicht unabhängig
Alistair Carmichael triumphiert. »In den Berechnungen der Unabhängigkeitsbewegung klafft ein Loch von 15,5 Milliarden Pfund«, sagt Großbritanniens Schottland-Minister, das sind knapp 20 Milliarden Euro. Noch im September, beim gescheiterten Referendum zum Austritt aus dem Vereinigten Königreich, hätten die Separatisten der Scottish National Party (SNP) »einen zweiten Ölboom vorhergesagt«. Jetzt löse sich alles in Luft auf.
»It’s Scotland’s Oil« war ein Slogan der Unabhängigkeitsbefürworter. Öl sollte dem neuen Staat ein Fünftel seiner Einnahmen bringen. Mehr als 100 Dollar Durchschnittspreis je 159-Liter-Fass kalkulierte die SNP-Regionalregierung ein. Jetzt kostet ein Fass bloß noch die Hälfte, und die Branche wird vom Wachstumstreiber zum Problemfall. Etwa 1000 Angestellte der schottischen Ölindustrie haben bereits ihren Job verloren. Sollte der Preisverfall anhalten, rechnen Ökonomen sogar mit bis zu 35 000 Entlassungen.
Der SNP hat das bislang nicht geschadet. Geführt von der populären Parteichefin Nicola Sturgeon liegen die Separatisten in Wahlumfragen weiterhin klar vorne.
RUSSLAND Nur ein Wunder kann die Rezession verhindern
Im vergangenen November gab sich Wladimir Putin zuversichtlich. Damals sagte der russische Präsident in einem Interview mit der ARD, das Wirtschaftswachstum seines Landes werde 1,2 Prozent in diesem Jahr und 2,3 Prozent im Jahr darauf betragen.
Heute wäre es schon ein mittleres Wirtschaftswunder, wenn Russland nicht in eine tiefe Rezession geriete. Die russische Zentralbank erwartet, dass die Wirtschaft in diesem Jahr bis zu 4,5 Prozent schrumpft, sollte der durchschnittliche Ölpreis nur 60 Dollar je Fass betragen.
Rubel und Aktienmarkt fallen seit geraumer Zeit, Rating-Agenturen stufen die Kreditwürdigkeit des Landes herab. Erst haben die Sanktionen des Westens die russische Wirtschaft geschwächt. Nun trifft sie der Absturz des Ölpreises, und die Folgen erreichen den Kreml sehr direkt, denn der braucht für einen ausgeglichenen Haushalt einen Ölpreis von 105 Dollar je Fass. Jeder Dollar weniger bedeute Mindereinnahmen von zwei Milliarden Dollar, verriet einst Maxim Oreschkin, der Chef für strategische Planung im Finanzministerium. Zudem muss Moskau um die Gaseinnahmen bangen, weil in vielen Verträgen die Gas-Tarife an den Ölpreis gekoppelt sind.
NIGERIA Rechnung für die Geldverschwendung
Massaker durch die Terrorgruppe Boko Haram, zahlreiche Selbstmordattentate und Piratenüberfälle vor der Küste: Die Regierung von Nigeria hätte auch ohne den rasant sinkenden Ölpreis genügend Probleme.Schon zweimal hat sie die Staatsausgaben kürzen und Sparmaßnahmen beschließen müssen. Die dritte Korrektur dürfte nach den Wahlen im Februar folgen. Noch immer kalkuliert die Regierung mit 65 Dollar je Fass. Rund 70 Prozent der Staatseinnahmen und 95 Prozent der Exporterlöse des Landes mit seinen 175 Millionen Einwohnern hängen vom Öl ab. Steuererhöhungen oder neue Schulden sind zu erwarten, denn der Deutschen Bank zufolge hat Nigeria lediglich gut vier Milliarden Dollar Reserven.
