Wirtschaftsspionage: „Ein gnadenloser Krieg“


Frankreich ist erbost über die Abhöraktionen der USA. Dabei schnüffelt der französische Geheimdienst ganz offiziell im Namen der Nation für seine Unternehmen – und eine eigens gegründete Schule lehrt den Beruf Wirtschaftsspion. Von Claus Hecking für DIE ZEIT, 23.02.2014.

Paris - „Die USA sind eine Kriegsmaschine“, ruft Peer de Jong in den stickigen Hörsaal der École de Guerre Économique (EGE) . “ Sie sind der Hauptgegner unserer Wirtschaft!“ Die Hände des Ex-Generals der französischen Marine ziehen Schleifen durch die Luft, während er sich vor seinen 50 Studenten an der „Schule des Wirtschaftskrieges“ in Rage redet. „Seit den neunziger Jahren haben die Amerikaner Milliarden in Aufbau und Überwachung des Internets gesteckt, jetzt kontrollieren sie dieses System“, sagt de Jong. „Oberste Priorität ihrer Geheimdienste ist die Wirtschaft.“ Und unter den Topzielen seien Frankreichs Konzerne.

Simon, der seinen Nachnamen nicht gedruckt sehen will, nickt zufrieden. Die 10.000 Euro Gebühren, die der 23-Jährige der Pariser Kaderschmiede für die neunmonatige Ausbildung zum Wirtschaftskrieger bezahlt hat, scheinen sich auszuzahlen. Jede neue Enthüllung aus dem Fundus des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden treibt Simons Marktwert nach oben.

Schon für Mitterrand war die Weltwirtschaft ein „Schlachtfeld“

Ob Cybersicherheit, systematisches Sammeln und Analysieren von Informationen oder der Schutz sensibler Daten vor Angreifern: All die Kenntnisse, die Simon auf der EGE erwirbt, suchen Europas Unternehmen heute dringender denn je. Weil immer offensichtlicher wird, dass die amerikanischen und britischen Geheimdienste mit ihren Datensammelprogrammen bei Weitem nicht nur Staatsfeinde ausspähen. „Die US-Regierung tut alles dafür, ihren Industriekonzernen strategische Informationen über ausländische Konkurrenten zu beschaffen“, sagt Simon. „Sie werden uns zerstören, wenn wir uns nicht entschlossen dagegen wehren. Unsere Geheimdienste müssen das Vaterland verteidigen.“ So wie er reden neuerdings viele Franzosen – auch außerhalb der EGE.

Die Reaktionen Deutschlands und Frankreichs auf den NSA-Skandal könnten unterschiedlicher nicht sein. Während Berliner Behördenchefs und Politiker dem heiklen Thema Industriespionage gerne ausweichen, geben sich ihre Pariser Pendants redefreudig und kampfeslustig. „Es ist im Interesse der Nation, unsere Unternehmen zu verteidigen“, sagte Bernard Squarcini, der langjährige Chef des Inlandsgeheimdienstes, der Zeitung Le Figaro. Und Frankreichs Handelsministerin Nicole Bricq erklärte vor laufender Kamera, „Gejammer“ über die allumfassende Überwachung sei fehl am Platz. Wichtig sei allein, dass man mit „gleichen Waffen“ wie die USA kämpfe. „Ich hoffe doch, dass wir wissen, was bei den anderen vorgeht“, sagte sie dem Sender TV5. „Wir müssen besser sein als die Briten, Amerikaner und Deutschen.“

Das klingt nach Grande Nation. Aber sind Frankreichs Geheimdienste wirklich so mächtig, wie es ihre Propagandisten suggerieren?

Fest steht: Anders als ihre deutschen Nachbarn haben die Franzosen die dunkle Seite der Wirtschaft nie tabuisiert. Vor wenigen Jahren hat sich der Auslandsgeheimdienst DGSE sogar eine eigene Abteilung für Wirtschaftsspionage zugelegt, ganz offiziell. Das passt ins Bild der Weltwirtschaft, das Präsident François Mitterrand 1988 ein „Schlachtfeld“ genannt hat, auf dem sich „die Unternehmen einen gnadenlosen Krieg liefern“ – und auf dem Mitterrands Staat kräftig mitkämpfte: 1989 flogen DGSE-Agenten in den US-Unternehmen IBM, Texas Instruments und Corning auf. Später kam heraus, dass der Dienst die erste Klasse von Air-France-Flugzeugen verwanzt hatte. „Es wäre nicht normal, würden wir die USA bei politischen Themen ausspionieren“, sagte der ehemalige Geheimdienstchef Pierre Marion 1991. „Aber im wirtschaftlichen Wettbewerb sind wir Kontrahenten, keine Verbündeten.“

In dieses spezielle Verständnis aktiver Wirtschaftsförderung passt ein EU-Bericht, der 2001 in Berlin für Befremden sorgte. Er legte nahe, dass die DGSE für den Technologiekonzern Alstom den deutschen Kontrahenten Siemens im Wettbewerb um einen Großauftrag für Hochgeschwindigkeitszüge in Südkorea ausgespäht haben könnte. Bewiesen wurde das nie. Dafür wurden Ende 2010 französische Geheimdienstler in flagranti erwischt, als sie in Toulouse das Hotelzimmer des Chefs der Fluggesellschaft China Eastern durchwühlten.

In flagranti im Hotelzimmer erwischt

Auch im vergangenen Jahr machte die DGSE Schlagzeilen. Der Geheimdienst sammelte der Zeitung Le Monde zufolge systematisch Millionen Daten zu innerfranzösischen und internationalen Computer- und Telefonverbindungen. Ein DGSE-Offizieller soll sich damit gebrüstet haben, dass die geheimdiensteigenen Superserver so riesig seien, dass sich mit ihrer Abwärme die Gebäude der Spionagezentrale am Pariser Boulevard Mortier beheizen ließen.

