Zum Pariser Gipfel machen viele Regierungen große Klimaversprechen – mithilfe geschönter Zahlen. Von Claus Hecking für DIE ZEIT
Paris - In den letzten Tagen vor dem Gipfel twitterte die UN-Klimachefin ständig „Danke“. Ob Kuba, Jemen oder Mikronesien: Wann immer ein Staat seinen nationalen Klimaschutzbeitrag für Paris verkündete, stellte Christiana Figueres die jeweilige Landesflagge in ihr Mikroblog und bedankte sich über das Soziale Netzwerk.
Dabei sein wollen fast alle. 185 Staaten, eingeschlossen die 28 EU-Mitglieder, hatten bis zum Gipfelauftakt ihre Klimaversprechen beim UN-Klimasekretariat eingereicht. Diese INDCs (Intended Nationally Determined Contributions) sollen das Herzstück des weltumfassenden Klimaabkommens werden, das die Diplomaten in Paris aushandeln sollen. Und auf den ersten Blick sehen viele Pläne mutig aus. Vor allem große Verschmutzer wie Russland, die USA oder die EU geloben, ihren Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre bis 2030 deutlich zu senken: um mindestens 25, bis zu 28 oder gar 40 Prozent.
Doch beim Zusammenrechnen zeigt sich: All diese wohlklingenden Versprechen bedeuten noch lange keine Klimawende. Die INDCs werden „nicht ausreichen, um bis 2025 und 2030 den Aufwärtstrend der weltweiten Emissionen umzukehren“, resümieren die Experten des UN-Klimasekretariats. Der CO₂-Ausstoß werde um mindestens elf Prozent steigen. Wie kann das sein?
UN-Klimagipfel in Paris gestartet Bei der zweiwöchigen Konferenz im Vorort Le Bourget verhandeln 147 Staatschefs das Thema Erderwärmung. Ziel ist der Abschluss eines verbindlichen Klimaschutzabkommens.
Beim genaueren Hinsehen zeigt sich: Viele Klimaschutzpläne sind voller heißer Luft. Mit Statistik-Tricks und mehrdeutigen Formulierungen haben eine Reihe Regierungen ihre Gelübde aufgehübscht. So können sie der Welt in Paris Großes verkünden – und sich daheim allzu schmerzhafte Reformen ersparen. Der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, befürchtet sogar, dass manche Zusagen am Ende gebrochen werden könnten. „Viele INDCs sind so vage formuliert, dass sie womöglich auf Dauer keinen Bestand haben.“
Niklas Höhne kennt die INDCs wie kaum ein Zweiter. Der Leiter des NewClimate Institute aus Köln und sein Team haben gemeinsam mit drei weiteren Forschungshäusern im Projekt Climate Action Tracker die Klimaversprechen aller großen Staaten analysiert. Zwei Kommunikationsstrategien seien erkennbar, sagt der 45-jährige Höhne, der selbst jahrelang für das UN-Klimasekretariat gearbeitet hat. „Manche Nationen setzen viel Zahlenkosmetik ein, andere halten ihre Ankündigungen bewusst vage. Es gibt aber auch einige Pläne, die wirklich ambitioniert sind.“
Die Kosmetiker
Um ihre Anstrengungen für das Weltklima ins beste Licht zu rücken, lassen sich manche Regierungen einiges einfallen. Das beginnt mit dem Vergleichsjahr, gegenüber dem der CO₂-Ausstoß sinken soll. Theoretisch sollten alle Staaten als Basisjahr 1990 nehmen; so hatten sie es einst vereinbart. Die USA wählen nun aber 2005 und Japan bezieht sich auf 2013. In diesen Jahren hatten beide Staaten jeweils extrem hohe CO₂-Emissionen. Umso beeindruckender sieht, damit verglichen, ihr Klimaziel für 2030 aus. So wollen die USA ihren CO₂-Ausstoß gegenüber 2005 um bis zu 28 Prozent senken; verglichen mit 1990, wäre das nur ein Minus von bestenfalls 19 Prozent. Japans Einsparziel von 26 Prozent gegenüber 2013 schrumpft im Vergleich zu 1990 auf 18 Prozent. Vor der Fukushima-Katastrophe und dem Abschalten der Atomkraftwerke war Japans Politik ambitionierter: Auf dem Kopenhagener Gipfel 2009 versprach Tokio minus 25 Prozent gegenüber 1990.
Für die EU ist 1990 hingegen das perfekte Basisjahr für ihr 40-Prozent-Ziel. Gerade im östlichen Europa bliesen damals viele Uralt-Kohlekraftwerke und Fabrikschlote Abgase en masse in die Luft. Die EU gelobt, auch künftig deutlich weniger CO₂ als heute zu emittieren – ganz anders als Russland. Laut dessen INDC soll der Treibhausgas-Ausstoß 2030 um 25 bis 30 Prozent niedriger sein als 1990 zu Sowjetzeiten. Klingt gut, heißt aber im Vergleich zu heute: Russlands Emissionen werden wachsen.