Die Regierung habe versäumt, in den guten Jahren einen Puffer anzulegen, klagt Energieökonom Adeola Adenikinju von der Universität Ibadan: »Demnächst werden wir den Preis für die Geldverschwendung der vergangenen Jahre zahlen.« Die Wirtschaft brauche eine breitere Grundlage, die Regierung müsse neue Branchen aufbauen. Aber wie, ausgerechnet jetzt, wenn das Geld für Investitionen fehlt? In Nigeria lässt nur eins sicher vorhersagen: Es bleibt unruhig.
VEREINIGTE STAATEN Neu entflammte Liebe zum Monster-Truck
Das Sehnsuchtsmobil vieler Autokäufer in Amerika hat 6,2 Liter Hubraum, 420 PS und wiegt 2537 Kilogramm. Ohne Fahrer, natürlich. Die Wartezeit auf einen Cadillac Escalade beträgt mehrere Monate, obwohl dieses Sport Utility Vehicle (SUV) bis zu 17 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbrennt. Auch andere tonnenschwere Geländewagen sind begehrt , allen voran der Ford 150. Und selbst um den Hummer, der seit einigen Jahren nicht mehr gebaut wird, balgen sich nun die Gebrauchtwagenkäufer. Der Spritpreis stellt für sie kein Hindernis mehr dar, seit die Gallone Treibstoff (3,78 Liter) an der Tankstelle nicht mehr gut vier Dollar kostet, sondern bloß noch etwa die Hälfte.
Im September und Oktober waren 53 Prozent aller zugelassenen Fahrzeuge sogenannte Trucks – also Pick-ups, SUVs und andere »gas guzzlers« (Spritschlucker). Das ist der höchste Wert seit zehn Jahren. Viele Amerikaner glauben, sich den Luxus verdient zu haben. Schließlich haben sie mit ihrem unkonventionell geförderten Öl den Rohstoffmarkt verändert und so den Preisverfall mit ausgelöst.
Mithilfe des umstrittenen Frackings werden die USA demnächst wohl zum größten Erdölproduzenten der Welt. Bei dieser Methode erzeugt man mit Druck Brüche im Gestein tief unter der Erdoberfläche und macht es so durchlässiger für Flüssigkeiten und Gase. Danach spült man die Rohstoffe mit einer chemischen Lauge an die Oberfläche.
Von 2008 bis 2013 stieg die amerikanische Rohölproduktion um fast die Hälfte: von täglich knapp sieben auf mehr als zehn Millionen Barrel (rund 1,6 Milliarden Liter). Allerdings wird dabei oft übersehen, dass die USA noch immer der mit Abstand größte Erdölverbraucher der Welt sind. Auch in Zukunft werden sie Öl einführen – nur eben weniger als zuvor.
Trotzdem geht in der amerikanischen Fracking-Branche die Angst um: Viele mittelständische Ölfirmen könnten dem Boom bald zum Opfer fallen, weil der extreme Preisverfall viele ihrer Projekte unwirtschaftlich macht. In Fracking-Hochburgen wie North Dakota und Texas sinkt bereits die Zahl neuer Bohrungen. Der Rohstoffkonzern Conoco Philips hat seine Investitionen um ein Fünftel reduziert.
Skeptiker halten die durch Fracking erschließbaren Reserven außerdem für überschätzt, weil veraltete Prognoseverfahren angewandt werden. Und selbst wenn die Vorhersagen stimmen sollten, ist der Boom womöglich kurzlebig. Laut Ökonomen des Ölkonzerns BP wären die Vorräte beim derzeitigen Förderniveau schon in gut zwölf Jahren erschöpft.
DEUTSCHLAND Kostet Diesel bald weniger als einen Euro?
Wenn es so weitergeht, fällt an der Tankstelle bald die Ein-Euro-Grenze. An einigen Zapfsäulen kostete der Liter Diesel vergangene Woche nur noch 1,059 Euro. Das ist ein Drittel weniger als vor einem Jahr. Und es läppert sich. Sollten die Rohölmärkte auf dem aktuell niedrigen Niveau bleiben, könnten Unternehmen und Verbraucher im neuen Jahr rund 20 Milliarden Euro sparen. So hat es der Deutsche Industrie- und Handelskammertag errechnet.
