Niedrige Ölpreise könnten die Arktis vor dem Zugriff der Konzerne retten. Für das Klima sind sie trotzdem Gift. Von Claus Hecking für DIE ZEIT, 29.9.2015.
Hamburg - Selten haben Umweltschützer eine Entscheidung eines Ölmultis so bejubelt wie die von Shell. Ende September hat der Konzern angekündigt, auf absehbare Zeit alle Bohrungen in der Arktis einzustellen. Seitdem feiern Greenpeace, WWF und Co. sich selbst, ihre Unterstützer – und den niedrigen Rohölpreis. Erst dessen Absturz auf gut 40 US-Dollar je Barrel (159 Liter), da sind sich Branchenexperten einig, hat Shells Management wohl dazu gebracht, das lange gepriesene Milliardenprojekt vor Alaska doch noch aufzugeben.
Weltweit stoppen Öl- und Kohlekonzerne angesichts einbrechender Einnahmen gerade derlei ökonomisch und ökologisch grenzwertige „Frontier“-Projekte. Bei aller spontanen Freude sollte dies für die Aktivisten kein Grund zur Euphorie sein. Schließlich lässt sich die Mutter aller Umweltkrisen, der Klimawandel, von fallenden Energiepreisen nicht aufhalten. Im Gegenteil.
Je teurer fossile Brennstoffe sind, desto leichter wird es, darauf zu verzichten
Nichts schadet dem Kampf gegen die globale Erwärmung so sehr wie der Crash an den Märkten für fossile Brennstoffe. Nichts macht den Umstieg auf regenerative Energiequellen oder den Austausch des heimischen Uralt-Heizkessels so unattraktiv wie billiger Strom oder billiges Öl. In den USA lässt sich eine Kilowattstunde Kohlestrom an bestimmten Standorten zurzeit für 0,007 Euro herstellen; wie soll die Solaranlage da mithalten? Und während Sprit schluckende Geländewagen in Europa, Nordamerika oder Asien gerade wieder Verkaufsrekorde feiern, stagniert in Deutschland der Anteil von Elektroautos an den Neuzulassungen bei 0,6 Prozent.
Auch die Arktis ist noch lange nicht vor dem Zugriff der Konzerne gerettet. Eine Reihe von ihnen bleibt vor Ort. Selbst Shell erklärt, die Region biete weiter Potenzial. Laut der US-Geologiebehörde lagern 13 Prozent der globalen Erdölreserven in der Arktis. Die Multis werden versuchen, diesen Schatz zu heben, sobald es sich wieder für sie lohnt. Vorausgesetzt: Die Nachfrage ist da.
Wir brauchen einen weltweiten CO2-Preis
Um den Anstieg der Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müssten mehr als 40 Prozent der Erdöl- und 80 Prozent der Kohlevorräte im Boden bleiben. Je mehr uns diese fossilen Brennstoffe kosten, desto leichter wird uns der Verzicht auf sie fallen.
Daher sollten die Lenker der großen Staaten das Verheizen von Öl und Kohle auf Dauer teuer machen und den Ausstoß von Kohlendioxid bepreisen: über Steuern oder Verschmutzungszertifikate. Das ist nicht unrealistisch. China etwa plant, in den kommenden Jahren einen Emissionsrechtehandel einzuführen, wie ihn die EU schon hat. Diese beiden Systeme gehören schnellstmöglich vereint. Die Weltklimakonferenz in Paris Ende des Jahres wäre die ideale Gelegenheit, einen solchen Deal frühzeitig in die Wege zu leiten.
Bezahlen werden all das am Ende wir Verbraucher. Es sollte uns die gute Sache wert sein. Billiger Strom und Sprit kommen uns langfristig teuer zu stehen.