Europas einst größter Energieversorger spaltet sich auf. E.on-Chef Johannes Teyssen spricht im Interview mit der ZEIT und ZEIT ONLINE über den schwierigen Neuanfang, atomare Altlasten - und seine Diät. Von Claus Hecking und Marlies Uken.
ZEIT: Herr Teyssen, Sie sind kaum wiederzuerkennen, so stark haben Sie abgenommen. Wie haben Sie das gemacht?
Johannes Teyssen: Die Diät heißt Metabolic Balance: Man reduziert vor allem seinen Kohlenhydrat-Konsum, trinkt drei, vier Liter Wasser täglich und macht viel Sport. Die ersten vier Wochen waren sehr anstrengend. Da habe ich bei jedem Termin mein Essen in Tupperdöschen mitgebracht.
ZEIT: Wie haben Sie sich verändert?
Teyssen : Ich habe einmal 127 Kilogramm gewogen, jetzt sind es 95. Zweimal musste ich meine komplette Garderobe erneuern. Inzwischen jogge ich viermal pro Woche je sieben Kilometer, ich hätte nie gedacht, dass ich das noch einmal schaffe. Neulich bin ich sogar mit meiner Familie in einem Baum herumgeklettert. Jetzt reicht es aber auch mit dem Abnehmen, ich fühle mich wohl. Und nun ist es genug mit diesem Personality-Kram.
ZEIT: Noch nicht ganz. Ihr Konzern hat sich am 1. Januar aufgespalten: in die neue E.on, die vor allem Ökostrom verkauft, sowie in Uniper, die sich auf Energiegewinnung aus fossilen Quellen wie Kohle und Gas konzentriert. Ist es Zufall, dass Sie nicht nur E.on erneuern, sondern auch sich selbst?
Teyssen : Ich sage immer: Wenn sich E.on spaltet, muss ich mich selbst auch mitspalten. ( lacht )
ZEIT: Sie sahen ja früher aus wie ein typischer Vertreter der alten Deutschland AG: wohl proportioniert, dunkler Anzug, Krawatte. Jetzt treten Sie legerer auf. Wollen Sie auch äußerlich ein Zeichen für den Wandel bei E.on setzen?
Teyssen : Meine Diät hat nichts mit der Firma zu tun. 30 Jahre lang wollte ich abnehmen, am 1. Februar 2015 habe ich einfach losgelegt.
ZEIT: Sie waren als Manager bei Europas größtem Stromkonzern E.on jahrelang für Atom- und Kohlekraftwerke verantwortlich. Jetzt führen sie als Chef der neuen E.on auf einmal Deutschlands größten Ökostromversorger …
Teyssen : … das finden Sie schräg, oder?
ZEIT: Ja. Sie haben schließlich lange Zeit für den Erhalt der Atomkraft gekämpft. Hätten Sie vor zehn Jahren damit gerechnet, einmal Ökostrom-Manager zu werden?
Teyssen : Nein. Wenn mir das jemand gesagt hätte, hätte ich ihn für verrückt erklärt.
ZEIT: Wie kam es zu dem Sinneswandel?
Teyssen : Wir vom Vorstand sind 2014 viel durch die Welt gereist, weil wir verstehen wollten, ob die Energiewende ein Kopfkonstrukt der deutschen Politik ist oder ob sich wirklich etwas Grundlegendes verändert und verändern muss in der Energiebranche. Dabei haben wir gelernt: In vielen Ländern vollzieht sich eine Bewusstseinsveränderung bei Menschen, die Energie nutzen und produzieren. Sie ist der Treiber einer globalen Energiewende.
„In 50 Jahren bin ich selbst endgelagert“
ZEIT: Was heißt das konkret?
Teyssen : Die Energiebranche teilt sich gerade in zwei Welten auf. Die eine Welt ist noch für Dekaden auf das alte System angewiesen: auf bewährte Strukturen wie zentrale Großkraftwerke, die zum Beispiel energieintensive Fabriken versorgen. In der anderen Welt ermöglichen erneuerbare Energien und Informationstechnologien Verbrauchern, Energie selbst zu produzieren und zu vermarkten: ob mit Solaranlagen oder hauseigenen Blockheizkraftwerken.
ZEIT: Was heißt das für E.on?