Die Ökonomen der Großbank UniCredit erwarten sogar bis zu 30 Milliarden Euro weniger Kosten – auch dank sogenannter Zweitrundeneffekte. Erfahrungsgemäß nähern sich zeitverzögert die Tarife für Erdgas und Fernwärme der Preisentwicklung beim Erdöl an. Zudem werden andere Produkte wie Metalle oder Agrarrohstoffe oft billiger, wenn die Kosten für Energie bei der Erzeugung sinken.
Die Bundesregierung erwägt nun, ihre Wachstumsprognose nach oben zu korrigieren. Wichtigster Grund ist der stark gesunkene Ölpreis; zudem stützt die Abwertung des Euro die Exporte. Die Prognose ist Teil des Jahreswirtschaftsberichts, den Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel Ende Januar im Kabinett vorstellen und dann veröffentlichen will. Sie ist die Grundlage für die Aufstellung des Haushalts, die im März beginnt. Bislang erwartet die Regierung für dieses Jahr ein Wachstum von 1,3 Prozent.
Namhafte Ökonomen teilen Berlins Optimismus. »Ein kleines Konjunkturprogramm« sei der Ölpreisverfall, sagt Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Und der Vorsitzende des Sachverständigenrates der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, sagt voraus, dass die deutsche Wirtschaft wegen der niedrigeren Energiekosten in diesem Jahr um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte stärker wachsen werde als bisher prognostiziert.
Auch bei den Unternehmenschefs kehrt mehr Zuversicht ein. Wichtige Stimmungsbarometer wie der ifo-Geschäftsklimaindex, der sechs Monate infolge fiel, steigen wieder.
Dass unterdessen die Strompreise für Industriekunden an der Leipziger Energiebörse auf den tiefsten Stand seit Jahren gefallen sind, hat mit dem Ölpreis wenig zu tun. Denn Erdöl wird kaum noch verfeuert. Der Preisrutsch ist vielmehr die Folge eines wachsenden Angebots an Ökostrom, nie produzierten Windräder so viel wie heute. Zudem hat sich der Brennstoff Kohle stark verbilligt. Gas könnte folgen. Erste Versorger kündigen nun auch für private Haushalte etwas niedrigere Tarife an.
CHINA Staatskonzerne auf Schnäppchenjagd
Für günstige Gelegenheiten haben Chinas Investoren schon immer ein Faible gehabt. Als die Weltfinanz- und die Eurokrise ausbrachen, kauften Konzerne und Magnaten in Europa und anderen Regionen viele hundert Unternehmen, Tausende Immobilien und Zehntausende Hektar Land. Jetzt schlagen die Ölmultis zu, füllen ihre Lagerstätten. Dem Wall Street Journal zufolge hat der Staatskonzern Sinopec die Ladung von 36 Supertankern erworben. Der zweite große Energiekonzern PetroChina beschaffte sich im Oktober über eine Tochterfirma gleich 47 Ladungen. Gemessen am Ölpreis vom Sommer dürfte China so rund zwei Milliarden Euro gespart haben.
Händler berichten, schon beim letzten Preissturz am Ölmarkt im Jahr 2008, als der Preis binnen kurzer Frist von 147 bis auf 34 Dollar fiel, hätten die Asiaten kräftig eingekauft. Damals war das ein grandioses Geschäft: Wenige Monate später hatten sich die Notierungen wieder verdreifacht.
Aber es geht nicht allein darum, ein paar Milliarden Euro zu sparen. Die Regierung in Peking will die Gelegenheit nutzen, um ihre strategischen Reserven von geschätzten 200 Millionen drastisch auf etwa 600 Millionen Fass zu erhöhen. Das wäre genug für 90 Tage. »China nutzt die niedrigen Ölpreise aus«, sagt Neil Beveridge, Energiestratege des Investmenthauses Bernstein in Hongkong. Dahinter steckt das Kalkül: Die nächste Hausse am Markt kommt bestimmt, und hauptverantwortlich dafür wird China sein.
