Michael Vassiliadis: Der Boss der Kohle AG


Deutschlands einflussreichster Gewerkschaftschef will den Ausstieg aus der Braunkohle verzögern: Mithilfe seiner Seilschaften in Politik und Wirtschaft. Von Claus Hecking und Petra Pinzler für DIE ZEIT, 17. März 2016

Halltern - Es ist zuletzt nicht gut gelaufen für den Schutzpatron der Kohle. Wieder und wieder musste Deutschlands mächtigster Gewerkschaftsführer Michael Vassiliadis in den vergangenen Monaten dieses von ihm so verhasste Schlagwort lesen: „Braunkohleausstieg“. Es häuften sich die Berichte von jungen, wilden Umweltschützern, welche die Kohlegruben der RWE im Rheinland erstürmten. Von einer Menschenkette rund um einen Tagebau in der Lausitz. Von Umweltministerin Barbara Hendricks, die den Abschied von der Braunkohleverstromung mit ihrem extrem hohen Ausstoß von Kohlendioxid (CO₂) „unaufhaltsam“ nannte.

Am 11. Januar stellte dann auch noch der einflussreiche Thinktank Agora Energiewende ein detailliertes Konzept für den Einstieg in den Ausstieg aus dem Braunkohleabbau vor. Und Vassiliadis wusste: Jetzt brennt wirklich die Hütte! Die Agora wurde einst von Rainer Baake gegründet, heute Staatssekretär und Energieexperte von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Es ist nicht gut für Vassiliadis, wenn Fachleute, die den Entscheidungsträgern so nahestehen, konkret benennen, wie sie sich das Ende der Kohle vorstellen.

Vassiliadis ist Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE). Man kann ihn sich als Mittelpunkt im Netz der Braunkohle-Lobby vorstellen. Er hat Verbündete in den großen, alten Energieunternehmen, der SPD und natürlich bei den Gewerkschaften. Noch leben von der Braunkohle 20.000 Kumpel, die meisten sind Gewerkschaftsmitglieder, in den Aufsichtsräten der Konzerne sitzen seine Kollegen. Ohne sie wäre Vassiliadis kein ganz so mächtiger Gewerkschafter mehr.

Was also tun? Ein Gegenentwurf musste her. Und zwar einer, der nicht gleich wirkt wie der platte Abwehrkampf einer Branche, deren Tage gezählt sind. Ein Plan, der garantiert, dass Deutschland noch lange ein Kohleland bleibt.

Begnadeter Strippenzieher

Vassiliadis startet seinen Konter am vergangenen Freitagabend. Mit Ringen unter den Augen empfängt der 51-jährige Gewerkschaftschef langjährige Mitstreiter und Journalisten in Haltern in Nordrhein-Westfalen, einer Tagungsstätte der IG BCE. Er ist erkältet. Doch als er seinen großen Plan vorstellt, wirkt er hellwach und agil.

Ein Braunkohlefonds für ganz Deutschland müsse geschaffen werden, fordert Vassiliadis. In den Fonds einzahlen sollen alle Produzenten und Kraftwerksbetreiber, solange sie noch Geld mit den braunen Brocken verdienen. Vassiliadis rechnet vor, dass das noch etwa 15 Jahre möglich ist. Das Ersparte soll den Konzernen dann weitere 15 Jahre lang ausbezahlt werden: für den Weiterbetrieb bis zur Mitte des Jahrhunderts.

Nur, warum sollte Deutschland noch mindestens 30 Jahre lang Braunkohle fördern, statt schneller auf sauberere Alternativen umzusteigen? Vassiliadis nennt den fossilen Brennstoff eine „Brücke“. Sie werde Deutschland hinüber in eine saubere, klimafreundliche Zukunft geleiten. Nach fast drei Jahrzehnten als Berufsfunktionär weiß der 51-Jährige, wie wichtig solche warmen Worte sind. Auch wenn er selbst wenig von der Energiewende hält.

Der Fonds liefere der Industrie und dem Staat „Planungssicherheit“, wirbt Vassiliadis. Mit ihm könnten die Unternehmen den Rückbau der Kraftwerke und die Rekultivierung betreiben: ohne Streit, ohne dass der Steuerzahler am Ende bluten müsse. „Ohne einen Plan wird der Ausstieg aus der Braunkohle kannibalistisch“, sagt Vassiliadis.

Beim ersten Hinhören klingt der Vorschlag einleuchtend. Dieser Tage zeigt sich ja beim Atomausstieg, was passiert, wenn der Abschied von einer Technologie nicht frühzeitig geplant wird und der Staat das Geld dafür nicht sicherstellt. Dann zahlt am Ende doch die Allgemeinheit für den Müll. Nur hat der Fonds einen entscheidenden Haken: Er zögert den Abschied von der dreckigen Braunkohle hinaus. Der Gewerkschaftsboss gibt dies auch offen zu: Es sei doch besser, Strom weiter mit „kuscheliger Braunkohle“ zu produzieren als mit tschechischem oder französischem Atomstrom.

Zwei von drei Bürgern wollen den Einstieg in den Kohleausstieg. Vassiliadis nicht.

