Zigaretten-Schachteln: Mediziner fordern Plain Packaging in Deutschland


Als drittes Land hat Großbritannien Einheitsverpackungen ohne Markenlogos und mit großen Schockfotos beschlossen. Tabakgegner verlangen, Berlin müsse nachziehen. Von Claus Hecking für ZEIT ONLINE.

Großbritannien wird als zweites Land in Europa die Einheitsschachtel für Zigaretten einführen. Am Nachmittag beschloss das britische Unterhaus, dass die Tabakkonzerne ihre Glimmstängel künftig nur noch in schlammbraunen Verpackungen verkaufen dürfen, ganz ohne Markenlogo. Stattdessen werden auf den Zigarettenschachteln zur Abschreckung große Fotos prangen, die zeigen, welche Krankheiten das Rauchen hervorrufen kann. Plain Packaging nennt sich das im Jargon.

Deutsche Wissenschaftler verlangen ein ähnliches Gesetz auch für Deutschland. „Die Bundesregierung sollte Plain Packaging jetzt auch einführen“, fordert Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg gegenüber ZEIT ONLINE. „Wir haben hierzulande riesigen Nachholbedarf bei der Eindämmung von Tabakwerbung.“ Der Mediziner Helmut Gohlke, Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung, sagte: „Mit Plain Packaging verliert die Zigarettenschachtel ihren Glamour. Zudem ist diese Präventionsmaßnahme für den Staat kostenlos.“ Und Robert Loddenkemper von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie erklärt: „Plain Packaging macht Zigaretten vor allem für Kinder und Jugendliche unattraktiver.“

Großbritannien ist der dritte Plain-Packaging-Staat nach Australien und Irland, das erst vor wenigen Tagen die neuen Vorschriften eingeführt hat. In Europa planen weitere Regierungen, unter anderem Norwegen, Finnland, Frankreich und die Türkei, demnächst nachzuziehen.

Zigarettenkonzerne kämpfen erbittert

Die Bundesregierung äußert sich verhalten. Ein Sprecher des zuständigen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, die Bundesregierung habe dem in der neuen EU-Tabakrichtlinie „gefundenen Kompromiss zugestimmt“. Dieser sieht vor, dass Warnhinweise und Schockfotos von Mai 2016 an insgesamt 65 Prozent der Schachtelfläche umfassen müssen. Markenlogos wären also weiterhin erlaubt. Das Ministerium gehe „derzeit davon aus, dass dies auch die Grundlage für die nationale Umsetzung ist“, so der Sprecher. „Aber der Meinungsbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung ist in dieser und anderen Fragen noch nicht abgeschlossen.“

Deutschland ist in der EU einer der liberalsten Staaten bei Tabakwerbung. Nur hierzulande und in Bulgarien dürfen Zigarettenhersteller noch auf Plakaten werben. Es geht um viel für sie: Jahr für Jahr sterben in Deutschland etwa 110.000 Raucher und Passivraucher an den Folgen des Tabakkonsums.

Die Industrie kämpft erbittert gegen alle Plain-Packaging-Pläne. Insbesondere der Logo-Bann trifft die Konzerne hart, haben sie doch über Jahrzehnte hinweg Milliarden und Abermilliarden Dollar in den Aufbau ihrer Marken gesteckt. Schon vor dem britischen Parlamentsbeschluss hatten mehrere Multis angedroht, die Londoner Regierung zu verklagen, da sie ihre Eigentumsrechte verletzt sehen. Großbritannien ist der Stammsitz von zwei der vier größten privaten Tabakhersteller der Welt: British American Tobacco (BAT, „Lucky Strike“) und Imperial Tobacco („West“). Branchenführer Philip Morris International (PMI, „Marlboro“) prozessiert gegen Australien vor einem der umstrittenen Schiedsgerichte. Beim Europäischen Gerichtshof hat PMI mit einigen anderen Herstellern Klage gegen die EU-Tabakrichtlinie eingereicht.

British American Tobacco will vor Gericht ziehen

Ein Sprecher von BAT Deutschland erklärte gegenüber ZEIT ONLINE, man werde nun in Großbritannien vor Gericht ziehen. Uniform-Verpackungen vernichteten „Unternehmenswerte in beträchtlichem Umfang“ und stellten „eine Enteignung von Unternehmen“ dar. In Deutschland wäre „die Einführung von Einheitspackungen verfassungswidrig“, sagte der Sprecher.

Die Konzerne behaupten außerdem, Plain Packaging habe im Pionierland Australien vor allem Schmuggel und Produktpiraterie befördert. Laut einer von der Industrie beauftragten Studie ist der Anteil illegal konsumierter Tabakprodukte seit der Einführung von Plain Packaging im Jahr von 11,8 auf 14,3 Prozent gestiegen. Daten der australischen Gesundheitsbehörde zufolge sind die Umsätze mit Tabakprodukten seither um etwa drei Prozent gefallen. Auch der Anteil der Raucher an der Gesamtbevölkerung sinkt weiter.

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