Viele Schwellenländer, aber auch neue Industrienationen wie Südkorea, haben ihren Treibhausgas-Ausstoß derart hochgetrieben, dass sie ihre Emissionen von morgen gar nicht erst mit realen Werten von gestern vergleichen. Stattdessen stellen sie fiktive, sogenannte „Baseline“-Szenarien auf: Zuerst prognostizieren die Regierungen für die kommenden 15 Jahre bestimmte CO₂-Emissionen für eine „Business as usual“-Entwicklung ohne Klimaschutzmaßnahmen. Dann ziehen sie davon einen Prozentsatz ab – zum Wohl der Weltgemeinschaft. Südkorea etwa gelobt bis 2030 minus 37 Prozent gegenüber dem ominösen „Business as usual“-Fall. Verglichen mit 1990 werden die realen Emissionen laut Climate Action Tracker aber um 81 Prozent hochschnellen.
Umweltschützer prangern derlei Tricks an: „Wir brauchen dringend mehr Transparenz und Vergleichbarkeit bei den eingereichten Beiträgen“, sagt Regine Günther, Leiterin Energie- und Klimapolitik beim WWF Deutschland. „Die Möglichkeit zu Zahlenspielereien muss zukünftig unbedingt vermindert werden durch ein striktes Monitoring und Verifizierungssystem.“ Solche unabhängigen Kontrollen sind aber aus heutiger Sicht utopisch: Die Staaten müssten sie sich schließlich selbst verordnen.
Die Ungefähren
Wie viele Tonnen CO₂ wird der weltgrößte Verursacher von Treibhausgas künftig in die Atmosphäre pumpen? Chinas Diplomaten werden auch in Paris keine Antwort geben. In ihrem INDC heißt es, die Emissionen würden spätestens 2030 ihren Höhepunkt erreichen. Wie stark sie bis zu diesem „Peak“ ansteigen, wie steil sie danach fallen, das lässt China offen. Indien verspricht noch nicht einmal einen solchen „Peak“. Damit könnte das Land, das China gerade als weltgrößten Kohleimporteur ablöst, theoretisch seinen CO₂-Ausstoß unbegrenzt steigern. Immerhin legen sich beide Staaten darauf fest, ihre CO₂-Intensität, also das Verhältnis von Emissionen zur Wirtschaftsleistung, deutlich zu verbessern.
Tropische Staaten pumpen ihre Klimaziele gerne auf, indem sie geloben, den Anstieg von energiebezogenen Emissionen durch Verzicht auf Waldrodung auszugleichen. Schließlich nehmen Bäume ja viel CO₂ auf.
Brasilien verspricht, bis 2025 seine Emissionen einschließlich unterlassener Waldrodung um 37 Prozent gegenüber 2005 zu verringern. Dieses Datum ist nicht zufällig gewählt. 2005 wurde im Amazonasgebiet ganz groß abgeholzt; mittlerweile hat die Politik dies eingebremst. Rechnet man die Waldrodung heraus, werden Brasiliens Emissionen laut Climate Action Tracker zwischen 2005 und 2025 aber nicht um 37 Prozent fallen, sondern um 36 Prozent steigen. Indonesien würde seinen CO₂-Ausstoß gegenüber 1990 gar vervierfachen. „Diese Vermischung von energiebezogenen Emissionen und Entwaldung verschleiert die tatsächlichen klimapolitischen Anstrengungen“, kritisiert Höhne. „Sie macht die INDCs intransparent und schlecht miteinander vergleichbar.“
Die Vorbilder
So sehr Chinas Regierung eine Festlegung über ihren CO₂-Ausstoß scheut, so konkret ist sie bei anderen Klimaversprechen. Den Anteil nicht fossiler Brennstoffe an der Energieerzeugung will Peking bis 2030 auf 20 Prozent steigern – und dazu kräftig aufforsten. Indien zeigt ebenfalls Ehrgeiz, von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Deren Anteil an der Stromerzeugung soll bis 2030 auf 60 Prozent fallen. Und die EU setzt sich zusätzlich zum 40-Prozent-Rückgang bei den Emissionen weitere Vorgaben: mehr Regenerative, mehr Energieeffizienz. „Im Zweifelsfall greift immer das schärfste Ziel“, sagt Höhne.
Richtig ambitioniert sind einige kleinere Emittenten. Costa Rica nimmt sich vor, bis 2021 klimaneutral zu werden. Äthiopien „will ein landesweites Stromnetz von Anfang an auf regenerativen Energien aufbauen“, sagt Höhne. Und dann ist da noch die jüngste Nation der Welt: der Südsudan. Dessen Regierung hat noch nicht herausgefunden, wie viel CO₂ ihr Land überhaupt in die Atmosphäre pumpt. Anstatt Emissionspläne und Szenarien zu erstellen, gelobt sie kurzerhand, 20 Millionen Bäume zu pflanzen.
Klimaschutz kann manchmal so einfach sein.
Vielen lieben Dank für den Ihren Artikel! Prima Tipp.