Teyssen : Für uns stellte sich die Frage: Sind wir aufseiten des alten Systems, das weiterhin gebraucht wird? Oder sind wir radikal aufseiten der neuen Energie? Wenn Sie in beiden Welten unterwegs sind, laufen Sie Gefahr, ständig Kompromisse zu machen, weil sich die beiden Geschäftsfelder immer wieder überlappen. Sie können jeden Euro eben nur einmal investieren – in ein Gaskraftwerk oder einen Offshorewindpark zum Beispiel. Mal die klassische, mal die neue Energiewelt – meine Sorge war, dass unser Unternehmen auf Dauer überall durchschnittlich werden könnte. So kam es zur Aufspaltung.
ZEIT: Die sogenannte Divestment-Bewegung setzt gerade Fonds, Versicherungen und andere Großanleger weltweit unter Druck, Geld aus Kohleunternehmen und klimaschädlichen Technologien abzuziehen. Hat der Druck von Investoren eine Rolle für E.ons Kurswechsel gespielt?
Teyssen : Divestment hat mich nicht angetrieben. Das betrifft nur einen sehr kleinen Teil der Summen, die weltweit bewegt werden. Der viel größere Teil der Investoren ist in Umweltfragen vollständig agnostisch. Sie interessieren sich nur für die Rendite der Geschäftsmodelle.
ZEIT: Wie sehen die Geschäftsmodelle Ihrer beiden Unternehmen nun aus?
Teyssen : Die neue E.on, die ich führe, verdient Geld mit erneuerbaren Energien, Netzen und Vertrieb von Energieprodukten. Bei den Erneuerbaren verzeichnen wir eine steile Lernkurve mit deutlich sinkenden Kosten, das Netzgeschäft ist staatlich reguliert und damit relativ stabil, und im Vertrieb verdienen wir Geld bei geringem Kapitaleinsatz. Unsere Abspaltung Uniper betreibt hingegen große Kraftwerke über Dekaden hinweg. Da sind die Kosten viel höher, und es dauert viel länger, bis die Investitionen refinanziert sind. Zudem ist Uniper eines der führenden Unternehmen im internationalen Energiehandel.
ZEIT: Welches Modell ist Ihnen sympathischer?
Teyssen : Das ist doch egal. Sie finden für beide Geschäfte unterschiedliche Investoren mit unterschiedlichen Renditeerwartungen. Integrierte Konzerne mit verschiedenen Geschäftsmodellen verwirren viele Geldgeber.
ZEIT: In ihrer Abspaltung Uniper sind die Kohle- und Gaskraftwerke gebündelt, dazu Wasserkraft, der Handel mit Erdgas und Gasspeicher. Glauben Sie, dass dieser Mischmasch Investoren überzeugt?
Teyssen : Waren Sie schon einmal in einem Kraftwerk? Dort wird meist ein Stromgenerator mit Dampf angetrieben. Ob der Dampf erzeugt wird, indem Sie Atomkerne spalten, Kohle oder Gas verbrennen, oder ob Sie Elektrizität dadurch gewinnen, dass sie Wasser durch Turbinen leiten, das ist unerheblich. Uniper vermarktet nicht Atom, Kohle oder Wasser, sondern Strom – ein völlig homogenes Produkt.
ZEIT: Die Politik reguliert aber die einzelnen Techniken ganz unterschiedlich. Warum soll ein so unberechenbares Geschäft Investoren überzeugen?
Teyssen : Gegenfrage: Wie sähe die Welt ohne Uniper aus? Das Unternehmen besitzt mit die größten Erdgasspeicher Europas. Ohne sie wäre es hier finster und kalt. Selbst bei der neuen E.on sind wir auf die Leistungskraft und auf den Strom von Uniper angewiesen. Ob das auch in 50 Jahren noch so ist, weiß ich natürlich nicht. Ich weiß nur: In 50 Jahren bin ich selbst endgelagert. ( lacht )
„Wir müssen uns nicht wieder in einem Gigantismus definieren“
ZEIT: Jetzt führen sie die neue E.on, den größten Ökostromversorger Deutschlands. Unter anderem betreiben Sie Offshorewindkraftwerke mit mehr als 1.000 Megawatt und Solarfelder mit 80 Megawatt Leistung. Ein einziges durchschnittliches Kohlekraftwerk generiert mehr Elektrizität als alle diese Anlagen zusammen. Ist das wirklich die Liga, in der Europas einst größter Energieversorger spielen will?
Teyssen : Wir müssen uns nicht wieder in einem Gigantismus über möglichst große Zahlen definieren. Ich muss nicht die meisten Megawatt besitzen. Und auch nicht die größten Windkraftwerke oder die buntesten Solarpanels. Wir wollen erstklassige Produkte für unsere Kunden anbieten und damit gutes Geld verdienen.