Auf der einen Seite also die Umweltschützer, die den schnellen Ausstieg wollen. So wie die meisten Deutschen. Kohlestrom ist ähnlich unbeliebt wie Atomkraft. In einer repräsentativen Umfrage des Forschungsinstituts Emnid für Greenpeace sagten zwei von drei Bürgern, die große Koalition solle jetzt den Ausstieg angehen.

Auf der anderen Seite Vassiliadis, der diesen Ausstieg so lange wie möglich hinauszögern will. Wem wird die Bundesregierung folgen?

Kanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Umweltministerin Barbara Hendricks haben sich noch nicht festgelegt. Vielleicht überlassen sie das heikle Thema auch der nächsten Regierung. Das wäre ganz in Vassiliadis’ Sinne, schließlich würde er Zeit gewinnen.

Diese Entscheidung könnte in den nächsten Wochen fallen, nach den Landtagswahlen.

Sicher ist: Vassiliadis wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Schließlich ist er ein begnadeter Strippenzieher: in der Politik vernetzt wie sonst keiner, und bei den Gewerkschaften bestimmt längst er die Energiepolitik. Kritiker bringt er gern mal lautstark zum Schweigen, wenn er sie für romantisch verschrobene Grüne hält – oder gar „Klimafundamentalisten“, wie er Kohlegegner nennt. Der Sohn eines griechischen Gastarbeiters hält die „deutsche CO₂-Problematik“ für überschätzt – wohl auch, weil die grüne Wende eine Basis seiner Macht bedroht: die alte Energiewirtschaft mit all den Gewerkschaftsmitgliedern, Betriebsräten, Aufsichtsratsposten für Arbeitnehmervertreter.

Nur, warum sollte die Bundesregierung Vassiliadis’ Plan folgen? Warum sollten sich die Energiekonzerne auf so eine Regelung einlassen und Geld in einen Fonds zahlen, wo sie es jetzt so dringend brauchen? Wer, wenn nicht der Steuerzahler, wird die Braunkohlewirtschaft finanzieren, wenn das Ersparte vorzeitig aufgebraucht ist? Der Gewerkschaftler beantwortet derlei Fragen in Haltern nicht.

Ganz still wird Vassiliadis, fragt man ihn nach Steag oder Vattenfall. Dabei verbirgt sich hinter diesen beiden Unternehmen womöglich der Schlüssel, um seinen Plan vollends zu verstehen.

Die Steag ist Deutschlands fünftgrößter Stromerzeuger und gehört nordrhein-westfälischen Kommunen. Vassiliadis ist stellvertretender Aufsichtsratschef. Die Steag will nun expandieren. Und gemeinsam mit einem australischen Investmenthaus das Braunkohlegeschäft von Vattenfall übernehmen. Vattenfall wiederum will die Gruben und die Kraftwerke in der Lausitz dringend loswerden. Sie vermiesen dem schwedischen Staatskonzern die Klimabilanz und das Image. Zu unsicher finden die Schweden zudem das Geschäft mit dem fossilen Brennstoff, zu unklar ist, wie lange das Baggern noch lohnt. Eben deswegen gibt es bisher allerdings auch nur drei Kaufinteressenten. Zwei tschechische Investoren. Und: die Steag.

Dass die Steag-Manager im Osten bei der Braunkohle mitmischen wollen, sorgt bei ihren Eigentümern in NRW für viel Ärger. Viele Kommunalpolitiker hatten gehofft, dass aus dem Konzern ein Vorzeigeunternehmen der Energiewende würde. Umso entsetzter reagierten sie, als das Management Ende 2015 still und leise eine erste Offerte für Vattenfalls Braunkohle einreichte. „Wir haben erst aus der Presse erfahren, dass die Steag an dem Geschäft Interesse zeigt“, sagt etwa Christian Haardt, Chef der CDU im Bochumer Stadtrat. Fraktionsübergreifend haben sich die Räte von Bochum, Essen und Oberhausen sowie der Umweltausschuss von Duisburg inzwischen gegen den Kauf der Lausitz-Braunkohle durch die Steag ausgesprochen. Auch in Dortmund ist der Widerstand gegen eine finanzielle Beteiligung groß.

Die graue Eminenz der Energiepolitik

Doch ob die Volksvertreter den Einstieg verhindern können, ist ungewiss. Zwar gehört ihnen das Unternehmen, doch in dessen Aufsichtsrat sitzen die Manager ihrer Stadtwerke. Ob diese die Expansion gen Osten blockieren, ist nicht entschieden. Hinter den Kulissen wird emsig gerangelt.

Immer geht es dann auch um den Plan B: darum, dass die Steag selbst den Braunkohlekomplex in der Lausitz gar nicht kauft, sondern nur betreibt. Dass das Geld für die Übernahme von Investoren kommen würde. Solch ein Deal wäre für Kapitalgeber aber erst attraktiv, wenn der Staat einen langfristigen Betrieb der Gruben und Kraftwerke garantiert – also sichere Einnahmen. Vassiliadis’ Fonds würde genau diese Gewissheit schaffen.

