Damit das Klimaabkommen von Paris wirken kann, müssen Öl und Kohle teurer werden. Von Claus Hecking für DIE ZEIT
Paris - Montagmorgen, der erste Handelstag an den Börsen, nachdem 195 Nationen die Rettung der Welt gelobt haben. Zeitungen und Websites zeigen die Bilder von der Verkündung des Pariser Klimaabkommens: von Ministern aus allen Teilen der Erde, die einander in die Arme fallen und sich sogar mit den Security-Leuten abklatschen. Da eröffnet in London die Rohstoffbörse ICE, stürzt der Ölpreis auf den tiefsten Stand seit sieben Jahren. Schon haben die Klimaschützer ein neues Problem.
Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe geht nun auch an den Finanzmärkten zu Ende, könnte man intuitiv meinen. Und doch feiern nicht einmal Umweltaktivisten den seit Monaten anhaltenden Verfall der Öl- und Kohlepreise. Im Gegenteil: Der Kurseinbruch vom Montag, so schreibt das Finanzportal Breakingviews, »nimmt dem Klimadeal seinen Glanz«. Denn kaum etwas ist für die in Paris beschlossene globale Energiewende so gefährlich wie niedrige Preise für Erdöl und Kohle. Die Hauptverursacher des Treibhauseffekts sind so billig wie seit Jahren nicht.
»Historisch«, »einzigartig«, »bahnbrechend«: Solche Adjektive sollte man sparsam einsetzen. Aber wann kommt schon mal ein Vertrag zustande, den Russland und die Ukraine ebenso einig mittragen wie Israel und der Iran oder der von Überflutung bedrohte Inselstaat Tuvalu und der weltgrößte Erdölexporteur Saudi-Arabien? Der Kampf gegen den gemeinsamen Feind Klimawandel hat sie alle zusammengebracht.
Das Paris-Abkommen ist die Kündigungserklärung an ein Modell, das der Menschheit seit dem Beginn der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert stetigen Fortschritt, Wachstum und teils auch Wohlstand beschert hat: die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas. In ihrem Pariser Pakt umreißen die Politiker aber nur die Rahmenbedingungen. Die Umsetzung der guten Vorsätze vertrauen sie der unsichtbaren Hand an: der Wirtschaft. Ob dieses Kalkül aufgeht, ist ungewiss. Denn die Drogen, von denen sich Industrielle, Investoren und Konsumenten entwöhnen sollen, gibt es gerade im Sonderangebot.
Der Gipfelbeschluss erinnert an Erklärungen der Europäischen Zentralbank (EZB). Er ist oft unkonkret – und doch eine klare Botschaft an die Wirtschaft. Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise sagte EZB-Chef Mario Draghi, er werde zur Rettung der gemeinsamen Währung »alles Notwendige tun« – und sorgte so dafür, dass Finanzströme umgelenkt wurden. Denselben Effekt erhoffen sich die Politiker vom Klimaabkommen. »Die Parteien streben an, so schnell wie möglich den Höhepunkt der Treibhausgasemissionen zu erreichen«, heißt es dort etwa. Solche Formulierungen sollen die Energie- und Mobilitätsindustrie dazu bringen, ihre Milliarden aus den fossilen Brennstoffen abzuziehen und in klimaschonende Technologien zu investieren. Damit diese Kohle, Öl und Gas ersetzen können.
Das Großkapital hört die Signale
Weltbank-Chef Jim Yong Kim nennt das Abkommen von Paris einen »game changer«, der die Spielregeln für die Wirtschaft neu definiere. »Keine Branche auf der Erde kann sich noch erlauben, den Klimawandel zu ignorieren.« Die Industrie hört die Signale. »Dieses Abkommen leitet den Übergang vom Kohlenstoffzeitalter zu einer Wirtschaft des niedrigen Treibhausgasausstoßes ein«, sagt Edward Cameron von We Mean Business. Das Lobbybündnis hat auf dem Klimagipfel die Interessen von mehr als 350 Konzernen mit einem vereinten Jahresumsatz von 7300 Milliarden US-Dollar vertreten, unter ihnen Google, General Electric, SAP und Shell. »Für die Unternehmen geht es nicht so sehr um die moralischen Fragen«, sagt Cameron, »sondern darum, was die Veränderungen für ihr Geschäft bedeuten.«
Schließlich basierten Investitionen maßgeblich auf politischen Rahmenbedingungen, und nun herrsche der Eindruck vor, dass eine Entwicklung mit niedrigen Emissionen hohe Priorität für die Politiker habe. »Wir werden einen massiven Stimulus der Wirtschaft für klimafreundliche Technologien erleben«, prognostiziert Cameron. Dies könnte sogar der Beginn eines neuen Wirtschaftszyklus werden.