ZEIT: Kürzlich hat E.on einen Rekordverlust vermeldet, der Aktienkurs ist am Boden. Schließlich hat sich der Börsenstrompreis in Deutschland seit 2008 mehr als halbiert. Wie wollen Sie da überhaupt noch Geld verdienen?
Teyssen : Die Hälfte unseres Geschäfts machen jetzt der Betrieb, die Digitalisierung und Modernisierung von Stromnetzen aus. Wir sind das Internet der Energie: für 20 Millionen Menschen in Europa. Wenn Sie das gut machen, verdienen Sie damit ganz vernünftige Renditen. Weitere je 20 Prozent kommen aus den Erneuerbaren in Europa und Nordamerika sowie dem Geschäft mit Kunden: Direkthandel, Energieeffizienz, Komfort. Den Rest generieren die neuen Märkte in der Türkei sowie die Beteiligungen an Uniper und der Kernkraftwerkssparte PreussenElektra. Sie sehen: Für mehr als die Hälfte unseres Geschäftes ist das absolute Niveau des Strompreises relativ gleichgültig. Wichtig ist, ob wir die Kunden überzeugen, dass unsere Leistung die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis wert ist.
ZEIT: Sie nennen das „Internet der Energie“. Der Internetkonzern Google drängt nun aber selbst ins Energiegeschäft. Macht Ihnen das Angst?
Teyssen : Wir hatten neulich Google-Manager zu Besuch, die ihre Pläne erzählt haben. Da waren gute Ideen dabei. Aber vieles klang auch nach Wasserkochen. Sicher: Google ist agiler als wir. Wenn die mit ihren Milliarden beschließen, in den Energiemarkt einzusteigen, wird der Wettbewerb heftig. Aber ich glaube, dass E.on besser darin ist, die verschiedenen komplexen Technologien miteinander zu vernetzen und den Kunden maßgeschneiderte Produkte zu bieten, die sie sich wünschen.
ZEIT: Sie selbst waren früher ein lauter Kritiker der Ökostromförderung. Warum haben Sie sich so lange so schwer getan mit den Erneuerbaren?
Teyssen : Vieles von der Kritik würde ich heute genauso wiederholen. Die bisherige Ökostromvergütung funktioniert doch nach invest and forget : Jeder produziert Ökostrom – egal, ob der gebraucht wird oder nicht – und bekommt dafür staatlich garantierte Preise. Ich kritisiere, dass man die erneuerbaren Energien in dieser nicht-nachhaltigen Form päppelt. Sie sind inzwischen erwachsen. Wir werden beweisen müssen, dass die Erneuerbaren selbstständig und wirtschaftlich tragfähig ihre Leistung bringen können. Wenn nicht, scheitert die ganze Energiewende.
ZEIT: Kaufen Sie selbst inzwischen Ökostrom?
Teyssen : Ich bin Kunde der E.on-Marke „E wie einfach“ …
ZEIT: … die grüne und nicht-grüne Tarife anbietet.
Teyssen : Zugleich produziere ich mit drei Wärmepumpen im Vorgarten einen Teil meiner Wärme auch selbst. Das reicht mir.
ZEIT: Kürzlich hat E.on einen Rekordverlust vermeldet, der Aktienkurs ist am Boden, die Strompreise haben sich seit 2008 halbiert. Warum sind ausgerechnet Sie der richtige Mann an der Spitze der neuen, grünen E.on?
Teyssen : Sicher tauge ich nicht als Beispiel für die Geschichte vom Saulus zum Paulus. Aber auch ich habe einen Lernprozess durchgemacht. Es wäre vermessen, von mir selbst zu sagen, dass ich der perfekte Mann an der Spitze bin. Aber der Aufsichtsrat hat sich für mich entschieden. Vielleicht, weil ich etwas von Energie, Netzen und Kundenwünschen verstehe. Und auch ein wenig von Management.
ZEIT: Sie arbeiten seit 26 Jahren im Konzern. Wie geht es ihrer Belegschaft angesichts der radikalen Veränderungen?
