Gegen Personaldienstleister des Billigfliegers wird nach ZEIT-ONLINE-Informationen wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und Scheinselbstständigkeit ermittelt. Von Claus Hecking für ZEIT ONLINE
Hamburg - Die Staatsanwaltschaft Koblenz und Beamte des Hauptzollamts haben am Dienstag die Geschäftsräume des irischen Billigfliegers Ryanair an sechs deutschen Standorten durchsucht. Nach Informationen von ZEIT ONLINE fingen Zollamtsmitarbeiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit für Ryanair fliegende Piloten vor den Crewräumen von sechs Flughäfen ab: Berlin-Schönefeld, Köln, Weeze, Frankfurt-Hahn, Bremen und Baden-Baden. Die Fahnder befragten die Kapitäne nach ihrem Arbeitsverhältnis und beschlagnahmten Computer, iPads, Einsatzpläne sowie Dokumente. Nach Berichten von Augenzeugen waren mindestens 35 Zollbeamte aus Deutschland und mindestens einer aus den Niederlanden an der bundesweiten Aktion beteiligt.
Wie ein Koblenzer Staatsanwalt ZEIT ONLINE auf Anfrage bestätigte, liegt den Durchsuchungen ein Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen zweier britischer Personaldienstleister zugrunde, die Piloten an Ryanair vermitteln. Den Firmen wird unter anderem vorgeworfen, Steuern hinterzogen und Piloten Löhne vorenthalten zu haben. Durchsucht wurden auch mindestens zwei Privatwohnungen von Piloten, die Beihilfe zur Steuerhinterziehung und zum Sozialversicherungsbetrug geleistet haben könnten. Wie es heißt, stehen auch einige Piloten unter dem Verdacht, zu geringe Sozialabgaben abgeführt zu haben.
Die Ermittlungen laufen seit Jahren
Die Fahnder erklärten einigen Piloten, es ginge bei den Razzien um atypische Beschäftigungsverhältnisse, also um eine tragende Säule des Geschäftsmodells des irischen Billigfliegers. Indem Ryanair Hunderte formal selbstständige Piloten einsetzt, drückt das Unternehmen die Kosten für das fliegende Personal. Die Koblenzer Staatsanwälte ermitteln bereits seit Jahren gegen den britischen Personaldienstler Brookfield Aviation, der Piloten an Ryanair ausleiht. Ins Visier gerät nun offenbar auch Brookfiels Wettbewerber McGinley Aviation aus dem englischen Watford.
Im Raum stehen der Verdacht des Steuer- und Sozialversicherungsbetrugs sowie der Scheinselbstständigkeit. Ryanair beschäftigt einen beachtlichen Teil seiner Piloten sowie mehr als die Hälfte seiner Copiloten über ein sogenanntes Contractor-Modell: Die Kapitäne müssen eine Art „Ich-AG“ gründen und Verträge mit Verleihunternehmen wie Brookfield oder McGinley abschließen, ehe sie ins Ryanair-Cockpit steigen dürfen. Nach ZEIT-ONLINE-Informationen gibt es mindestens 1.600 solcher Arbeitsverhältnisse.
Für den irischen Billigflieger ist dieses Modell extrem kostengünstig. Denn weil die Piloten formal nicht bei Ryanair angestellt sind, müssen sie selbst ihre gesamten Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Zudem haben sie keinen Anspruch auf Krankengeld und werden oft nur nach geflogenen Stunden entlohnt. Dadurch steigt das Risiko, dass sich Piloten krank ins Cockpit setzen.
„Schwindelverträge, um Personalkosten zu drücken“
Gewerkschaften kämpfen seit Jahren gegen diese atypischen Beschäftigungsverhältnisse, die auch andere Billig-Airlines wie Norwegian Air Shuttle gerne nutzen. Ein Vertreter von der irischen Pilotenvereinigung Ryanair Pilot Group spricht von „Schwindelverträgen, die dazu dienen, den wahren Arbeitgeber Ryanair seiner Verantwortung für seine Mitarbeiter zu entledigen und seine Steuer- und Sozialversicherungskosten zu minimieren“.
Der gestrige Einsatz drehte sich vor allem um diesen Selbstständigenstatus. Die Zollfahnder befragten Piloten, ob diese sich als Ryanair-Mitarbeiter fühlten, wer ihnen ihre Einsatzpläne vorgebe – und ob ihnen überhaupt erlaubt sei, auch für andere Airlines zu arbeiten. Im Raum steht der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit. Denn offenbar fliegen viele dieser kontrahierten Piloten ausschließlich für Ryanair und haben keinerlei unternehmerische Eigenständigkeit. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) will sie daher als Beschäftigte von Brookfield Aviation einstufen.
Brookfield müsste demnach den Arbeitgeberanteil für Kranken-, Pflege-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung übernehmen. Die Einsatzkosten für die Piloten würden dadurch drastisch steigen – letztlich auch für Ryanair. Damit geriete ein möglicherweise entscheidender Wettbewerbsvorteil des Billigfliegers ins Wanken: die im Branchenvergleich niedrigen Personalkosten. „Wir hoffen, dass die neuen Ermittlungen am Ende dazu führen, dass dieses gesamte, unfaire Beschäftigungsmodell gekippt wird“, sagt Jim Phillips, Vorstand für Internationales bei der deutschen Pilotenvereinigung Cockpit.
Ryanair erklärte in einem Statement, das Unternehmen selbst sei nicht von den Ermittlungen betroffen. Das Unternehmen verlange von allen angestellten und kontrahierten Piloten, ihre Verpflichtungen gegenüber den Steuerbehörden zu erfüllen und werde die Behörden bei ihren Ermittlungen unterstützen. Brookfield Aviation und McGinley Aviation haben zu Anfragen von ZEIT ONLINE bisher keine Stellung genommen.