Der Verbrauch des Landes hat sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt: auf knapp elf Millionen Fass pro Tag. Zeitweise sorgte die neue Supermacht für rund die Hälfte des weltweiten Nachfragewachstums. So rasant war der Aufschwung, so hoch der Anteil der Industrie am chinesischen Wirtschaftswunder. Schonender Einsatz von Energie war in dieser Zeit oft Nebensache. Kam es etwa zu Stromengpässen, die vor einigen Jahren vielerorts noch zum Alltag gehörten, warfen die Betriebe monströse Dieselgeneratoren an. Mittlerweile hat die Volksrepublik sogar die USA als weltgrößten Erdöl-Importeur abgelöst, schreibt die US-Energiebehörde EIA.
Nach Prognosen der Internationalen Energieagentur wird die Volksrepublik bis Mitte des kommenden Jahrzehnts noch mehr Durst auf Öl bekommen und täglich bis zu sechs Millionen Fass zusätzlich verbrauchen. Spätestens in 20 Jahren werde sie die USA dann auch als größten Ölverbraucher der Welt ablösen, sagt die Energieagentur voraus. Frühzeitig zu horten kann da nicht schaden.
JAPAN Abe, lass die Preise steigen!
Für Japans Premier Shinzo Abe ist der niedrige Ölpreis ein Problem. Sein wichtigstes wirtschaftspolitisches Ziel ist es, die Preise um zwei Prozent pro Jahr steigen zu lassen. Er will die Inflation – und das hat eine lange Vorgeschichte. Denn Japan gerät seit Jahren immer wieder an den Rand einer Deflation. In dieser Lage sinken die Preise, während die Wirtschaft zugleich schrumpft, und das ist gefährlich für eine Volkswirtschaft. Dann sinkt nämlich das Vertrauen der Verbraucher und der Unternehmen in die Zukunft. Die einen konsumieren weniger, die anderen investieren kaum. So kann ein ganzes Land erstarren und in eine nicht enden wollende Krise geraten. Japanische Wirtschaftspolitiker kämpfen seit Jahren dagegen an, doch nach ersten Erfolgen steigen die Preise kaum noch: Zuletzt waren es nur 0,9 Prozent pro Jahr, vor allem weil Benzin, Diesel und andere Erdölprodukte so billig sind. Zentralbankchef Haruhiko Kuroda hofft aber auf einen Gegeneffekt. Um bis zu 50 Milliarden Euro könnten Japans Energiekosten sinken. Und je weniger Bürger und Betriebe für Öl ausgeben müssen, umso mehr haben sie übrig zum Konsumieren und Investieren.
SPANIEN »Das Wachstum riecht nach Benzin«
Mariano Rajoy beschwört die Wende. »2015 wird unsere Wirtschaft abheben«, sagt Spaniens Premier. Um 1,3 Prozent ist das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr gewachsen. Für dieses Jahr erwartet die spanische Regierung sogar mehr als zwei Prozent. Falls der Ölpreis bleibt, wo er ist. Das ist die Bedingung.
Immobilienkrise, Bankencrash, Rettungsschirm: Die Spanier haben sieben harte Jahre hinter sich. Nun helfen die niedrigen Energiepreise den Unternehmen, sie entlasten Bürger und Staat. »Der Großteil des Wachstums riecht nach Benzin«, schreibt die Wirtschaftszeitung Cinco Días. Um sich eine Vorstellung zu machen: Vor zwei Jahren hat das Land für Erdöl und Erdgas insgesamt 45 Milliarden Euro ausgegeben. Damals lag der durchschnittliche Ölpreis bei 108 Dollar je Fass. Ein Preis auf dem heutigen Niveau lässt den Spaniern also rund 15 Milliarden Euro mehr für Investitionen und Konsum.
Doch nicht jeder ist glücklich über die Entwicklung. Tourismusmanager an der Costa del Sol befürchten, die Zahl der wohlhabenden Besucher aus Russland werde stark abnehmen. Schließlich sei der niedrige Ölpreis für sie eine echte Bedrohung.
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