Wie bedroht sich andere Nationen von den Pariser Spitzeln fühlen, zeigen Dokumente, welche die Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlicht hat. So heißt es in einem Memo der US-Botschaft in Berlin: „Frankreichs Spionage ist so verbreitet, dass sie der deutschen Wirtschaft insgesamt mehr Schaden zufügt als die von China oder Russland.“

Christian Harbulot treibt weniger der schlechte Ruf des französischen Geheimdienstes um als dessen schlechte Ausbeute. „Die DGSE greift eine Menge Gespräche ab. Aber sie macht offensichtlich nicht viel draus für unsere Wirtschaft“, sagt der 60-jährige Direktor der EGE, der seine Karriere einst als Rüstungsberater begann. Gemeinsam mit General Jean Pichot-Duclos, dem ehemaligen Chef der Geheimdienstakademie, hat er die Schule vor 17 Jahren gegründet. Auch das Verteidigungsministerium schickt Offiziere als Dozenten hierher.

Die Schule befindet sich in einer Seitenstraße hinter einer unauffälligen Eingangstür mit der Aufschrift „EGE“. Fahle Seminarräume gehen ab von einem Labyrinth aus engen fensterlosen Gängen. Der grünlich getünchte Hörsaal befindet sich im Keller. An den Wänden hängen 2.500 Jahre alte Zitate von Sun-Tse, Chinas großem Militärstrategen. „Kenne deinen Gegner, und kenne dich selbst“, steht da in schwarzen Lettern auf goldenem Grund, „und du wirst den Sieg ohne Risiko davon tragen.“

Hinter einer schweren, schwarzen Stahltür liegt die Kommandozentrale, das Büro des Chefs. „Der NSA-Skandal offenbart, wie durchlässig die Welt der Informationen ist“, sagt Harbulot. „Und die Amerikaner, die diese Welt kontrollieren, haben es auf die vertraulichen Informationen unserer Unternehmen abgesehen.“ In der Raum- und Luftfahrtindustrie, bei Energie und Rüstung gehören die Franzosen zu den härtesten Konkurrenten der US-Konzerne. Da gelte es gegenzuhalten.

Hier kommt nun seine Schule ins Spiel. Denn Harbulot glaubt, dass die Aktivitäten der DGSE nicht ausreichten. Vor allem bei der Hightechüberwachung könnten die französischen Geheimdienste nicht einmal ansatzweise mit der NSA mithalten. „Schauen Sie mal, wie viele wichtige Aufträge französische Rüstungs- und Atomkonzerne in den vergangenen zehn Jahren verloren haben“, sagt Harbulot. „Wenn unsere Geheimdienste wirklich so gut bei der Industriespionage wären, dann müssten die Resultate doch besser sein.“

„Lassen wir nicht die Chinesen unsere französische Wirtschaft melken“

Auch in den Augen Eric Dénécés ist Frankreichs Auslandsgeheimdienst nicht mehr als ein kleiner Großer Bruder. Die NSA habe 50.000 Abhorcher, die DGSE vielleicht 2500, schätzt der Direktor des Pariser Zentrums für Geheimdienstforschung. Zudem mache die intelligence économique nur einen kleinen Teil der Arbeit aus. „Es stimmt schon, unser Geheimdienst ist auf diesem Feld aktiver als andere in Europa“, sagt der 49-Jährige, der selbst einst für die Grande Nation im Einsatz war. „Aber das liegt daran, dass Frankreichs Unternehmen weniger tun, weil sie sich auf den Staat verlassen.“

Deutschlands Großkonzerne beschafften sich auch systematisch Informationen über ihre Wettbewerber, behauptet Dénécé. „Aber sie werden da selbst aktiv oder kaufen das Know-how spezialisierter privater Beratungsdienste ein“, die oft von ehemaligen Spionen betrieben würden. Das sei bisweilen ohnehin effektiver, als träge, große Staatsapparate in Bewegung zu setzen. „Immerhin sind sich einige Betriebe durch die Snowden-Affäre bewusst geworden, dass sie viel mehr tun müssen“, sagt Dénécé.

Die Absolventen der École de Guerre Économique dürften künftig also noch gefragter sein, mit Fähigkeiten, die sie in Kursen wie „Wirtschaftliche Konfrontation und Macht“, „Ermittlungstechniken“ oder „Psychologische Manipulation“ erlernen. In tagelangen Seminaren lernen die modernen Wirtschaftskrieger auch, wie sie Kampagnen organisieren: gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel etwa oder ausländische Fast-Food-Konzerne. Ein Plakat an der Wand neben dem Seminarraum zeugt von einer weiteren vergangenen Übung: Es zeigt asiatische Kinder mit Mundschutz und Weißkittel, wie sie gerade den Euter einer Kuh berühren. Daneben steht die Parole: „Lassen wir nicht die Chinesen unsere französische Wirtschaft melken“.

Die EGE bringt ihren Eleven nach eigener Darstellung ausschließlich Techniken zur legalen Informationsgewinnung bei. „Unsere Lehrer sagen, dass 90 bis 95 Prozent der relevanten Informationen über ein Unternehmen sowieso im Internet stehen. Man muss nur wissen, wo“, sagt der Student Simon. Und wie man sich die restlichen fünf bis zehn Prozent beschafft, das werden einige der Studenten schon bald nach ihrem Abschluss erfahren. Schließlich kaufen Frankreichs Geheimdienste immer wieder EGE-Absolventen ein.

Dies ist wohl auch der Grund dafür, warum Simon seinen Nachnamen nicht nennen will: Er würde selbst gerne Vaterlandsverteidiger werden.

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