Nicht ökologische Einsichten, sondern ökonomische Interessen könnten den Pariser Gipfel zum Erfolg machen. Von Claus Hecking für DIE ZEIT.
Sie haben den Satz vielleicht schon früher mal gehört: Dieser Klimagipfel kann die Wende bringen. Dieses Wochenende in Paris könnte es tatsächlich gelingen. Wirklich. Die Chancen stehen gut, dass mehr als 190 Nationen und die EU endlich das erste Abkommen besiegeln, in dem sie alle geloben, ihre Treibhausgas-Emissionen einzudämmen. Der Vertrag könnte zum Einstieg in ein neues Industriezeitalter werden, nach zwei Jahrhunderten Kohle- und Ölverbrennung.
Zwei Jahrzehnte lang haben die Diplomaten verhandelt, taktiert, gestritten, Ergebnis: Immer mehr Kraftwerke, Fabriken, Flugzeuge und Autos produzierten immer mehr Treibhausgase. Schon 2014 war das Jahr mit den höchsten Durchschnittstemperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen. 2015 wird – mit Unterstützung des Wetterphänomens El Niño – einen neuen Hitzerekord aufstellen. Wieso sollte da gerade jetzt der Durchbruch in den langwierigen Verhandlungen gelingen?
Es könnte daran liegen, dass nicht ökologische Einsichten, sondern ökonomische Interessen dieses Abkommen möglich machen. Klimafreundliche Technologien werden immer konkurrenzfähiger und attraktiver. Erneuerbare Energien sind heute nicht mehr überteuert – und oft eine echte Alternative zu fossilen Brennstoffen. Immer häufiger versprechen sie Profit.
Die Pariser Organisatoren haben eine Art Kollekte für das Klima gestartet
Viele Klimagipfel sind an ihrem Ansatz gescheitert: Bisher sollten die Teilnehmer einen Zielwert vereinbaren für den weltweiten Ausstoß von Kohlendioxid (CO₂) und anderen Treibhausgasen – und die zu leistenden Einsparungen auf einzelne Staaten umlegen. Oft endete das Geschacher im Streit. Die Pariser Organisatoren haben den Ablauf umgedreht – und eine Art Kollekte für das Klima gestartet. Alle sollten freiwillig angeben, wie viel CO₂ sie einsparen wollen. Jede Regierung steuert nur das bei, was sich für ihr Land lohnt: ökologisch und ökonomisch.
Die Klimakollekte eint. 185 Regierungen haben ihre Beiträge eingereicht, einige davon sind bemerkenswert. Großverschmutzer wie China und die USA, aber auch Länder wie Äthiopien kündigen an, im großen Stil regenerative Energien auszubauen. Dahinter steckt wenig Altruismus und viel kommerzielles Kalkül.
Die Wirtschaft stellt sich auf eine globale Energiewende ein. Die deutschen Stromriesen E.on und RWE wollen sich von ihren Atom- und Kohlesparten trennen. Mächtige Investoren wie die Allianz oder der weltgrößte Staatsfonds aus Norwegen ziehen ihr Geld aus der Kohlebranche ab. Sechs europäische Ölmultis, darunter BP und Shell, fordern staatliche Preisaufschläge für jede Tonne CO₂. Das Großkapital hat die Politik beim Klimaschutz überholt.
Doch dies allein wird nicht genügen. Bliebe es bei den Zielen von Paris, steuerte der Planet auf knapp drei Grad mittlere Erwärmung zu – und schon zwei Grad plus hätten Klimaforschern zufolge kaum beherrschbare Folgen. Daher muss der Gipfel von Paris der Industrie weitere Signale senden, dass Investitionen in Kohle- und Erdölgeschäfte sich nicht mehr rentieren. Ein solches Signal wäre die Unterstützung einer CO₂-armen Energieerzeugung – oder besser noch des langfristigen Abschieds von Kohle, Öl und Gas. Zweitens müssen die Regierungen ihre Pariser Klimaversprechen stetig überprüfen und die Kollekte nachbessern. Drittens müssen die Industriestaaten die Schwellenländer großzügig unterstützen beim Aufbau einer Stromversorgung aus erneuerbaren Energien.
Denn nur wenn der Westen den armen Staaten mit viel Geld und Know-how hilft, können und werden diese auf den Klimakiller Kohle verzichten. Dies wäre eine höchst profitable Investition in die eigene Zukunft. Scheitert die Kollekte von Paris, drohen dem gesamten Planeten Naturkatastrophen, Kriege – und daraus resultierend: neue Flüchtlingswellen. Aber so weit wollen es nicht einmal die Ölmonarchen vom Persischen Golf kommen lassen. Ihre Staaten wären dann im Sommer wohl nicht mehr bewohnbar.
Das Momentum ist da für ein starkes Abkommen. Je entschiedener sich die Regierungen positionieren, desto mehr Milliarden werden Geldgeber, Banken, Konzerne umschichten: raus aus den Fossilen, hinein in Technologien der Zukunft wie bessere Speicher für Wind- und Solarstrom. Paris kann anders werden als all die anderen Klimagipfel. Die Politiker könnten ein Zeichen von Vernunft und Solidarität setzen, nach einem schrecklich warmen November.