Immer mehr Staaten schreiben den Tabakmultis Einheitsschachteln mit Schockmotiven vor. Deutschland wohl nicht. Warum nicht? Von Claus Hecking für DIE ZEIT.
„Das ist ziemlich schick“, sagt das kleine Mädchen mit den Milchzähnen über den Gegenstand in seinen Händen, den das Bild des Videoclips noch nicht zeigt. „Edel sieht das aus“, staunt ein vielleicht siebenjähriger Junge. Und ein anderer Knirps fragt: „Ist das da ein Königswappen?“ Dann zieht die Kamera auf. Und diese Dinger, mit denen die Kinder spielen, entpuppen sich als bunte Zigarettenschachteln.
Drei Jahre lang hat die Organisation Cancer Research UK mit diesem Spot für ihr großes Anliegen geworben: die Einführung schlammbrauner Einheitsschachteln für Zigaretten, die ausschließlich Warnhinweise und Schockfotos krebsbefallener Lungen oder teergeschwärzter Gebisse zeigen, aber keine Markenlogos und Herstellerwappen. Ohne die bunten Packungen hätten viele Kinder und Jugendliche einen Anreiz weniger, mit dem Rauchen anzufangen, argumentieren die Anti-Tabak-Aktivisten.
Jetzt wähnen sie sich am Ziel: Im März hat das Londoner Unterhaus dieses sogenannte Plain Packaging beschlossen – gleich nach Irland, das noch ein paar Tage schneller war. Und nun ist auch Frankreichs Nationalversammlung nachgezogen. Vom kommenden Jahr an dürfen die Tabakmultis ihre Produkte nur noch in hässlichen Schockverpackungen verkaufen. Sofern sie nicht mit ihren zahlreichen Gerichtsklagen durchkommen.
Ein Tabaktoter alle sechs Sekunden
Die Uniformschachtel für Zigaretten verbreitet sich gerade rasant. Weltweit. 2012 hat Australien als erstes Land der Erde den Konzernen Plain Packaging aufgezwungen. Nun sind binnen weniger Wochen drei europäische Staaten dazugekommen. Bald dürften die nächsten Dominosteine fallen: In Europa wollen Finnland, Norwegen, Schweden sowie die Türkei nachziehen. Auch die Regierungen von Brasilien, Neuseeland oder Südafrika bereiten Plain Packaging vor. Die EU oktroyiert in ihrer neuen Tabakproduktrichtlinie den Mitgliedsnationen zwar nicht die Einheitsschachtel auf, erlaubt sie ihnen aber explizit.
Schließlich ist in Australien der Raucheranteil an der Bevölkerung nach Einführung der Uniform für Zigaretten auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Datenerhebung gefallen. Studien zeigen, dass australische Jugendliche Tabakprodukte nie so unattraktiv gefunden haben wie heute.
Es geht um viel: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stirbt im Schnitt alle sechs Sekunden ein Aktiv- oder Passivraucher an den Folgen des Tabakkonsums. Zugleich setzen die Hersteller pro Jahr geschätzte 700 Milliarden Dollar um. Und nichts treibt sie so um wie Plain Packaging. Jahrzehntelang haben Multis wie Philip Morris International (Marlboro) oder British American Tobacco (BAT/Lucky Strike) Abermilliarden Dollar in den Aufbau ihrer Weltmarken gesteckt. Und nun sollen sie nicht einmal mehr ihre Markenlogos auf die Schachtel drucken dürfen. Sie ist eines der letzten Refugien, auf denen die Industrie bisher noch halbwegs ungehindert werben durfte. Ein Statussymbol, das viele Raucher stolz vor sich auf den Bartisch legen. Diesen Eingriff wollen die Nikotinmultis nicht hinnehmen.
„Ein irrationaler, unnötiger Angriff auf das private Eigentum“ der Produzenten sei die Einheitsverpackung, wettert James Barge, Lobbyist von Philip Morris UK. Die Industrie behauptet, Plain Packaging fördere nur Schmuggel und Markenpiraterie. „Rechtswidrig“ seien die Regularien, sagt Antonella Pederiva, Generalsekretärin des europäischen Dachverbandes CECCM, „ein Versuch, Unternehmen ihrer wertvollsten Vermögenswerte zu berauben: ihrer Marken“. Ein Sprecher von BAT Deutschland spricht gar von „Enteignung“.