Auch das Großkapital steht bereit für die Finanzierung der Energiewende. »Investoren brauchen Klarheit für ihre Entscheidungen. Dieses Abkommen ist ein unmissverständliches Signal, die Entwicklung einer emissionsarmen Infrastruktur zu unterstützen«, sagt Stephanie Pfeifer, Geschäftsführerin der Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC). 120 Großanleger wie der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock, die Deutsche-Bank-Tochter Deutsche Asset and Wealth Management oder die Schweizer Bank UBS sind in diesem Netzwerk zusammengeschlossen; zusammen legen sie mehr als 13 Billionen Euro an. »Unsere Mitglieder werden von ihnen finanzierte Unternehmen fragen: ›Wie sind Sie für die Energiewende positioniert?‹«, sagt Pfeifer.
Die Investmentbank Goldman Sachs hat gerade bekannt gegeben, sie werde bis 2025 insgesamt 150 Milliarden Dollar in emissionsarme Energietechnologien investieren. Andere Wallstreet-Häuser wie Morgan Stanley oder die niederländische Ing-Diba wollen der Kohleindustrie deutlich weniger oder gar keine Kredite mehr geben – wohl auch aus Eigennutz. »Wenn Sie in der Fossilindustrie investiert sind und 195 Länder sagen, dass sie dekarbonisieren wollen, bedeutet das Risiken für Ihr Portfolio«, sagt IIGCC-Geschäftsführerin Pfeifer.
In Deutschland boomen neuerdings Ölheizungen
Noch aber sind weltweit über 2000 Kohlekraftwerke in Planung. Viele davon sind besonders dreckige Billigmeiler mit veralteter Technologie. Sie verbrennen für dieselbe Menge Energie mehr Kohle als moderne Kraftwerke, aber je weniger der Brennstoff kostet, desto attraktiver sind sie für die Betreiber. »Ich mache mir keine Sorgen um den Siegeszug der erneuerbaren Energien«, sagt der Klimaökonom Ottmar Edenhofer, Direktor des Berliner Instituts MCC. »Meine Furcht ist, dass zugleich die Verbrennung von Kohle weiter steigt, weil der Rohstoff so billig ist.«
Die Folgen der niedrigen Preise sind bereits spürbar. In den USA und China steigen die Absatzzahlen von besonders PS-starken spritschluckenden Autos. Und in Deutschland steigt neuerdings wieder die Nachfrage nach Ölheizungen. »Niedrige Preise fossiler Brennstoffe können Innovationen und die Einführung von saubereren Energietechnologien verhindern«, mahnt der Internationale Währungsfonds.
Das beste Gegenmittel, da sind sich die meisten Klimaschützer einig, wären staatliche Preisaufschläge für die Emission von Treibhausgasen wie Kohlendioxid (CO2). Das kann durch eine Steuer geschehen oder durch einen Handel mit Verschmutzungsrechten, wie ihn die EU seit einigen Jahren hat. In vielen anderen Regionen der Welt kostet es aber noch gar nichts, die Luft zu verschmutzen – obwohl saubere Luft ein knappes Gut ist und daher aus ökonomischer wie ökologischer Sicht einen Preis haben müsste.
Ein CO2-Preis hätte drei Vorteile, wirbt Edenhofer. »Er fördert die regenerativen Technologien, bestraft Energieträger mit hohem CO2-Ausstoß und verschafft den Finanzministern neue Einnahmen.« Dass auch sie am Klimaschutz verdienen können, weckt das Interesse vieler Regierungen. Mehr als 90 Staaten hegen laut Weltbank bereits Pläne für eine Kohlenstoffbepreisung.
Auch viele Wirtschaftsbetriebe machen sich für die Zusatzabgabe stark. Ein Zusammenschluss deutscher Unternehmen, unter ihnen adidas, Aldi Süd, die Commerzbank und der Energieversorger EnBW, verlangt, den EU-Emissionshandel strenger zu gestalten und Emissionszertifikate zu verknappen, was den Preis für CO2 erhöhen würde. Am bemerkenswertesten ist aber wohl die Forderung von BP, Shell und vier anderen europäischen Ölmultis nach einem CO2-Preis. Sie wollen die Kohle bei der Stromerzeugung durch emissionsärmeres Erdgas ersetzen.
In Paris war die Einführung einer globalen CO2-Steuer noch kein ernsthaftes Thema. Zu groß war der Widerstand von Brennstoffexporteuren wie Saudi-Arabien, Russland oder Venezuela. Immerhin aber erwähnt das Abkommen die Möglichkeit einer Bepreisung. Und Frankreichs Präsident François Hollande sagte, er könne sich vorstellen, dass bis 2020 alle 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G 20) CO2-Preissysteme einführen werden.
Im September 2016, beim nächsten G-20-Gipfel in Hangzhou, wird das Thema weit oben auf der Tagesordnung stehen. Dafür wird schon der Gastgeber sorgen: China, der weltgrößte Treibhausgasemittent, plant für 2017 den Start eines landesweiten Handels mit CO2-Zertifikaten.