Für Vassiliadis wäre dann alles so, wie er es sich vorstellt: Die Arbeitsplätze der Kumpel wären gesichert, Braunkohle würde sich langfristig lohnen für Investoren – und die könnten einen Teil ihrer Profite in den Fonds geben, der den Weiterbetrieb der Gruben noch auf lange Zeit garantiert.

Der Gewerkschaftsboss hat einflussreiche Verbündete: Ganz besonders in der SPD

Würde dann auch noch das andere große deutsche Kohleunternehmen RWE in den Fonds einzahlen, entstünde so ein schlagkräftiges deutsches Braunkohle-Bündnis, eine Art Deutsche Braunkohle AG. An ihr käme niemand vorbei. Und in ihr wäre niemand besser vernetzt als Michael Vassiliadis.

Der Verlierer wäre allerdings das Klima.

Ein Sprecher der Steag verweigert auf Anfrage der ZEIT jeglichen Kommentar zur Lausitz. Und auch Vassiliadis will sich nicht äußern. Sein Vorbild aber könnte die Ruhrkohle AG sein. Diese Einheitsgesellschaft entstand Ende der 1960er Jahre aus der Fusion von rund zwei Dutzend deutscher Steinkohleunternehmen – und sicherte ihnen lange das Überleben. Obwohl die Konkurrenz aus dem Ausland viel billiger war, zögerte die Ruhrkohle AG das Ende des Bergbaus um Jahrzehnte hinaus. Die Zeche zahlten die Stromverbraucher und Steuerzahler: mit mehr als 100 Milliarden Euro Subventionen. Noch bis 2018 wird in zwei deutschen Gruben Steinkohle abgebaut, in mehr als 1.000 Meter Tiefe. Ökonomischer Irrsinn, ökologisch fragwürdig, aber sozial verträglich.

Dass die Kumpels noch immer unter Tage gehen dürfen, verdanken sie auch Vassiliadis. Als vor einigen Jahren die EU und der damalige Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) die Förderung schon 2014 stoppen wollten, blies der IG- BCE-Chef zum Widerstand. Und setzte sich durch.

Seither gilt Vassiliadis als graue Eminenz der Energiepolitik. Als einer, der die Tradition der neun Buchstaben NRW-SPD-RWE pflegt. In keinem anderen Bundesland sind Politik und Energiewirtschaft so miteinander verwoben. Und überall hat SPD-Mitglied Vassiliadis Verbündete. Im Aufsichtsrat der Steag sitzt neben ihm ein weiterer IG-BCE-Funktionär. Der Aufsichtsratschef war einst Schatzmeister der Dortmunder SPD. Deren Fraktion im NRW-Landtag führt ein früherer IG-BCE-Gewerkschaftssekretär an. In der SPD-Bundestagsfraktion prägt Vassiliadis’ ehemaliger Vize bei der IG BCE, Ulrich Freese, die Energiepolitik mit. Der erklärte Braunkohle-Anhänger hat selbst als Gewerkschaftler in der Lausitz gearbeitet. Unter anderen saß oder sitzt Freese in drei Aufsichtsräten von Vattenfall-Gesellschaften.

Wenn Genossen zu Gegnern werden

Vassiliadis’ Netzwerk reicht noch weiter. Der Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe Wirtschaft und Energie im Bundestag war Vorstandssekretär der IG BCE. Vassiliadis’ Lebenspartnerin Yasmin Fahimi, bis Ende 2015 Generalsekretärin der SPD, ist heute Staatssekretärin im Arbeitsministerium. Und Energiewendeminister Gabriel kennt Vassiliadis aus gemeinsamen Jahren in Hannover. 2013 wurde der SPD-Chef Mitglied der IG BCE.

Wenn es hart auf hart kommt, setzt Vassiliadis seine Macht aber auch gegen Genossen ein. Vergangenes Jahr traf es Gabriel. Dieser wollte Deutschlands CO₂-Bilanz verbessern und kündigte einen „Klimabeitrag“ an: Besonders dreckige Meiler sollten zusätzliche Abgaben zahlen. Vassiliadis ließ daraufhin 15.000 Kumpel und deren Angehörige in Berlin vor dem Wirtschaftsministerium sowie dem Kanzleramt marschieren. Und präsentierte einen Alternativplan: Die uralten Kraftwerke sollten nicht verschrottet, sondern nur stillgelegt werden und so als „Kraftwerksreserve“ dienen – falls es doch einmal zu Stromengpässen kommen sollte. Ihre Betreiber sollten dafür eine Prämie erhalten.

Am Ende kam es genauso. Aus dem Klimabeitrag wurde ein Subventionspaket für die Konzerne. Sie erhalten 1,6 Milliarden Euro Prämie für teils mehr als 40 Jahre alte Meiler. Die bleiben in „Bereitschaft“ – und einige Arbeitsplätze erhalten. Zahlen muss den vergoldeten Ruhestand der deutsche Stromverbraucher, also die Allgemeinheit. Wie beim Steinkohlebergbau.

Vassiliadis’ Braunkohlefonds würde diesen Coup noch einmal toppen.

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