Teyssen : Unsere Mitarbeiter und auch ich, wir erleben eine Achterbahn der Gefühle. Wir machen eben einen tiefen, schmerzhaften Veränderungsprozess durch. Einerseits sind wir manchmal verunsichert und machen uns Sorgen – gerade wenn wir zum Angriffsziel politischer Diskussionen werden. Andererseits gibt es aber auch einen starken Aufbruchsgeist. In der neuen E.on arbeiten mehr als 40.000 Beschäftigte, und die quälen sich nicht jeden Tag zur Arbeit, sondern freuen sich auf den Wandel und kommen laufend mit neuen Ideen. Dieses emotionale Auf und Ab muss man zulassen. Wenn man seinen Mitarbeitern die neue Welt schönredet, wissen sie selbst, dass das nicht stimmt.
„Die Aktionäre hätten mich gefragt: was rauchen Sie denn?“
ZEIT: Lassen Sie uns über Ihre Altlasten reden: die Atomkraftwerke.
Teyssen : ( seufzt ) Ich hatte mir vorgenommen, in diesem Land irgendwann nicht mehr über Atomtechnik zu reden. Dieser Wunsch wird wohl nicht in Erfüllung gehen.
ZEIT: Tut uns leid. Aber Sie haben ja das Geschäft mit Atomkraftwerken in Ihrer neuen E.on angesiedelt. Wie passt das zu den Ökostromaktivitäten?
Teyssen : Das ist ein Webfehler, der politisch angeordnet wurde. Wir haben uns das nicht sonderlich gewünscht. Aber anders als manche vermuten, war unsere Strategie nie für oder gegen Kernenergie ausgerichtet. Wir haben nur noch drei Atomkraftwerke. Kernkraft ist für uns ein nicht-strategisches Nebengeschäft, das bald ausläuft. Wir sichern zu: Nicht eine einzige Kilowattstunde des Stroms aus den Kernkraftwerken werden wir direkt an unsere Endkunden verkaufen. Er wird strikt getrennt in Großhandelsmärkten angeboten.
ZEIT: Aber wo landet dann am Ende dieser Strom?
Teyssen : Solange in Deutschland Kernkraftwerke noch Strom produzieren, bleibt dieser Bestandteil des Energiemixes. Elektronen können Sie nicht ansehen, wie sie entstanden sind.
ZEIT: Viele Politiker in Berlin vermuten, Sie wollten sich mit der Abspaltung von Uniper um die Haftung für den Rückbau der Meiler und die Endlagerung des Atommülls drücken.
Teyssen : Diese Unterstellung habe ich nie verstanden. Wir wollten ursprünglich die Atomsparte auf Uniper übertragen – und dieser dafür rund 16 Milliarden Euro mitgeben, um die Haftungsfragen abzusichern. Dafür hätten wir bei E.on sogar wichtige Bereiche verkauft.
ZEIT: Und doch hat die Bundesregierung Ihnen misstraut. E.on sollte laut dem geplanten neuen Nachhaftungsgesetz auch künftig für die Rückbaukosten der Kernsparte haften, die Sie abspalten wollten. Schließlich weiß niemand genau, ob die für Rückbau und Endlagerung vorgesehenen Rückstellungen reichen.
Teyssen : Das mag jetzt ein bisschen arrogant klingen, aber es reicht doch Grundschulwissen für die Erkenntnis: Sei vorsichtig bei Bürgschaften! Die Regierung wollte, dass wir bis zu 150 Jahre lang haften, auch wenn wir Uniper 16 Milliarden Euro mitgeben. Unter diesen Bedingungen wäre die Abspaltung niemals durch die Hauptversammlung gegangen. Die Aktionäre hätten mich gefragt: Was rauchen Sie denn? Darum behalten wir jetzt eben die Kernkraftsparte.
ZEIT: Sind Sie von der Politik enttäuscht?
Teyssen : Ich finde das Gesetz zur Haftung unnötig und vorschnell. Die Politik begründet es mit dem Satz: Eltern haften für ihre Kinder. Aber dann muss man fragen: Wer war denn bei der Geburt dabei? Die Hamburger Kernkraftwerke wie Brokdorf, Krümmel und Brunsbüttel haben die Hamburger Elektricitäts-Werke gebaut. Die HEW gehörte damals der Hansestadt Hamburg. Die neuen Regeln sind wie ein Schwarzer-Peter-Spiel: Wer gerade die Karte in der Hand hält, also ein Atomkraftwerk besitzt, das vielleicht andere gebaut haben, der soll plötzlich allein haften. Ich will mich nicht in die Büsche schlagen; die Energieversorger tragen Verantwortung für die Kernkraftwerke. Aber nicht alleine, sondern gemeinsam mit der Politik.