Die Konzerne lamentieren nicht nur, sie prozessieren. Diese Woche hat vor einem Dubliner Gericht das Verfahren von Japan Tobacco International gegen den Staat begonnen. Der Camel-Hersteller behauptet, Irland könne nicht Plain Packaging vorschreiben, ehe nicht der Europäische Gerichtshof sein Urteil über die Einheitsschachtel gesprochen habe. Beim EuGH hat Philip Morris International (PMI) gemeinsam mit anderen Firmen Klage gegen die EU-Tabakrichtlinie eingereicht. Australien verklagt der Marlboro-Hersteller vor einem der umstrittenen internationalen Schiedsgerichte.
Deutschland, das Tabakwerbeparadies
Togo hat PMI schon in die Knie gezwungen. Das kleine afrikanische Land beerdigte alle neuen Schachtelpläne, nachdem der Weltkonzern der Regierung in einem Brief eine „unberechenbare Anzahl internationaler Handelsrechtsstreitigkeiten“ angedroht hatte. BAT schrieb gar die Regierung der Salomon-Inseln an: eines Pazifik-Atolls mit nicht mal 600.000 Bürgern.
Um einen Markt müssen die Konzerne vorerst nicht bangen: Deutschland. Ein Sprecher des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erklärt, gegenwärtig sei „seitens des BMEL nicht vorgesehen“, Plain Packaging einzuführen. Der Meinungsbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung sei allerdings „noch nicht abgeschlossen“. Behauptungen von BAT, dass die große Koalition Plain Packaging ausgeschlossen habe, seien unwahr.
Deutschland hat die wohl laxesten Tabakwerbegesetze der EU. Als einziger Mitgliedstaat neben Bulgarien erlaubt die Bundesrepublik noch immer Plakatwerbung für Zigaretten – und dazu als einziges Land neben Griechenland auch abendliche Kinowerbespots. Dabei ratifizierte die Bundesregierung schon 2004 das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs und verpflichtete sich zu einem umfassenden Werbeverbot.
Elf Jahre später hat Berlin dieses Gelübde immer noch nicht eingelöst. Der Sprecher erklärt dazu, Priorität habe die Umsetzung der EU-Tabakrichtlinie in nationales Recht. „Im Rahmen dieses Pakets wird auch die Tabakwerbung zu diskutieren sein.“ Laut WHO-Vertragstext hätte Deutschland aber schon spätestens 2010 das Werbeverbot umsetzen müssen.
Ich vertraue eher amtlichen Statistiken als ominösen Studien einer interessierten Partei.
Linktipp: https://www.youtube.com/watch?v=c_z-4S8iicc
Es ist falsch zu behaupten die Zahl der Raucher in Australien sei durch plain packaging rückläufig. Die Zahl der versteuerten Rauchwaren ist rückläufig. Richtig ist, dass die Schmuggelware drastisch zugenommen hat, und zwar weit über den sogenannten „Rückgang“ hinaus …
Die Zahl der Raucher in Australien ist rückläufig: http://www.health.gov.au/internet/main/publishing.nsf/Content/tobacco-kff
Die von Ihnen zitierte Behauptung, die Schmuggelware habe drastisch zugenommen, stammt mutmaßlich aus einem Report von KPMG. Diesem zufolge ist der Anteil geschmuggelter Zigaretten von 11,8 auf 14,5 Prozent gestiegen. Drastisch ist anders. Zudem wurde der KPMG-Reoport von der Zigarettenindustrie beauftragt. http://parlinfo.aph.gov.au/parlInfo/download/legislation/ems/r5172_ems_78ed6212-03a3-4669-9947-c3fc17c8b5e0/upload_pdf/391349.pdf;fileType=application%2Fpdf#search=%22legislation/ems/r5172_ems_78ed6212-03a3-4669-9947-c3fc17c8b5e0%22%29
Nun stellt sich natürlich wieder die typische Frage: Welche Statistik ist glaubhaft(er)?
Fakt ist die überproportionale Zunahme von Schmuggelware um 30% innerhalb der letzten 2 Jahre ist in Sydney´s Straßen deutlich erkennbar. Ich kann diese Entwicklung übrigens als Augenzeuge bestätigen! Wie steht es in der Hinsicht mit Ihren Erfahrungen?
http://www.heraldsun.com.au/news/law-order/black-market-tobacco-now-145-per-cent-of-all-consumption-illicit-tobacco-in-australia-report-shows/story-fni0fee2-1227334216624
Als Raucher unterstütze ich jegliche Maßnahmen gegen die Beschneidung meiner persönlichen Entscheidungsfreiheit! Denn wie sagte Fr. Prof. Dr. Dr. Gertrud Höhler so schön:
„Wenn der Schutz des einen vor den schädlichen Gewohnheiten des anderen einen Dritten im Markt die Existenz kosten kann, dann stehen Bürgerrechte zur Disposition, die der Staat zu schützen hätte!“