Mit schnellen Seitenwechseln in die Wirtschaft machen sich frühere EU-Kommissare zu Gehilfen der Rechtspopulisten. Es wird Zeit für eine strikte Postentrennung. Von Claus Hecking für DIE ZEIT
Brüssel - Ihr Versprechen hat Neelie Kroes konsequent gebrochen. »Nicht mal ein Bed & Breakfast« wolle sie nach ihrer Zeit als EU-Kommissarin managen, gelobte die Niederländerin 2004 vor ihrer Ernennung gegenüber dem Europaparlament. Da war Kroes schon vier Jahre lang Direktorin der Briefkastenfirma Mint Holdings auf den Bahamas. Und das blieb sie auch bis 2009: still und unbemerkt. Erst vergangene Woche enthüllte es die Süddeutsche Zeitung. Aber damit nicht genug: Seit Kroes Ende 2014 aus dem Dienst für Europa ausschied, hat sie sich gleich drei neue Jobs geschnappt: bei der Bank of America Merrill Lynch (Beraterin), dem US-Software-Konzern Salesforce (Verwaltungsrätin) und dem Online-Fahrtenvermittler Uber (Lobbyistin).
„Der personifizierte Interessenkonflikt“
Gerade der letzte Deal hat mehr als ein Geschmäckle. Denn Kroes war noch EU-Digitalkommissarin, als sie unter dem Hashtag #UberIsWelcome eine Kampagne für Uber startete und per Twitter öffentlich dazu aufforderte, einer Lokalpolitikerin die Meinung zu geigen, die den Dienst in Brüssel verbieten wollte.
»Neelie Kroes ist der personifizierte Interessenkonflikt«, sagt Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im EU-Parlament. Und Olivier Hoedeman von der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory warnt: »Brüssels politische Führung unterschätzt, wie gefährlich solche Skandale für die EU sind, gerade jetzt.« Denn für die Europagegner sind sie willkommenes Fressen.
Wie käuflich sind EU-Kommissare? Stehen sie den Konzernen zu nahe, über die sie heute entscheiden und für die sie morgen vielleicht schon arbeiten? Gehören sie zu einer schamlosen Elite, die sich nur selbst bereichert? Kroes ist nicht die einzige prominente Seitenwechslerin. Die frühere Telekom- und Justizkommissarin Viviane Reding hat Posten bei der Bertelsmann-Stiftung sowie dem IT- und Gesundheitskonzern Agfa Gevaert ergattert. Der frühere Handelskommissar Karel De Gucht sitzt in den Aufsichtsräten des Stahlriesen ArcelorMittal und des Telekom-Anbieters Proximus.
Am meisten Schlagzeilen macht José Manuel Barroso. Der frühere Kommissionspräsident ist ausgerechnet zu Goldman Sachs gewechselt – der Bank, die Griechenland einst half, seinen Schuldenstand zu schönen. Laut der portugiesischen Zeitung Público soll der frühere Maoist Barroso schon im Amt enge Kontakte zu Goldman gepflegt haben. Marine Le Pen, Chefin des rechten Front National, erklärte prompt, Barrosos Deal sei »keine Überraschung für Menschen, die wissen, dass die EU nicht den Menschen dient, sondern der Hochfinanz«.
Das Ethik-Kommittee der EU leitete ein Tabaklobbyist
Ausgeschiedene EU-Kommissare müssen nicht um ihre Existenz bangen. Sie erhalten bis zu drei Jahre lang ein Übergangsgeld von 40 bis 65 Prozent ihres früheren Grundgehalts. In Neelie Kroes’ Fall wären das nach Berechnungen der ZEIT rund 12 700 Euro pro Monat gewesen. Ziel dieses Übergangsgeldes ist es, dass Ex-Kommissare eine »Abkühlungsphase« fernab von Politik und Wirtschaft einlegen. Im Gegenzug müssen sich die ehemaligen Brüsseler Spitzen in den ersten 18 Monaten nach Dienstende neue Jobs von einem Ethik-Komitee genehmigen lassen. Doch hier hakt es.
Zum einen wird das Ethik-Komitee von der EU-Kommission selbst besetzt. Dies führt mitunter zu absurden Personalentscheidungen: So war der Franzose Michel Petite jahrelang oberster Ethik-Beauftragter der EU – obwohl Petite als Anwalt und Lobbyist für den Tabakkonzern Philip Morris tätig war. Unter Petites Ägide gestattete das Ethik-Komitee zahlreiche Seitenwechsel. Kritiker wie die CDU-Parlamentarierin Ingeborg Gräßle fordern seit Langem vergeblich, das Komitee mit unabhängigen Experten zu besetzen. Warum beschließt die EU-Führung nicht diese Selbstverständlichkeit?
Zum anderen ist unverständlich, warum sich Ex-Kommissare neue Jobs nur in den ersten 18 Monaten genehmigen lassen müssen, aber drei Jahre lang Übergangsgeld kassieren dürfen. Denn so kassieren die früheren Politiker immer wieder doppelt ab. Erst wenn Übergangsgeld und Einkünfte zusammen das alte Kommissarsgehalt übersteigen, wird die Abschiedsprämie gekürzt.
Nur langsam wächst in Brüssel die Erkenntnis, dass es so nicht weitergeht. Zwar haben die EU-Mitgliedsstaaten kürzlich beschlossen, künftigen Kommissaren nur noch zwei Jahre lang Übergangsprämien zu zahlen. Das spart ein bisschen Steuergeld. Weitaus sinnvoller wäre es aber, stattdessen die Karenzzeit zu verlängern: auf mindestens drei Jahre. Und wer Nebenjobs verschweigt, sollte künftig härtere Sanktionen fürchten müssen.
Vom EU-Parlamentarier zum Lobbyisten
Kroes droht nach jetziger Rechtslage schlimmstenfalls die Streichung ihres Übergangsgeldes oder ihrer Pension – und das auch nur, wenn Kommission oder Parlament den EU-Gerichtshof anrufen und die Richter dann einen Verstoß gegen den Verhaltenskodex der Kommission feststellen. Strafrechtlich hat die Niederländerin wegen ihrer heimlichen Bahamas-Connection gar nichts zu befürchten.
Noch laxer sind die Seitenwechsler-Regeln für Europaparlamentarier. Sie bekommen bis zu zwei Jahre lang Übergangsgeld und müssen überhaupt keine Karenzzeit einhalten. Giegold hat lange versucht, eine 18-monatige Abkühlungsphase in den Verhaltenskodex für die Abgeordneten hineinzukriegen, er ist aber am Widerstand der großen Fraktionen gescheitert. Sein neuer Entwurf sieht vor, dass Ex-Parlamentarier, die als Lobbyisten tätig werden, dies der EU zumindest mitteilen müssen, solange sie Übergangsgeld kassieren. Aber auch gegen diese Transparenzregel gab es zuletzt Bedenken aus den Reihen der Konservativen und Liberalen. Und so baut Giegold für seinen Vorstoß notgedrungen auf die Unterstützung von Europagegnern – allen voran die Abgeordneten der Brexit-Partei Ukip.
Barroso, De Gucht, Kroes: Immer neue Seitenwechsel und Skandale zerstören die Glaubwürdigkeit der EU. Wollen die Entscheider in Brüssel keine weiteren Exits von Mitgliedern erleben, müssen sie politische Ämter und lukrative Wirtschaftsjobs künftig konsequent voneinander trennen. So konsequent, wie Kroes gelogen hat.