„Ich glaube, es gab eine Phase einer gewissen Hybris und Arroganz“
ZEIT: Früher wurden die Chefs der Stromkonzerne noch regelmäßig ins Kanzleramt zu Energiegipfeln eingeladen. Wie hat sich Ihr Verhältnis zur Politik verändert?
Teyssen : Das Verhältnis von Energiewirtschaft und Politik war vielleicht nie richtig gesund. Es war lange Zeit zu eng, zu ineinander verwoben. Und dann gab es Phasen, in denen das Verhältnis von Misstrauen und Unverständnis geprägt war.
ZEIT: Lag das daran, dass auch E.on-Manager manchmal zu arrogant auftraten?
Teyssen : Ich glaube, es gab eine Phase einer gewissen Hybris und Arroganz der Energiewirtschaft gegenüber der Politik. Vor einigen Jahren war E.on für wenige Wochen noch das wertvollste Unternehmen Deutschlands. Bei Börsenstrompreisen von 80 Euro je Megawattstunde – heute sind es knapp 30 Euro – konnten wir vor dem Geld der Investoren kaum weglaufen. Da haben manche, vielleicht auch ich, den Fehler gemacht, zu glauben, das sei unserer tollen Leistung zu verdanken.
ZEIT: Woher kam der Erfolg denn?
Teyssen : Er war zum Teil auch eine Folge von Regulierung: Wir Konzerne, und zwar alle, haben etwa zum Start des EU-Emissionshandels viele CO2-Zertifikate geschenkt bekommen, deren Börsenwert in die Strompreise einbezogen und damit Geld verdient. Das war nichts Unrechtes, aber mit unserer eigenen Leistung hatte das wenig zu tun. Es kann gut sein, dass aus dieser Zeit bei einigen Politikern Verletzungen zurückgeblieben sind.
ZEIT: Wann ist das Verhältnis zwischen Politik und Energiewirtschaft so abgekühlt? 2011, als Berlin nach dem Atomunglück von Fukushima die sieben ältesten Meiler stilllegen ließ?
Teyssen : Viel fundamentaler war der enorme Ausbau der erneuerbaren Energien – und der fand bereits vor 2011 statt. Das Überangebot von Wind- und Solarstrom hat dazu geführt, dass die Börsenstrompreise so eingebrochen sind.
ZEIT: Aber nach Fukushima hat E.on Verfassungsbeschwerde gegen den Atomausstieg eingelegt.
Teyssen : Ja, zum Schutz der E.on-Aktionäre. Hätten wir das nicht getan, gehörte ich rausgeschmissen. Mit der Klage stelle ich doch nicht den Atomausstieg infrage. Bei E.on gibt es niemanden, der den Ausstieg rückgängig machen will. Aber Artikel 14 des Grundgesetzes besagt: Wer aus Gründen des Gemeinwohls enteignet wird, der hat Anspruch auf Entschädigung. Nur darum geht es uns: Liebe Politik, behandelt uns fair und anständig.
ZEIT: Vor wenigen Wochen haben mehr als 190 Staaten in Paris ein Klimaabkommen verabschiedet. Müsste Deutschland nicht jetzt konsequenterweise auch aus der Kohle aussteigen?
Teyssen : Das Abkommen von Paris nennt bewusst keine Technologien, keine Instrumente, um die Erderwärmung zu begrenzen. Europa wird nachdenken müssen, ob seine Klimaschutzziele für das Jahr 2030 ausreichen. Diese haben sich ja noch auf das Ziel einer weltweiten Erwärmung um zwei Grad bezogen. Laut der Pariser Beschlüsse sollen es aber deutlich weniger als zwei Grad werden; wir müssen also noch mehr einsparen. Das wird nur funktionieren, wenn Staaten weltweit Preisaufschläge für die Kohlendioxid-Emission einführen.
ZEIT: Und wie ist es mit Deutschland? Reicht das Regierungskonzept der Energiewende aus, um unsere Klimaziele zu erreichen?
Teyssen : Es gibt nicht das Konzept. Die Energiewende ist ein Zusammenspiel von vielen technischen Lösungen, von Ideen, von Start-ups. Sie ist nur der Name für einen kontinuierlichen, ungeplanten Veränderungsprozess.
ZEIT: Braucht Deutschland überhaupt die neue E.on für den Erfolg dieser Energiewende?
Teyssen : Es reicht mir schon, wenn Deutschland die Überzeugung gewinnt, dass es mit E.on besser gelingt.